Brexit: May erreicht wenig in Brüssel
14. Dezember 2018Um kurz nach 21 Uhr, nach einer Stunde gemeinsamen Abendessens, verließ die britische Premierministerin in blauem Wintermantel und mit kleiner Handtasche den Gipfelort, das Europa-Gebäude in Brüssel. Sie lächelte nicht, sie sagte nichts, sondern hielt den Blick gesenkt auf den roten Teppich vor ihr, stieg dann in eine schwarze Limousine aus deutscher Fertigung und verschwand Richtung Hotel. Aus dem geschwinden Abgang der angeschlagenen Premierministerin, die für den Brexit-Deal keine erkennbare Mehrheit im britischen Parlament hat, war nicht abzulesen, ob die übrigen 27 Staats- und Regierungschefs ihren Wünschen nach Klarstellungen und Zusicherungen zum Brexit-Abkommen nachkommen würden. Schon bei ihrer Ankunft in Brüssel hatte Theresa May die von ihr in London selbst hochgeschraubten Erwartungen an diesen neuerlichen Brexit-Gipfel gedämpft. Denn erst vor zweieinhalb Wochen hatte sie beim letzten Sondergipfel den Brexit-Deal noch als den "bestmöglichen" bezeichnet. Theresa May sagte, sie rechne nicht mit einem großartigen Durchbruch, ohne genau zu umschreiben, was denn überhaupt einen solchen Durchbruch ausmachen würde.
EU bewegt sich nicht
Sie sollte Recht behalten. Der EU-Gipfel hat kurz vor Mitternacht in seinen schriftlichen Schlußfolgerungen lediglich wiederholt, was schon klar war: Es kann keine neuen Verhandlungen geben. Von einem rechtlich bindenden Text zur Auslegung der Regeln für die irisch/nordirische Grenze ist nicht die Rede. EU-Ratspräsident Donald Tusk sagte: "Wir wollen eine möglichst enge Partnerschaft mit Großbritannien. Die Verhandlungen für ein neues Abkommen sollen unmittelbar nach dem Austritt beginnen." Es sei nicht die Absicht der EU, die "Rückversicherung", den "Backstop" zu nutzen, der Nordirland und Großbritannien in einer Zollunion mit der EU halten würde. "Das wäre nur der Fall, wenn es kein neues Abkommen über die zukünftigen Beziehungen gibt, was die EU vermeinden will", so Tusk.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker lobte, dass Theresa May hart und mutig für den Ausstiegs-Vertrag kämpfe, aber "wir haben noch keine Resultate gesehen."
EU-Diplomaten meinten, die harte Haltung der 27 Staats- und Regierungschefs könne auch Teil der Verhandlungstaktik sein. Man dürfe nicht zu früh einlenken, damit nicht noch mehr Forderungen aus dem britischen Unterhaus für mögliche Änderungen kämen. "Das ganze ist eine Frage des Timings", so ein EU-Diplomat. Nicht ausgeschlossen, dass Theresa May vielleicht Anfang Januar noch einmal in Brüssel vorspricht. Die Abstimmung über den Brexit-Deal im britischen Parlament hat sie jetzt für den frühen Januar angekündigt.
Keine neuen Verhandlungen
Viele Staats- und Regierungschefs hatten vor dem gemeinsamen Abendessen schon klar gemacht, dass der Vertragstext des Ausstiegsabkommens aus der EU für die Briten nicht mehr geändert werden könne. "Es ist wichtig, jede Zweideutigkeit zu vermeiden. Es kann keine Nachverhandlungen geben, weil es schon monatelang ausverhandelt wurde", verlangte zum Beispiel der französische Staatspräsident Emmanuel Macron.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, der Brexit-Vertrag "ist verhandelt und gilt." Sie wolle ein Abkommen über die zukünftige Beziehungen, damit die Regelungen zur Vermeidung einer harten Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und Nordirland, das zum Vereinigten Königreich gehört, nach dem Brexit und dem Ende der Übergangsphase 2021 nicht angewendet werden müssen.
Briten wollen Backstop begrenzen
Britische Diplomaten hatten beim vorweihnachtlichen Gipfel auf eine milde gestimmte EU gehofft, die der britischen Premierministerin aus eigenem Interesse entgegenkommen würde. Denn ohne Brexit-Deal mit Zustimmung des Unterhauses in London, würde am 29. März 2019 automatisch eine harte Grenze auf der irischen Insel drohen, die die EU unbedingt vermeiden will. Auf die Rückfallversicherung für Nordirland wollte die EU dann aber doch nicht verzichten. Sie besagt, dass das ganze Vereinigte Königreich in einer Zollunion mit der EU verbleibt und für Nordirland quasi die Regeln des EU-Binnenmarktes weitergelten, und zwar solange bis diese Abmachung durch einen neuen Vertrag zwischen der EU und dem Drittstaat Vereinigtes Königreich ersetzt wird. An dieser unbefristeten Gültigkeit reiben sich die Abgeordneten im britischen Parlament besonders, denn die Briten würden weiter eng an die EU gebunden - allerdings ohne ein Mitspracherecht bei Zollsätzen und Handelsabkommen zu haben.
Ende der Geduld?
Die litauische Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite ist wahrscheinlich nicht die einzige im Kreis der 27 EU-Staaten, die langsam die Geduld verliert. Sie twitterte zum Gipfel ihren Brexit-Weihnachtswunsch: "Entscheidet Euch einmal, was ihr wirklich wollt. Dann wird der Weihnachtsmann das schon bringen."
Das langwierige Drama um den Brexit und das Ausstiegsabkommen mit der EU findet seine Fortsetzung kommende Woche in London. Dann will die britische Premierministerin ihren Abgeordneten berichten. Für Theresa May war der Gipfeltag in Brüssel nur der Anfang von Gesprächen. Über Weihnachten bleibt also noch viel Zeit, neue Wunschlisten nach Brüssel zu schicken.
Außer Brexit...
Die britischen Wünsche waren das alles beherrschende Thema am ersten Gipfeltag. Fast schon nebenbei fielen auch noch einige Entscheidungen: Die EU verurteilte einmütig die jüngste Aggression der russischen Marine gegen die Ukraine und verlängerte einstimmig Wirtschaftssanktionen und Sanktionen gegen russische Staatsbürger. Ein Fahrplan für die Haushaltsverhandlungen für die Jahre 2021-2027 wurde festgelegt. Bis zum Herbst nächsten Jahres soll der mittelfristige Finanzrahmen in Höhe von bis zu 1,3 Billionen Euro stehen. Umstritten ist Moment, wer die "Brexit-Lücke", also die ausbleibenden Beiträge Großbritanniens, schließen soll. Viele Netto-Zahler lehnen für sich höhere Beiträge ab, nur Deutschland hat sich bislang zu einem Aufschlag bereit erklärt.