Bosnien-Herzegowina auf dem langen Weg in die EU
22. März 2024Fast wäre es noch schief gegangen. Die EU-Kommission hatte den Staats- und Regierungschefs der EU für ihren Gipfel in Brüssel dringend empfohlen, Beitrittsverhandlungen mit Bosnien-Herzegowina aufzunehmen. Allerdings stimmte das niederländische Parlament am Mittwoch, am Tag vor dem entscheidenden Gipfeltreffen, nur mit knapper Mehrheit gegen einen Antrag, der die Verhandlungen mit Bosnien-Herzegowina noch stoppen sollte. Der geschäftsführend regierende niederländische Ministerpräsident Mark Rutte konnte so am Donnerstag beim Gipfel in Brüssel zustimmen. Ruttes Stimme wurde gebraucht, denn Schritte zur Erweiterung der EU können nur einstimmig von allen 27 beschlossen werden.
Die skeptischen Niederlande sagten also ja, der Regierungschef mahnte aber gleich: "Bosnien muss viel mehr machen, damit es die Verhandlungen gemeinschaftlich beginnen und ein gemeinsames Verhandlungsmandat verabschieden kann. Ich bin sehr zuversichtlich, dass dies den Bosniern gelingen wird." Es seien mindestens fünf weitere Bedingungen zu erfüllen, bevor die Beitrittsverhandlungen förmlich beginnen könnten, sagte Mark Rutte. Zunächst muss erst einmal die EU mit der Regierung von Bosnien-Herzegowina einen Rahmenvertrag für die Verhandlungen schließen. Auch der muss von der EU einstimmig gebilligt werden. Erst danach wird zu einer ersten Regierungskonferenz eingeladen, auf der dann die sogenannten Verhandlungskapitel zu einzelnen Themen wie Rechtsstaatlichkeit, Wirtschaft, Bildung, Verkehr usw. eröffnet werden.
"Noch nicht fertig, aber weit genug"
Wie lange die nächsten Schritte dauern werden, hängt ganz von den Reformfortschritten einer möglichst stabilen Regierung in Sarajevo ab, machte die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Donnerstagabend klar. Von der Leyen lobte, dass Bosnien-Herzegowina bereits vollkommen die Außenpolitik der EU übernommen habe. Beim Steuern der Migration, bei Gesetzen gegen Geldwäsche und Terror-Finanzierung gäbe es Fortschritte. Der niederländische Premier Mark Rutte fasste die Fortschritte in dem multiethnischen West-Balkan-Staat, der aus dem Friedensvertrag von Dayton 1995 hervorgegangen war, so zusammen: "Noch nicht fertig, aber weit genug, um Verhandlungen zu starten. Noch nicht weit genug für einen umfassenden Verhandlungsrahmen." So liest sich denn auch die Gipfel-Erklärung der 27 EU-Nationen. Dort heißt es, über den Verhandlungsrahmen werde entschieden, sobald die EU-Kommission bescheinigt, dass Bosnien-Herzegowina alle Bedingungen erfüllt.
Ein Zeichen für Zuverlässigkeit
Bundeskanzler Olaf Scholz gratulierte per X noch in der Nacht. Für ihn ist der nächste Schritt auf Bosnien-Herzegowina zu ein Zeichen an die übrigen Westbalkan-Staaten, die mit der EU bereits förmlich verhandeln - das sind Albanien, Serbien, Montenegro und Nordmazedonien. "Für mich gilt, dass sich die Staaten des westlichen Balkans auf uns verlassen können müssen. Das Versprechen ist vor über 20 Jahren abgegeben worden. Jetzt brauchen wir die nächsten Schritte", sagte der Kanzler in Brüssel. Das Kosovo, das von Serbien und einigen EU-Staaten nicht als eigenständiger Staat anerkannt wird, ist der einzige Teil des Westbalkans, der nicht mit der Europäischen Union über einen Beitritt verhandelt. Hier könne es erst Fortschritte geben, wenn der schwelende Konflikt zwischen Serbien und Kosovo irgendwann beigelegt werde, meinen EU-Diplomaten. Die EU und die USA bemühen sich seit Jahren zu vermitteln, bislang ohne Erfolg.
