Die zweite Reihe der Weltwirtschaft
1. Juli 2012Die Übertragung des EM-Finales in Kiew ist der einzige Programmpunkt, der sich bei den 30. Deutsch-Brasilianischen Wirtschaftstagen, die vom 1. bis 3. Juli in Frankfurt/Main stattfinden, mit einer Sportveranstaltung befasst. Und das aus gutem Grund: Brasilien braucht nicht mehr auf Copacabana-Kicker und Großveranstaltungen zu verweisen, wenn es um Exportschlager geht. Im Gegenteil: Dass Supertalent Neymar immer noch in der heimischen Liga spielt, kann als Ausdruck der Prosperität verstanden werden.
Dennoch, sagt Oliver Döhne, seien die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016 ein Investitionsmagnet auch für deutsche Firmen: "Die Sportevents haben zum einen Unternehmen mit Expertise in der direkten WM-Vorbereitung angelockt, zum anderen aber auch Aufmerksamkeit auf einen Markt gelenkt, der vielen bislang eher als exotisch oder als Nischenmarkt galt." Döhne ist Repräsentant der Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing Germany Trade and Invest (GTAI) in São Paulo. Je nach Abgrenzung - nur direkte Sportbauten oder auch gesamter Nahverkehr, Flughäfen usw. - liege das Investitionsvolumen bei mindestens 50 Milliarden Euro.
Nachholbedarf beim Konsum
Ein verstärktes Interesse deutscher Unternehmen seit 2007, dem Jahr in dem die Fifa Brasilien die WM zusprach, sieht auch Yves Ehlert, der das Büro der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) in São Paulo leitet. Doch er hält die Großereignisse für zweitrangig. Entscheidender sei, dass man die gute Entwicklung anerkenne: "Die politische Kontinuität, das konstante Wirtschaftswachstum und den interessanten Binnenmarkt, der das Land relativ unabhängig von der Weltwirtschaft macht."
Diesen Punkt betont auch Döhne, besonders wenn es um den Vergleich der Investitionsziele China und Brasilien geht: "Rund 30 Millionen Menschen sind durch die stabile Wirtschaftsentwicklung, mehr Jobs und Sozialprogramme in die aktive Käuferschicht aufgerückt und stillen jetzt den Nachholbedarf im Konsum." Der Export macht nur elf Prozent des Bruttoinlandsprodukt aus.
Und das liegt inzwischen bei 2,5 Billionen US-Dollar und ist damit das sechstgrößte der Erde - also etwas größer als das Großbritanniens und kleiner als das Frankreichs. Dennoch: Wenn der Außenhandel so wenig ausmacht - was haben dann deutsche Unternehmen davon?
Märkte für deutsche Unternehmen
"Die Gesundheitstechnik gewinnt an Bedeutung. Außerdem ist der gesamte Energiesektor interessant und ein dankbarer Abnehmer für deutsches Know-how: Bei den erneuerbaren hat sich die Windkraft etabliert, Solarenergie könnte ihr folgen", sagt Döhne. Außerdem sei Brasiliens Erdöl-Industrie der Boom-Markt für Offshore-Fördertechnik weltweit.
Ehlert sieht auch für die Biogasanlagen großes Potenzial in Brasilien und verweist auf weitere Umwelttechniken: "Müllentsorgung, Green Building und Energieeffizienz allgemein werden immer wichtigere Themen." Aber auch die Branchen Automobil, Chemie und Maschinenbau, in denen deutsche Unternehmen seit Jahrzehnten präsent sind, bieten dank der wachsenden Wirtschaft weitere Chancen.
Außerdem, meint Ehlert, müssten es ja nicht immer nur Exporte sein. Technologietransfer in Form von Kooperationen oder Direktinvestitionen seien auch ein großes Thema. Tatsächlich liegt Brasilien auf der Liste deutscher Exportpartner gerade einmal auf Platz 20, umgekehrt nimmt Deutschland aber Rang vier ein. Und die Tendenz ist deutlich steigend: Ein Plus von 12,8 Prozent von 2010 auf 2011 gibt das Bundeswirtschaftsministerium für die bilaterale Handelsbilanz an.