Älteste Ortsschild der Welt entschlüsselt
9. Dezember 2020Auf einem Felsen sind die vier Hieroglyphen zu lesen: "Domäne des Königs Skorpion”. Die Felsinschrift stammt aus dem Wadi Abu Subeira (nord-) östlich von der Stadt Assuan.
Die Bedeutung und Datierung der Hieroglyphen konnten Ägyptologen der Uni Bonn und Forscher des ägyptischen Antikenministeriums jetzt entschlüsseln: Laut dem Ägyptologen Prof. Dr. Ludwig Morenz von der Universität Bonn stammt das in den Fels gemeißelte Ortsnamensschild aus dem ausgehenden vierten Jahrtausend v. Chr., genauer aus der Zeit etwa um 3070.
Hinweis auf eine Ortsbezeichnung
Eine Kreis-Hieroglyphe gab den Forschern den Hinweis, dass der Felsen als eine Ortsbezeichnung diente. "Wir können die vier Hieroglyphen als `Domäne´ (bzw. Pflanzung) des Königs SKORPION lesen, also ein spezifischer Ortsname", erklärt Prof. Morenz im DW-Interview.
Die Bezeichnung `Domäne´ war ein bereits im vierten Jahrtausend fest ausgebildeter Begriff, der eine von einem zentraleren Ort bzw. Herrscher abhängige Wirtschaftsanlage bezeichnete.
Hinzu kommt im Schriftbild, dass das letzte Zeichen – ein Kreis, der in starker Schematisierung eine Siedlung repräsentiert – die ganze Zeichengruppe als einen Ortsnamen ausweist, so Morenz.
Schriftnutzung an abgelegenem Ort ungewöhnlich
Wie die Menschen vor mehr als fünftausend Jahren am östlichen Nilufer gelebt haben, unter welchen gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten sie lebten, das ist ein zentraler Forschungsschwerpunkt der Wissenschaftler. Die Neuentdeckung der Felsinschrift sei deshalb von zentraler Bedeutung, so der Bonner Ägyptologe.
"Dies ist meines Erachtens mediengeschichtlich besonders interessant, weil in dieser Zeit Menschen weltweit überhaupt erstmals zu schreiben anfingen. Die Kulturtechnik Schreiben war damals hochmodern. Kulturhistorisch ist dabei auch die moderne Medientechnik in der soziokulturellen Peripherie des Wadi el Malik bemerkenswert“, so Morenz.
Die Inschrift wurde mit vergleichsweise großen Hieroglyphen in den Stein gemeißelt. Aus Ägypten kenne man aus dieser Zeit ansonsten noch eine kursive Form der Schrift, mit der insbesondere wirtschaftliche Daten notiert würden. "Global vergleichbar ist ansonsten aus dem späten vierten Jahrtausend nur noch die Protokeilschrift aus Mesopotamien“, erläutert der Bonner Wissenschaftler.
Ägypten als erster Territorialstaat der Welt
Nach Einschätzung des Wissenschaftlers war Ägypten der erste Territorialstaat weltweit, entsprechend lasse sich aus dem neuen Fund auch sozialgeschichtlich einiges über die Binnenkolonisation im Niltal im späten vierten und frühen dritten Jahrtausend v. Chr. ableiten.
"Mit einer Nord-Süd-Ausdehnung von über 800 km wurde damals im Niltal der globalgeschichtlich betrachtet der erste Territorialstaat der Weltgeschichte mit einem (Gott-)König – ägyptisch: Horus – an der Spitze geschaffen. Wir kennen diese Entwicklung archäologisch vor allem aus Funden und Befunden in Elitennekropolen. Hier bekommen wir im Unterschied zu diesen Zentren eher eine Perspektive der Peripherie in den Blick.“
Nach Ansicht von Prof. Morenz, der die Inschrift zusammen mit Mohamed Abdelhay, Abdelmonem Said (beide Mitarbeiter des ägyptischen Antikenministeriums) und Amr El Hawary von der Universität Bonn vor zwei Jahren fand, sind am jetzigen Fundort noch viele bedeutsame Entdeckungen zu erwarten. Denn bislang wurden das Wadi Abu Subeira und das Wadi el Malik archäologisch noch kaum erforscht. "Dieses Gebiet steht erst am Anfang der archäologischen Erschließung”, so Morenz.