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Politik

Es ist noch Zeit für eine Einigung

Barbara Wesel
17. Oktober 2018

Nach dem jüngsten Scheitern der Brexit-Verhandlungen ist der EU-Gipfel in Brüssel auf Zweckoptimismus gestimmt. Man wolle alles tun für eine Einigung, betonen Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Kollegen.

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Belgien | Beginn EU-Gipfel mit Beratungen zum Brexit
Bild: Reuters/Y. Herman

Wie um die Briten daran zu erinnern, dass die Verhandlungen  zwischen der EU und Großbritannien ab jetzt in der Nachspielzeit laufen, veröffentlichte die französische Regierung kurz vor diesem Gipfel ihre Notfall-Gesetzgebung für einen möglichen ungeregelten Brexit. Sie enthält Pläne für die Rechte der jeweiligen Bürger, für Grenzkontrollen, zusätzliche Zollbeamte und weitere Vorbereitungen im Norden Frankreichs, das besonders betroffen wäre. Es ist das Signal, dass es jetzt ernst wird. Und Angela Merkel in Berlin unterstrich diese Botschaft in ihrer Regierungserklärung. Zum ersten Mal sprach auch sie öffentlich darüber dass es solche Pläne gibt: "Selbstverständlich" gehöre es zur Arbeit der Bundesregierung, sich auf "alle Szenarien" vorzubereiten.

Das Prinzip Hoffnung

Im Grunde sind die Verhandlungen einmal mehr an die Wand gefahren, nachdem am vergangenen Sonntag ein Einigungsversuch kurz vor dem Ziel von britischer Seite blockiert wurde. Jetzt ist klar, dass der alte Zeitplan Makulatur ist. In Brüssel kann bei diesem Gipfel gar nichts beschlossen werden, sondern bestenfalls eine Perspektive für vier Wochen weiterer Verhandlungen und ein weiteres Treffen voraussichtlich im November eröffnet werden.

UK Brexit | Ministerpräsidentin Theresa May im Parlament
Die EU-Regierungschefs wissen, dass die britische Premierministerin zu Hause von allen Seiten angegriffen wirdBild: picture-alliance/empics

Darüber hinaus bleibt den Regierungschefs nichts als das Prinzip Hoffnung und die alte europäische Weisheit, dass die ganz schwierigen Entscheidungen immer erst kurz vor 12, im allerletzten Augenblick, getroffen werden. Wer aber gehofft hatte, Theresa May werde bei ihrer Ankunft Aufschluss über ihre Absichten geben, sah sich getäuscht. Sie wird zu Hause spöttisch "Maybot" genannt, wegen ihrer roboterhaften Art, Leerformeln aneinanderzureihen - und ihre deutlichste Aussage war: "Ich glaube, wir können zu einem guten Deal kommen. Jeder will eine Einigung, sie wäre gut für die EU und Großbritannien…" Kein Wort von ihr darüber, was sie denn zu diesem Deal beitragen möchte. Aber sie hält eine Einigung schon in Wochen für möglich. 

Die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite dagegen ist bekannt als Freundin des offenen Wortes. Sie wünscht sich von der britischen Seite, "dass sie endlich entscheiden, was sie wollen, und sich hinter ihre Premierministerin stellen". Und sie dreht das Messer noch einmal in der Wunde: "Es ist schwierig für die EU, mit jemandem zu verhandeln, der ein schwaches Mandat und keine Unterstützung hat". Bei allem Mitgefühl für die schwierige Lage von Theresa May scheinen ihre europäischen Kollegen vom ewigen Hin und Her in London inzwischen genervt.

Zweckoptimismus ist das Gebot der Stunde

Angela Merkel wäre froh gewesen, wenn man den Austrittsvertrag fertig bekommen hätte. Jetzt aber will sie mit dem Geist an die Sache heran gehen, "alles zu versuchen, eine Übereinkunft zu finden".  Die Bundeskanzlerin ist zweifellos die erfahrenste Verhandlungsführerin unter ihren Kollegen und weiß, dass der Druck noch weiter steigen muss, um Bewegung auf der britischen Seite zu erzeugen und die besondere "Kreativität" hervorzubringen, die Ratspräsident Donald Tusk von den Beteiligten fordert.

