1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Boko Haram nicht geschwächt"

Thomas Mösch15. Mai 2013

Im Kampf gegen die islamistische Sekte Boko Haram hat Nigerias Präsident Jonathan für drei Bundesstaaten den Notstand erklärt. Das wird die Gewalt nicht stoppen, sagt Nigeria-Experte Thomas Mättig im DW-Interview.

https://p.dw.com/p/18YBQ
Thomas Mättig von der Friedrich-Ebert Stiftung in Abuja, Nigeria. Rechteeinräumung liegt vor
Friedrich-Ebert Stiftung Thomas MättigBild: privat

Die islamistische Sekte Boko Haram verübt seit 2009 vor allem im muslimisch geprägten Norden des Landes immer wieder Anschläge, unter anderem auf Kirchen, Polizeistationen und Lokale mit Alkoholausschank. Seit April 2013 prüft eine Kommission eine mögliche Amnestie für Mitglieder von Boko Haram. Der nigerianische Präsident will dem Straferlass nur zustimmen, wenn sich Boko Haram zum Dialog bereit zeigt. Die Gruppe selbst lehnt eine Amnestie jedoch ab.

DW: Seit Dienstag (14.05.2013) gilt in den drei Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa im Nordosten Nigerias der Ausnahmezustand. Das hat Präsident Goodluck Jonathan entschieden. Wie schlimm ist die Lage dort tatsächlich?

Thomas Mättig: Ich denke, der Präsident reagiert damit auf eine Reihe von Entwicklungen, die ihn etwas in die Defensive gebracht haben. Zum einen ist die Kritik am Verhalten der Streitkräfte Nigerias in diesem Konflikt sehr viel lauter geworden. Zum anderen ist die Armee in der letzten Zeit auch militärisch hier und da in die Defensive geraten. Das hat sicherlich Druck verursacht im Sicherheitsapparat und die haben wahrscheinlich den Präsidenten gebeten, entsprechende Schritte einzuleiten. Ein weiterer Punkt ist, dass die Amnestieinitiative der Regierung nicht sehr glücklich gestartet ist. Und dann gab es auch immer mehr Berichte, dass Boko Haram in Teilen des Nordens auch territoriale Kontrolle ausübt und das hat wahrscheinlich zu großer Verunsicherung in der Regierung geführt. Der Präsident versucht wohl, die Initiative im Konflikt zurück zu gewinnen.

Wird ihm das gelingen, zeigt er jetzt die Führungskraft, die in den vergangenen Wochen von ihm eingefordert wurde?

Er schickt erst einmal mehr Truppen in den Nordosten und hat ein Statement abgegeben, dass von der Sprache her stärker und härter ist als seine Äußerungen zuvor. Er hat die Gouverneure in den drei betreffenden Bundesstaaten im Amt gelassen. Alles andere hätte ihn wahrscheinlich auch einen hohen politischen Preis im Norden gekostet, wo er ohnehin nicht gerade beliebt ist. Er hat also auch die Möglichkeiten, die ihm der Ausnahmezustand bringt, nicht voll ausgenutzt. Insofern ist sehr fraglich, ob sich wirklich viel ändern wird. Problematisch ist, dass die Sicherheitskräfte trotz der zunehmenden Kritik jetzt noch mehr Kompetenzen haben. Sie haben es noch einfacher, Leute festzunehmen und Häuser zu durchsuchen. Die Menschenrechtslage wird sich im Norden also aller Wahrscheinlichkeit nach nicht verbessern.

Boko-Haram-Terroranschlag auf einen Markt in Maiduguri im Norden Nigerias (Foto: EPA/STR)
Boko-Haram-Terroranschlag auf einen Markt in Maiduguri im Norden NigeriasBild: picture-alliance/dpa

Müssen wir also damit rechnen, dass sich die Gewaltspirale in Nigeria weiter dreht?

Auf jeden Fall. Es gibt zwar offensichtlich auch gewisse militärische Erfolge - zumindest hat Boko Haram einen hohen Blutzoll gezahlt - aber so wie die Sicherheitskräfte im Nordosten auftreten, führt das auch dazu, dass sich immer mehr Leute vom Staat abwenden und das Verhalten der Regierungsmacht kritisieren. Und das verschafft Boko Haram eventuell sogar Zulauf. Die Gruppe scheint sich im Nordosten sehr fest verankert zu haben. Das ist auch eine neue Erkenntnis der vergangenen Wochen: Die Gruppe wurde eben gar nicht so sehr geschwächt. Die zunehmende Regionalisierung des Konflikts auf den Nordosten ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Zeichen dafür, dass Boko Haram im Nordosten eine Anti-Regierung installiert.

Sie haben es erwähnt: Präsident Jonathan hat darauf verzichtet, die Gouverneure der drei Bundesstaaten abzusetzen. Muss man die Ausrufung des Notstandes also eher als Symbolpolitik interpretieren?

Ich denke schon. Es geht für ihn darum, auch öffentlich wieder in die Offensive zu gehen und zu zeigen: Ich bin derjenige, der hier handelt, der die Aufsicht über die Streitkräfte hat und der das kontrolliert. Es ist vielleicht auch ein Anerkennen der Tatsache, dass dieser Amnestieversuch ziemlich gefloppt ist - auch wenn er in seinem Statement sagt, wir werden weiterhin den Dialog suchen. Aber es ist zu einem großen Teil sicherlich eine PR-Aktion.

Thomas Mättig leitet das Büro der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Nigerias Hauptstadt Abuja.