Boko Haram - Längst nicht besiegt
3. Juni 2015"Er ist ein General. Er kann Befehle erteilen und verfolgen, ob diese umgesetzt worden sind." Tsambido Hosea Abana versucht optimistisch zu klingen, wenn er über den neuen Präsidenten Nigerias redet. Abana ist der Vorsitzende der Chibok-Kommune. Seit mehr als einem Jahr kämpft er zusammen mit den Aktivisten von #BringBackOurGirls für die Freilassung der 219 Mädchen von Chibok, die in der Nacht zum 15. April 2014 von Boko Haram entführt wurden. Jeden Nachmittag treffen sie sich am Unity Fountain im Zentrum der Hauptstadt Abuja. "Bringt uns unsere Mädchen zurück, sofort und lebend!", rufen sie unermüdlich. Mit dem Machtwechsel am 29. Mai schöpfen viele wieder Hoffnung, dass Muhammadu Buhari die Mädchen tatsächlich zurückbringen könnte. Aber der Chibok-Vertreter Abana schränkt ein: "Volles Vertrauen haben ich nicht mehr in Nigeria. Buhari ist ja auch nur einer von vielen."
Armee soll Menschenrechte einhalten
Dabei hat der neue Präsident in seiner Antrittsrede deutliche Worte gefunden. "Boko Haram ist erst besiegt, wenn die Mädchen von Chibok und alle anderen Entführten befreit sind." Neu ist auch, dass Buhari den Tod von Boko-Haram-Gründer Mohammed Yusuf als "außergerichtliche Hinrichtung" bezeichnet hat. Seit 2009 war das der nigerianischen Regierung immer wieder vorgeworfen worden, sie hatte es jedoch nie zugegeben. Er ließ es allerdings offen, ob dies gleichzeitig der Startschuss für juristische Ermittlungen sein wird. Die Untersuchung des Mordes an Yusuf war von Boko Haram vor einigen Jahren als eine der Forderungen für die Einstellung des Kampfes genannt worden.
Auch auf die Kritik an der Missachtung von Menschenrechten im Kampf gegen die Miliz reagiert Buhari in seiner ersten Rede. "Wir werden die Mechanismen verbessern, so dass bewiesene Menschenrechtsverletzungen seitens der Armee disziplinarische Folgen haben werden."
Wie die Strategie im Terrorkampf allerdings im Detail aussehen wird, ist noch unklar. Häufig diskutiert wird die territorialen Rückeroberung. "Das ist sicherlich ein Erfolg", so Seija Sturies, Büroleiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Abuja. "Aber mit Sicherheit wird sich das Phänomen Boko Haram damit nicht auflösen."
Verstecke für Terroristen und Entführungsopfer
Mit den Rückeroberungen schmückte sich die Armee in den vergangenen Monaten gerne. Möglich wurden diese aber nur in Zusammenarbeit mit einer multinationalen Einheit, zu der auch Soldaten aus dem Tschad, Niger und Kamerun gehören. Wie viele Terroristen verhaftet wurden oder ums Leben kamen, darüber gibt es keine offiziellen Angaben. Daher gilt es als wahrscheinlich, dass sich viele Boko-Haram-Kämpfer - die Menschenrechtsorganisation Amnesty International schätzte deren Zahl zuletzt auf 15.000 - nur zurückgezogen und versteckt haben. Möglichkeiten dafür gibt es genug, sowohl im Norden Nigerias als auch in den angrenzenden Ländern.
Gleichzeitig bedeutet das aber auch: Die entführten Schülerinnen können noch gefunden werden. "Bei meinen Erkunden konnte ich feststellen, dass die nigerianische Armee noch nicht bis ins Innere des Sambisa-Waldes vorgedrungen ist", sagt Abana von Chibok-Kommune. "Ich denke, dass die Mädchen dort sind." Ein weiteres Versteck könnten auch die Mandara-Berge zwischen Nigeria und Kamerun sein, spekuliert er.
Strategie für Ursachenbekämpfung gefordert
Solche Überlegungen gibt es ständig, und sie werden in Nigeria gerne bis ins kleinste Detail diskutiert. Weitaus weniger Beachtung findet jedoch die Frage nach der Ursache des nigerianischen Terrors. Wie konnte es einer anfangs sehr kleinen Gruppe überhaupt gelingen, Afrikas größte Wirtschaftsmacht in Angst und Schrecken zu versetzen? Seija Sturies von der Friedrich-Ebert-Stiftung: "Boko Haram rekrutiert Anhänger und Mitstreiter in einer marginalisierten Region. In einer Region, in der staatliche Strukturen quasi nicht vorhanden sind. Wenn das nicht auf einer umfassenden Ebene angegangen wird, dann wird sich Boko Haram nicht eindämmen lassen." Helfen könnte dabei die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, die für den neuen Präsidenten eine große Priorität hat.
Unklar bleibt allerdings, wie den Opfern konkret geholfen werden kann. Im Moment wird beispielsweise über ihre Köpfe hinweg diskutiert, ob schwangere Entführungsopfer abtreiben sollten oder nicht. Betroffene sind bisher nicht zu Wort gekommen. Niemand weiß außerdem, wann die 1,5 Millionen Binnenflüchtlinge zurück in den Norden Nigerias können und wie das finanziert wird. Im Mai kündigte Bornos Gouverneur Kashim Shettima an, dass alleine für den Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur umgerechnet 18,3 Millionen Euro benötigt werden.
Nicht reden, sondern handeln
Für die 16-jährige Deborah Dalong, eine der jungen Aktivistinnen von #BringBackOurGirls, sind das zu viele Details, zu viel Gerede. Sie will endlich Taten sehen und ihre Freundinnen wieder in die Arme nehmen können: "Und wenn sie nicht zurück kommen, dann werde ich selbst nach ihnen suchen."