Für Bosnien-Herzegowina ändere sich im Moment praktisch eigentlich wenig, heißt es von EU-Diplomaten. Die Reformen müssten weitergehen. Irgendwann werde die Kommission dann das nächste Zeugnis ausstellen. Der jetzige Schritt habe eher symbolischen Charakter, auch um Russland zu signalisieren, dass Bosnien-Herzegowina voll und ganz ins "westliche Lager" gehöre, trotz der gelegentlichen Störversuche des Vertreters der bosnischen Serben, Milorad Dodik. Der Präsident der serbischen Teilrepublik lobte auf X allerdings voll und ganz die Annäherung an die EU. Die Entscheidung des Gipfels sei eine Anerkennung seiner Person und der Bemühungen der serbischen Republik für eine gedeihliche Zusammenarbeit und den gegenseitigen Respekt der drei Volksgruppen Serben, Kroaten und Bosniaken.
Lob von den Nachbarn
"Unsere Entscheidung ist eine großartige geopolitische Botschaft an alle Nationen, ihre Anführer und Institutionen", sagte der Ministerpräsident des Nachbarlandes Kroatien, Andrej Plenkovic. Kroatien, auch ehemals Teil Jugoslawiens, konnte bereits 2013 der EU beitreten. Plenkovic reklamierte einen Teil des bosnischen Fortschritts für Kroatien. Schließlich seien ja viele Führungsfiguren im heutigen Bosnien-Herzegowina Kroaten. Die derzeitige Vorsitzende des bosnischen Ministerrates ist in der Tat die ethnische Kroatin Borjana Kristo. Sie dankte den Brüsseler Gipfelteilnehmern für ihre Entscheidung. In Sarajevo wurden unterdessen große EU-Flaggen gehisst. "Allseitige Entschlossenheit und Mühe haben zur Erfüllung der notwendigen Bedingungen beigetragen. Wir werden so weitermachen, damit unsere Arbeit in weiteren Fortschritt und Entwicklung für Bosnien-Herzegowina mündet", sagte sie etwas verklausuliert und meinte wohl auch den Zusammenhalt in der Regierung und den Institutionen ihres Landes.
Der Bundesstaat Bosnien-Herzegowina besteht aus den Landesteilen "Serbische Republik" und "Föderation Bosnien-Herzegowina", drei größeren Volksgruppen, etlichen Minderheiten, zehn Provinzen und einem autonomen Gebiet Brcko. Der komplizierte Staatsaufbau ist eine Folge der Kriege im zerfallenden Jugoslawien in den 1990er Jahren, in denen sich Serben, Kroaten und Bosniaken feindlich gegenüberstanden.
"Bis zum Beitritt kann es noch dauern"
Der Staat ist immer noch nicht vollständig souverän. Einen Teil der Staatsgewalt übt seit 1995 der Hohe Repräsentant der Vereinten Nationen aus, im Moment der deutsche CSU-Politiker Christian Schmidt. Bosnien-Herzegowina sei noch lange nicht reif für einen Beitritt zur Europäischen Union, sagte Schmidt im Deutschlandfunk an diesem Mittwoch. Die Demokratie sei noch immer sehr fragil, 29 Jahre nach Ende des Krieges. Vor dem Hintergrund des russischen Krieges gegen die Ukraine müsse jedoch die Botschaft vermittelt werden, dass Bosnien-Herzegowina Teil des freien Europa sei, so Christian Schmidt.
Neben den Westbalkan-Staaten und der Türkei sind auch die Ukraine, Moldau und Georgien Beitrittskandidaten. Der EU-Ratsvorsitzende Charles Michel äußerte die Erwartung, dass sowohl für Bosnien-Herzegowina als auch für die Ukraine vor Ende Juni das Verhandlungsmandat fertiggestellt und abgestimmt werden könnte. Ambitioniert, aber machbar, heißt es dazu von EU-Diplomaten. Vom 1. Juli an würden diese Schritte vielleicht komplizierter, denn dann übernimmt das Russland-freundliche Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft für ein halbes Jahr. Ungarns Premier Viktor Orban unterstützt zwar den Beitritt Bosnien-Herzegowinas, lehnt eine schnelle Annäherung der Ukraine an die EU aber ab. Und niemand weiß, wie sich die nächste niederländische Regierung positioniert, die möglicherweise eine rechtsextreme Partei einschließt. Da, wie gesagt, Einstimmigkeit bei allen Schritten von Nöten ist, könnte es zu politischen Spielchen kommen.