Berlins Geduld mit dem Brexit geht zu Ende
11. Dezember 2018Der Ausgang des Brexit-Referendums in Großbritannien vor zweieinhalb Jahren war auch in Berlin ein Schock. Wenige in der deutschen Politik hatten damit gerechnet, und so gut wie niemand war und ist für einen Ausstieg der Briten aus der Europäischen Union. Am allerwenigsten gilt das für die Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel.
Das hat verschiedene Gründe, politische und wirtschaftliche.
Im Handel ist Großbritannien besonders eng mit Deutschland verbunden. Nach den jüngsten Zahlen des statistischen Bundesamtes für 2017 ist das Vereinigte Königreich der viertgrößte Abnehmer deutscher Waren und Dienstleistungen nach den USA, Frankreich und China. Bei den britischen Einfuhren nach Deutschland rangiert Großbritannien allerdings nur auf Platz elf. Der beiderseitige Handelsumsatz betrug 2017 gut 122 Milliarden Euro. Nur China, die Niederlande, die USA und Frankreich verzeichneten einen noch höheren Umsatz.
Kein Wunder, dass Berlin – und London – an einer möglichst störungsfreien Fortsetzung dieses regen Handels interessiert sind, ob mit oder ohne Brexit.
Berlin und London haben viel gemeinsam
Auch politisch gesehen war London bisher ein besonders enger Verbündeter der deutschen Regierung unter Merkel. In vielen Fragen ticken die regierenden Konservativen ähnlich wie die CDU/CSU-geführte Bundesregierung. Sie stehen zum Beispiel für solides Wirtschaften und Haushaltsdisziplin, für Freihandel, für internationale Regeln, an die man sich hält. All das ist weder in der Europäischen Union noch weltweit selbstverständlich, heute weniger denn je.
Dazu kommt, dass Großbritannien in der Welt Gewicht hat. Es ist ständiges Mitglied im Weltsicherheitsrat, es ist Atommacht, es hat besondere Beziehungen zu den Vereinigten Staaten, und es hat durch seine Geschichte ein weltweites Netz von Beziehungen, das sich für diplomatische Initiativen einsetzen lässt. Großbritannien spielt außenpolitisch in einer höheren Liga, als seine Größe eigentlich vermuten ließe.
Aus Berliner Sicht wäre es daher am besten, wenn Großbritannien in der EU bliebe. Da sich die Briten aber nun einmal – wenn auch nur knapp – im Referendum für den Brexit entschieden haben, hat Merkel in den Verhandlungen zwischen London und Brüssel immer darauf gedrängt, die Beziehungen trotzdem möglichst eng zu halten. Auch jetzt dürfte Merkel ihren Teil dazu beitragen, dass Theresa May nach dem anstehenden EU-Gipfel mit irgendetwas nach Hause geht, das die Annahme des Brexit-Abkommens im britischen Unterhaus erleichtert.
Die EU zusammenhalten
Doch politisch gibt es auch ein entgegengesetztes Interesse Deutschlands, und das macht die deutsche Position so schwierig. Denn Berlin ist auch an der Einheit der Europäischen Union interessiert und will klarmachen, dass man alle Vorteile der EU nur genießen kann, wenn man Mitglied ist. Jedes Nachgeben gegenüber britischer "Rosinenpickerei" weicht diesen Grundsatz auf. Andere Länder sollen keinesfalls ermutigt werden, es den Briten gleichzutun.
Die Kanzlerin war erleichtert, als die EU vor wenigen Wochen endlich dem vorliegenden Abkommen zustimmte. Die EU war darin bis an die Grenze dessen gegangen, was sie zugestehen konnte – auch auf deutsches Drängen hin. Würde der Brexit nach diesem Abkommen ablaufen, könnte man in Berlin einigermaßen zufrieden sein: Enge Bindungen Großbritanniens vor allem beim Handel würden bestehenbleiben, und die Einheit der restlichen EU bliebe gewahrt. Dass May dafür im britischen Parlament wohl keine Mehrheit findet, ist daher für Deutschland so enttäuschend. Aber in Berlin geht jetzt die Geduld zu Ende.
Wenn Theresa May jetzt noch mehr will, kann sie bei der Kanzlerin nicht viel erwarten. Denn Merkel befürchtet, dass alles so mühsam Erreichte zwischen der EU und Großbritannien hinfällig sein könnte. Mehr noch, in Berlin wie in anderen Hauptstädten glaubt man, man könne London so viele Zugeständnisse machen wie man wolle, die Hardliner in der Konservativen Partei würden immer noch mehr verlangen. Hier spielt auch ein gewisser Stolz eine Rolle, dass sich die EU nicht erpressen lassen darf. Daher kann es für die Deutschen jetzt höchstens noch um kleinste Formulierungsvarianten gehen und nicht mehr um Änderungen in der Substanz.
EU will über "Sicherheiten" für London sprechen
Nach dem Besuch Mays bekräftigte Merkel denn auch, dass es keine Nachverhandlungen geben wird. In der Unions-Bundestagsfraktion betonte sie nach Angaben mehrerer Teilnehmer aber, dass die EU bereit sei, mit May über zusätzliche "Sicherheiten" zu sprechen. Dabei geht es darum, dass Großbritannien wegen der ungeklärten Nordirland-Problematik nach 2021 nicht automatisch eine Zollunion mit der EU haben wird.
Laut den Angaben aus der Fraktionssitzung gab sich Merkel dennoch zuversichtlich, dass es eventuell doch eine Lösung geben könne. Denn auch britische Abgeordnete wollten mehrheitlich keinen Ausstieg Großbritanniens aus der EU ohne Abkommen, sagte die Kanzlerin demnach. Denn dies sei die schlechteste Lösung.