Brexit-Anführer schrieb Pro-EU-Kolumne
16. Oktober 2016Er ist das Gesicht der Brexit-Kampagne: Boris Johnson. Doch jetzt wird bekannt, dass es Zeiten gab, in denen er anders dachte. Der britische Außenminister listete in einer im Februar verfassten Kolumne der "Sunday-Times" viele gute Gründe auf, warum Großbritannien nicht die Europäische Union (EU) verlassen sollte. Großbritanniens EU-Mitgliedschaft bezeichnete er darin als "Segen für Europa und die Welt". Der Artikel wurde nicht veröffentlicht - bis heute. Nur wenige Tage nachdem Johnson im Februar sein Plädoyer verfasst hatte, wechselte er offiziell in das Lager der EU-Gegner. Johnson, damals Londoner Bürgermeister, unterrichtete seinen konservativen Parteifreund und damaligen Premierminister David Cameron, dass er sich den Brexit-Befürwortern anschließe.
Von der Unabhängigkeit Schottlands bis zu Aggressionen Russlands
Ein Brexit könne zu einem "Wirtschaftsschock" führen, so Johnson damals. Johnson pries die Vorzüge des Freihandels in der Wirtschaftsunion an. Auch werde durch den Austritt Großbritannien auseinanderbrechen, da Schottland sich vom Rest der Union abspalten würde, hieß es damals in Johnsons Text. Und es gäbe den "Putin Faktor", schrieb Johnson. Ein Brexit könne zu weiterer russischer Aggression führen. "Wir wollen doch nichts tun, was den russischen Führer ermutigt, ohne Hemd zu schwadronieren - nicht im Nahen Osten, nirgendwo."
Er appelliert an seine Landsleute: "Schließen sie die Augen. Halten sie die Luft an. Denken sie an Großbritannien. Denken sie an den Rest der EU. Denken sie an die Zukunft", fordert Johnson auf. Sein fast leidenschaftlicher Aufruf: "Denken sie an das Verlangen ihrer Kinder und Enkelkinder, in anderen europäischen Ländern zu leben und zu arbeiten, dort Dinge zu verkaufen, Freunde dort zu finden oder vielleicht sogar Partner." Und fügt hinzu: "Stellen Sie sich die Frage: Wollen sie wirklich, dass das Vereinigte Königreich die EU verlässt?"
Für und Wider abwägen?
Der "Sunday Times" zufolge verfasste Johnson den Beitrag als eine Art Selbstvergewisserung. Die Veröffentlichung der Artikels wird an dem Volksentscheid vom 23. Juni, in dem 52 Prozent der Briten für den Austritt Großbritanniens aus der EU stimmten, nun nichts mehr ändern. Das Paradoxe: Etwa zur gleichen Zeit schrieb er dann einen Text für den Brexit, den der "Daily Telegraph" im März veröffentlichte.
Dem Sender Sky News erklärte Johnson jetzt, er habe im Februar mit der Brexit-Frage gerungen, wie viele andere im Land. Danach wäre es offensichtlich gewesen, dass er sich den Brexit-Gegner anschließen müsse.
pab/qu (afp, ap, rtr)