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Politik

Brexit: besonders schlimm für Frauen?

Robert Mudge tl
30. Juni 2019

Die wirtschaftlichen Auswirkungen eines Brexits wurden und werden viel diskutiert. Doch nun, da die Aussichten auf einen harten Brexit immer realistischer werden, fragen sich Experten: Träfe dieser Frauen besonders hart?

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Regent St London England Grossbritannien
Bild: picture-alliance/dpa/Joko

Beginnen wir mit einer Einschränkung: Noch ist völlig unklar, wie der Brexit am Ende aussehen wird, oder welche Art von Handelsabkommen die Briten mit der EU aushandeln. Deshalb ist es auch schwer, genaue Voraussagen darüber zu treffen, welche Auswirkungen ein britischer EU-Ausstieg für Arbeiterinnen, Konsumentinnen und Bezieherinnen von Sozialleistungen haben wird. Dennoch ist unstrittig, dass Handelsabkommen unterschiedliche Auswirkungen auf Männer und Frauen haben können, je nach ökonomischem Status, familiärer Verantwortung oder Macht.

"Frauen bekommen Änderungen bei Handelsabkommen besonders zu spüren, egal, ob es Liberalisierungen oder Handelsbeschränkungen sind", sagt Mary-Ann Stephenson, Direktorin der britischen "Women's Budget Group", einer NGO, die sich für Geschlechtergerechtigkeit einsetzt. "Sie sind nicht so mobil wie Männer und sie verdienen weniger Geld", so die Autorin einer Studie, die den wirtschaftlichen Effekt eines Brexits auf Frauen untersucht.

Problem Sozialleistungen

In dieser Studie heißt es, dass - sollte die britische Wirtschaft ein harter Schlag ereilen - ein Anstieg der Arbeitslosigkeit unausweichlich würde - vor allem in den Sektoren, die auf den Handel mit der EU angewiesen sind. Dazu gehört insbesondere die Kleidungs- und Textilindustrie, in der die überwiegende Mehrheit der Arbeitskräfte weiblich ist.

Gleiches gilt für Gesundheit und Pflege - auch in diesen Branchen arbeiten überwiegend Frauen. Das britische Gesundheitssystem muss bereits jetzt damit zurechtkommen, dass ein hoher Anteil des qualifizierten Fachpersonals aus dem EU-Ausland Großbritannien wieder verlassen hat - aus Sorge über ihre ungewisse Zukunft nach dem Brexit. Experten fürchten, dass sich dieser Trend weiter verschärfen könnte.

Krankenschwester im Queen Elizabeth Hospital
Im Gesundheitssektor arbeiten überproportional viele Frauen - sie wären von Kürzungen besonders stark betroffenBild: Getty Images

Tatsächlich ist die öffentliche Fürsorge ein Bereich, in dem Frauen die Auswirkungen des Brexits am härtesten zu spüren bekommen könnten. Alle Voraussagen rechnen für die Zeit direkt nach dem Brexit mit einem Einbruch des britischen Bruttosozialprodukts. Das wiederum wird aller Voraussicht nach zu weiteren Kürzungen bei den Sozialleistungen führen. Und das trifft vor allem diejenigen, die am meisten auf staatliche Unterstützung angewiesen sind - vor allem Frauen. " Frauen sind überproportional stark in sozialen Berufen vertreten, und sie beziehen überproportional viele Sozialleistungen: für sich selbst, aber auch für die Familienmitglieder, für die sie verantwortlich sind", sagt Stephenson. Dazu gehören etwa das Kindergeld oder Zuschüsse für die Pflege älterer Familienmitglieder.  "Frauen sind deshalb auch diejenigen, die ohne Bezahlung mehr arbeiten müssen, wenn Sozialleistungen gekürzt werden. Mit der sich verschärfenden Krise im Gesundheitssystem sind es vor allem Frauen, die Arbeitszeiten reduzieren müssen oder sich neben ihrem Vollzeitjob noch um ihre Kinder oder Eltern kümmern müssen."

Problem Arbeitsschutz

Derzeit ist das Arbeitsrecht, in dem die Gleichheit von Mann und Frau und der Arbeitsschutz für Frauen in Großbritannien verankert sind, noch durch die europäische Gesetzgebung abgesichert. Zwar ist es höchst unwahrscheinlich, dass diese Rechte über Nacht verschwinden, wenn Großbritannien die EU verlässt. "Aber die EU garantiert, dass keine britische Regierung diese Rechte einschränken kann", so Stephenson. Diese Garantie würde bei einem Brexit entfallen. "Die Brexit-Hardliner sind große Befürworter einer Aufweichung von Arbeitnehmerrechten, vor allem bei Mutterschutz und Elternzeit sowie bei der Teilzeit. Das sind alles Bereiche, in denen Frauen jahrelang von der EU-Mitgliedschaft Großbritanniens profitiert haben."

Mary-Ann Stevenson
Mary-Ann Stephenson, "Women's Budget Group"Bild: privat

Das sieht Lucy Harris, die für die Brexit Party von Nigel Farage im Europaparlament sitzt, ganz anders. Der Brexit werde es Großbritannien ermöglichen, neue, fortschrittlichere Gesetze für Frauen zu erlassen, ist die Direktorin der "Leavers of Britain"-Gruppe überzeugt. "Ich habe für den Brexit gestimmt, weil ich davon überzeugt bin, dass Gesetze genau auf diejenigen zugeschnitten werden sollten, die direkt von ihnen betroffen sind", sagte sie der Nachrichtenagentur Reuters. "Wenn wir unsere Souveränität zurückerlangen, wird das uns Frauen ermächtigen, selbst Entscheidungen zu treffen, die unsere Rechte stärken." Es gibt allerdings auch in den derzeit bestehenden EU-Regelungen nichts, das dem im Wege stehen würde.

Planlos in den Brexit?

Joanna Williams arbeitet für "Briefings for Brexit", eine Internetplattform für Geschäftsleute und Akademiker, die für einen britischen EU-Austritt sind. Sie bestreitet jegliche negative Auswirkungen auf die britische Wirtschaft. Stattdessen weist sie darauf hin, dass die Löhne und die Erwerbsquote seit dem Referendum gestiegen sind - auch für Frauen. "Wir können alle schwarzmalen und Horrorszenarien entwerfen, aber die Realität spricht eine andere Sprache", sagte sie im Reuters-Gespräch. Doch Mary-Ann Stephenson hält dagegen: "Drei Jahre danach wird immer klarer, dass diejenigen, die die EU verlassen wollen, keinen Plan hatten", sagt sie. "Die meisten von ihnen zeigen ein unglaubliches Maß an Unkenntnis darüber, wie auch nur die Grundzüge von Handelsabkommen funktionieren. Das ist ziemlich erschreckend. Ich kann nicht verstehen, wie man diese wahrscheinlichen Auswirkungen so ignorieren kann."