Belgien, Brüssel: Angela Merkel spricht auf dem EU Gipfel
Angela Merkel gibt sich unverdrossen und will alles für eine Einigung mit Großbritannien tun Bild: Reuters/F. Lenoir

Regelrecht verhandelt allerdings wird im großen Rund des Gipfeltreffens nicht. Man tauscht nur Meinungen aus, denn das Mandat von Michel Barnier ist unumstritten ebenso wie nirgends auch nur der Hauch einer Uneinigkeit unter den 27 zu erkennen ist. In Details gibt es hier und da Meinungsverschiedenheiten; der französische Präsident zum Beispiel reagierte in Salzburg auf Mays Vorschlag schärfer als andere Regierungschefs, aber in Prinzip steht die Mauer. Und in Brüssel war Emmanuel Macron wieder ganz auf Linie: "Meine Botschaft ist eine von Zuversicht und Dringlichkeit. Theresa May muss uns sagen was sie akzeptieren kann, um die Balance (in ihrer Regierung) zu wahren". Das Problem ist nur, wie Macron wohl weiß, dass ihre Widersacher in verschiedenste Richtungen streben und sie von einer Art Rundum-Revolte bedroht ist.

Auch der Franzose betont, es sei noch möglich, sich zu einigen. Eigentlich tragen fast alle an diesem Abend Zweckoptimismus vor, und der niederländische Premier Mark Rutte kann das besonders gut: Bei der nordirischen Grenzfrage "gibt es Sensibilitäten. Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, damit umzugehen, die alle auf ihre Weise wieder Empfindlichkeiten mit sich bringen. Auch die Zeit spielt eine Rolle und ich glaube, wir werden es in den nächsten Wochen schaffen."

Die Nordirland-Frage ist der neue Gordische Knoten

Chef-Unterhändler Michel Barnier , der die Regierungschefs über die letzten Einzelheiten der gescheiterten Einigung unterrichtet, hat vermutlich so gut wie alle Varianten der Grenzvermeidung in Nordirland schon durchgespielt. Der Versuch, die Bedürfnisse der dortigen Bevölkerung, die roten Linien der Unionisten und der Regierung in London sowie die Notwendigkeit der EU, ihre Außengrenze und den Binnenmarkt zu schützen, unter einen Hut zu bringen, sind zu einem neuen Gordischen Knoten geworden, den noch niemand bisher durchschlagen konnte.

Karte Irland und Großbritannien DEU
Wie kann eine EU-Aussengrenze in Irland vermieden werden, wenn die Unionisten alle Sonderregelungen ablehnen?

Der irische Premier Leo Varadkar betont noch einmal, dass es für ihn keine Alternative zu einem rechtlich verbindlichen "Backstop" gibt, der sicherstellt dass keine harte Grenze auf der irischen Insel entsteht. Er sieht auch keine Lösung in einer längeren Übergangsperiode, wie Barnier sie vorgeschlagen hat, um wieder Bewegung in die Gespräche zu bringen: "Man kann über eine längere Übergangsperiode reden, aber das ist keine Alternative zu dem Backstop."

Barnier geht lächelnd in das Treffen der 27 und sagt nur noch: "Wir brauchen mehr Zeit und wir müssen in den nächsten Wochen weiter arbeiten, ruhig und geduldig." Und im Weitergehen dreht sich der Franzose noch einmal um und wiederholt: "Ruhig und geduldig".

Das können durchaus die Schlüsselworte an diesem Abend sein. Die EU-Regierungschefs sind entschlossen, nicht die Nerven zu verlieren und bis zum letzten Moment immer wieder nach einer Einigung zu suchen. Dafür gibt es noch rund zwei Monate Zeit; kurz vor Weihnachten müsste man es geschafft haben. Dann ist das britische Parlament gefragt, um einem Abkommen zuzustimmen, was überhaupt nicht als gesichert gelten kann. 

Das Ergebnis der schwierigen Scheidung von Großbritannien ist weiter offen. Ob sie in friedlicher und geordneter Form gelingt, ist ungewiss. Wetten auf den Ausgang werden hier in Brüssel nicht angenommen.