Boom in China nach dem Ende von Null-COVID?
24. Januar 2023Mit drei Prozent blieb Chinas Wirtschaftswachstum 2022 deutlich unter dem vorgegebenen Ziel. Seit dem Beginn der Reform- und Öffnungspolitik Ende 70er Jahren kam Chinas Wachstum damit nach 2020 und 2022 zum dritten Mal nicht über drei Prozent hinaus.
Insbesondere seit der Verbreitung der Omikron-Variante des COVID-Erregers hatten chinesische Behörde immer häufiger drakonische Lockdowns beschlossen, um, oft vergebens, Infektionsketten zu brechen. Diese sogenannte "dynamische Null-Covid-Strategie" führte zu Einbrüchen bei Konsum und Produktion und zu unterbrochenen Lieferketten. Der Lockdown in der Wirtschaftsmetropole Shanghai im Mai und April 2022 hat China besonders hart getroffen: die Wachstumsrate im zweiten Quartal betrug nur noch 0,9 Prozent gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum.
Unter enormem wirtschaftlichen und sozialen Druck hatte Peking Anfang Dezember dann eine abrupte Wende der Corona-Politik eingeleitet. Dennoch sind viele Experten nicht optimistisch in Bezug auf Chinas Wirtschaftswachstum. So senkte der IWF zum Jahresende die Wachstumsprognose für China abermals, Begründung: Die radikale Abkehr von der strikten Null-COVID-Politik habe ein "Buschfeuer" von Virusinfektionen ausgelöst, das sich in den kommenden drei bis sechs Monaten negativ auf die chinesische und die Weltwirtschaft auswirken werde.
Manche Experten sind allerdings der Ansicht, dass das "Buschfeuer" nur kurzfristig die Wirtschaft beeinträchtigen werde. "Die lang ersehnte Wirtschaftserholung dürfte wahrscheinlich noch in diesem Jahr kommen. Die Tatsache, dass die Infektionswelle in den nächsten Wochen oder Monaten vermutlich ihren Gipfel erreichen wird, eröffnet bessere Perspektiven für den weiteren Jahresverlauf 2023", sagt Jürgen Matthes, China-Experte vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW Köln), im Gespräch mit der DW.
Tatsächlich hatte sich Chinas Wirtschaft nach der ersten Infektionswelle 2020 schnell und stark erholt. Während die Industrieländer noch unter Lockdowns litten, konnten chinesische Fabriken mit voller Kraft produzieren. Dank der strikten Null-Covid-Politik gab es damals in China kaum noch Corona-Infektionen. 2021 erzielte China einen Exportüberschuss in Rekordhöhe und konnte somit ein Wachstum von über acht Prozent vermelden. Gleichzeitig verstärkte es die "Containerkrise" : Container wurden für Chinas Export gebraucht, aber wegen der schwächelnden Produktion in anderen Ländern kamen diese Container nicht oder nur mit großer Verzögerung zurück nach China.
Kurzfristiger Gewinner der Pandemie
Im chinesischen Internet wurde Peking damals von vielen Nutzern als Gewinner der Pandemie gesehen. China-Kenner Rolf Langhammer sieht diesen Erfolg von 2021 jedoch kritisch: "China strebt ja mittelfristig eher eine binnenorientierte und dienstleistungsorientierte Entwicklung an, will also nicht mehr von den Exportmärkten abhängig sein. In der Frühphase der Pandemie war China das erste Land, das wieder produzierte. China wurde nämlich wieder die Werkbank der Welt, aber das wollte die chinesische Regierung eigentlich nicht."
Deshalb sieht Langhammer China höchstens als "vorübergehenden Profiteur der Pandemie". Da inzwischen die anderen Länder ihre Produktion längst wieder hochgefahren haben, könnte die Erholung im Jahr 2023 deutlich schwieriger sein als 2020 und 2021. "China hat eine Stop-and-go-Politik verfolgt, das schafft auf der einer Seite Unsicherheit. Auf der anderen Seite bestehen mittelfristige Wirtschaftsprobleme wie die Ungleichheit der Einkommens- und Vermögensverteilung."
Umgang mit COVID nur ein belastender Faktor
Auch Probleme wie demographischer Wandel und Immobilienkrise bremsten das künftige Wachstum. Der Kieler Ökonom ist insgesamt der Meinung, für Chinas Wirtschaft seien derzeit interne Strukturprobleme von größerer Bedeutung als externe Faktoren wie die Pandemie. Dennoch hält Langhammer eine Wachstumsrate von vier bis 4,5 Prozent in diesem Jahr für möglich.
Laut dem China-Forscher Jürgen Matthes vom IW Köln ist die Corona-Pandemie nicht der wichtigste externe Faktor für die Wirtschaftsentwicklung Chinas. Eine viel größere Rolle spiele die Geopolitik. "Die Art und Weise wie China mit Corona-Politik umgeht, ist wie ein Vertrauens-Schock für viele. Das trägt dazu bei, dass China an der einen oder anderen Stelle eine geringere Rolle in der Wertschöpfungskette spielt. Aber gerade jetzt gibt es Überlegungen in Europa und den USA, sich weniger abhängig von China zu machen, weil man sich sorgt, dass in überschaubarer Zukunft eine Invasion Chinas von Taiwan stattfinden könnte. Daher glaube ich, geostrategische Überlegungen haben mehr Einfluss auf Chinas Gewicht in den globalen Lieferketten. Etwa die Hälfte der deutschen Unternehmen sagen in Umfragen, sie fühlen sich relativ stark von China abhängig und wollen diese Abhängigkeit reduzieren."
Matthes prognostiziert zwar, dass sich Chinas Wirtschaft noch in diesem Jahr erholt wird, aber der Aufschwung dürfte stark unter dem dreifachen Druck von COVID-Politik, geostrategischen Reibungen und internen Strukturproblemen stehen. Sein Fazit: "Schwer zu sagen, was am Ende das schlimmste ist. Diese Faktoren sind alle gleichzeitig da."