Rousseff vor schwerer Niederlage
17. April 2016
Bei der noch laufenden mehrstündigen Stimmabgabe, bei der jeder der mehr als 500 Abgeordneten sein Votum erläutert, zeichnet sich das Erreichen der notwendigen
Zwei-Drittel-Mehrheit für ein Amtsenthebungsverfahren ab. .
Dann wird das Oberhaus mit dem Verfahren befasst. Eine einfache Mehrheit der Senatoren reicht hier für ein "Impeachment". In diesem Fall würde Rousseffs Amtsführung vorübergehend für bis zu 180 Tage ausgesetzt. Stimmt der Senat dann mit Zweidrittelmehrheit für die Amtsenthebung, ist Rousseff ihr Amt los. Ihr Stellvertreter Michel Temer vom einstigen Koalitionspartner, der demokratischen Bewegung (PMDB), würde dann das Mandat bis Ende 2018 ausüben. Bereits bei Rousseffs vorübergehender Suspendierung würde Temer einspringen.
Derweil machten Rousseffs Gegner und Anhänger mobil. Der Generalstaatsanwalt José Eduardo Cardozo beklagte einen "Putsch" gegen die Staatschefin. In der Debatte des brasilianischen Unterhauses lieferten sich die Abgeordneten einen hitzigen Schlagabtausch. Während die Opposition empört auf den auch von der Präsidentin selbst immer wieder vorgebrachten Putsch-Vorwurf reagierte, skandierten die Abgeordneten ihrer gemäßigt linken Arbeiterpartei (PT): "Es wird keinen Putsch geben."
Rousseff-Kritiker Cunha selbst unter Korruptionsverdacht
"Dies ist ohne Zweifel ein historischer Prozess", sagte Parlamentspräsident Eduardo Cunha, ein erklärter Rousseff-Feind von der rechtsliberalen PMDB. Das Parlament stehe in der Pflicht, eine Entscheidung zu treffen, damit Brasilien wieder zur "Normalität" zurückkehren könne. Die PMDB mit Temer an der Spitze, der bereits Vize-Staatschef ist, drängt mit allen Mitteln an die Macht. Cunha muss sich selbst im Zusammenhang mit dem Korruptionsskandal um den Ölkonzern Petrobras vor dem Obersten Gericht des Landes verantworten. In die riesige Bestechungsaffäre sind dutzende Abgeordnete, Gouverneure und frühere Wahlkampfmanager sowie Unternehmensführer verwickelt.
Auch auf der Straße wird der Konflikt um Rousseff ausgetragen. Ein großes Polizeiaufgebot sichert die Gegend um das Kongress-Gebäude. Ein fast ein Kilometer langer Metallzaun trennt die politischen Kontrahenten voneinander. Gegner der Präsidentin in grün-gelbem Outfit der Landesflagge skandierten am Samstag aus Leibeskräften: "Weg mit Dilma! Weg mit PT!"
"Es wird keinen Putsch, es wird Kampf geben"
In einem anderen Teil Brasilías riefen Rousseff-Anhänger mit roten PT-Fahnen Sprechchöre: "Es wird keinen Putsch, es wird Kampf geben!" Die Staatschefin beschuldigte Temer in einem im Internet verbreiteten Video, Regierungspläne für Sozialprogramme streichen zu wollen.
Zu einer Solidaritätsveranstaltung für Rousseff beim Nationalstadion Mané Garrincha fanden sich etwas mehr als tausend Menschen ein. "Wir sind zur Verteidigung der Demokratie und der 2014 rechtmäßig gewählten Regierung gekommen", sagte der 35-jährige Metallarbeiter Tiago Almeida. Er war bereits vor Tagen aus dem Bundesstaat São Paulo in die Hauptstadt gereist, um "seiner" Präsidentin den Rücken zu stärken. Mobilisierungen für und gegen Rousseff waren auch in anderen Städten geplant, darunter im Großraum der Wirtschaftsmetropole São Paulo mit seinen 20 Millionen Einwohnern und in Rio de Janeiro, wo im August die Olympischen Spiele stattfinden.
Petrobras, Lula und die schlechte Wirtschaft
Rousseff werden gleich mehrere Dinge zur Last gelegt. Da ist einmal der gewaltige Korruptionsskandal um den staatlich kontrollierten Ölkonzerns Petrobras. Seit zwei Jahren laufen Ermittlungen, die ein über Jahre gestricktes Korruptionsnetz aufgedeckt haben. Bei mindestens 89 Auftragsvergaben des Konzerns an Bauunternehmen sollen Schmiergelder geflossen sein. Nach Schätzungen kann sich der Schaden auf umgerechnet 1,48 Milliarden Euro belaufen. Rousseff war von 2003 bis 2010 Aufsichtsratschefin von Petrobras. Sie wurde von einem Weggefährten beschuldigt, die Ermittlungen massiv zu behindern.
Auch die von der Präsidentin gewünschte Ernennung ihres Vorgängers Luiz Inácio Lula da Silva zu ihrem Kabinettschef endete im Debakel: Ein Bundesrichter legte sein Veto ein, da Lula mit einem Regierungsamt wesentlich besser vor möglicher Untersuchungshaft geschützt wäre. Lula wird ebenfalls eine Verstrickung in den Petrobras-Skandal vorgworfen. Was als Befreiungsschlag gedacht war, endete in wütenden Protesten dagegen, dass eine Staatschefin einen Ex-Präsidenten vor der Justiz schützen wolle.
Schließlich: Die Wirtschaft Brasiliens brach 2015 um 3,8 Prozent ein, die Arbeitslosenzahl stieg auf über 9,6 Millionen. Doch die Regierung bekommt kaum noch Reformen durchgesetzt - weil die einstige Neun-Parteien-Koalition zerbröselt ist und Konflikte statt Kompromissbereitschaft das Geschehen prägen.
sti/qu (afp, dpa)