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Boca gegen River - elektrisierender Superclasico

Andreas Knobloch
10. November 2018

Die Stadt Buenos Aires hält den Atem an: In der Copa Libertadores spielen die Boca Juniors und River Plate um den Titel. Ein erbittertes Duell zweier Klubs mit starken Gegensätzen und vielen Gemeinsamkeiten.

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Boca Juniors gegen River Plate Buenos Aires
Bild: picture-alliance/N. Pisarenko

Seit feststeht, dass die Lokalrivalen Boca Juniors und River Plate im Finale der Copa Libertadores, der südamerikanischen Champions-League, aufeinander treffen, herrscht in Buenos Aires der emotionale Ausnahmezustand. Staatspräsident Mauricio Macri, zwischen 1995 und 2007 selbst Boca-Vereinspräsident, gab - noch bevor die Finalbegegnung feststand - zu, dass ihm lieber wäre, die ewigen Rivalen träfen nicht im Endspiel aufeinander: "Wissen Sie, was das für einen Druck bedeutet? Der Verlierer wird 20 Jahre brauchen, um sich davon zu erholen. Es ist ein Finale, in dem es um viel geht, um zuviel."

Schon unter "normalen" Umständen ist der "Superclasico" zwischen Boca und River eine der irrwitzigsten Sportveranstaltungen des Kontinents. Das letzte internationale Duell beider Klubs vor drei Jahren wurde vom Schiedsrichter abgebrochen und nicht zu Ende gespielt, nachdem ein Boca-Anhänger die Spieler von River Plate, als diese im Rückspiel nach der Halbzeit aufs Spielfeld liefen, mit einer Pfefferspray-Bombe attackierte. Damals war es "nur" ein Libertadores-Achtelfinale - quasi ein Freundschaftsspiel gegen das, was jetzt ansteht.

Von den bisher 247 offiziellen Duellen waren gerade einmal zwei Finals. Kurz vor Weihnachten 1976 siegte Boca im Endspiel um die Meisterschaft; im März dieses Jahres gewann River relativ problemlos das Finale um den Argentinischen Supercup. Das Libertadores-Endspiel ist nun also das zweite Finalduell innerhalb eines Jahres.

"Was kann es Schöneres geben?"

Einer, der beim Endspiel von 1976 dabei war, ist Leopoldo Luque. Der heute 69-Jährige gewann zwei Meisterschaften mit River (1975, 1979) und war 1978 Fußball-Weltmeister mit Argentinien. "Den Superclasico zu spielen war ein Traum; ein Traum, der in Erfüllung gegangen ist", erinnert er sich. "In meiner Kindheit habe ich die Spiele im Radio verfolgt oder das Ergebnis am nächsten Tag aus der Zeitung erfahren. Und ich habe mir gesagt: 'Wie schön wäre es, eines Tages dabei sein zu können.' Und ich war dabei. Ich debütierte für River ausgerechnet in einem Clasico, im Jahr 1975. Im Stadion von Boca, wir gewannen 2:1 und ich erzielte das Siegtor. Was kann es Schöneres geben?"

Stadion beim Spiel Boca Juniors - River Plate
La Bombonera, die Pralinenschachtel, ist immer ein Hexenkessel - bei Duellen gegen River Plate in gesteigerter PotenzBild: picture-alliance/N. Aguilera

Seitdem seien die Duelle gegen Boca immer etwas ganz Besonderes gewesen, sagt Luque. Beim Libertadores-Finale zwischen den beiden Erzrivalen wird er - seinem Superclasico-Ritual folgend, wie er meint - allein, eingeschlossen in einem Zimmer seines Hauses in Mendoza mitfiebern.

Gegensätze mit gleichen Wurzeln

Umfragen vor dem Halbfinale hatten gezeigt, dass neun von zehn Anhängern beider Klubs ein Finalduell gegen einen anderen Rivalen vorgezogen hätten. Die Fans von River ertragen den Gedanken an eine Ehrenrunde von Boca in ihrem Stadion nicht - das Rückspiel wird im River-Stadion ausgetragen - und die Boca-Anhänger wissen, dass ein Triumph von River den immer noch mit Schmäh-Gesängen gefeierten Abstieg des Rivalen in Liga Zwei vor einigen Jahren vergessen machen würde.

Für Nicht-Argentinier ist die Bedeutung und emotionale Aufgeladenheit dieses Derbys nur schwer zu verstehen. Für viele Anhänger dagegen ist es eine Feindschaft bis aufs Blut. Der "Superclasico" im Libertadores-Finale ist der Höhepunkt einer Rivalität voller Anekdoten, großer Siege und tragischer Niederlagen auf beiden Seiten. Gleichzeitig ist es ein Duell der Klischees: Arm gegen Reich, "bosteros" (Müllsammler) gegen "millionarios" (Millionäre), Arbeiterklasse und Solidarität gegen kühle Bourgeosie. Dabei ist die Fanbasis beider Vereine soziologisch betrachtet relativ ähnlich.

Restaurant in der Fußgängerzone El Caminito, Stadtteil La Boca, Buenos Aires, Argentinien, Südamerika
La Boca, ein von Migranten geprägtes Hafenviertel in Buenos Aires, ist die Wiege beider KlubsBild: picture-alliance

Auch die Wurzeln sind dieselben. Beide Klubs wurden im stark von italienischen Einwanderern geprägten Hafenviertel La Boca gegründet. Die Boca Juniors bezeichnen sich selbst als "Xeineizes" (Genuesen) und sind dem Viertel bis heute treu geblieben. Bocas Heimstätte, das "Estadio Alberto Jacinto Armando", bekannter als La Bombonera, die "Pralinenschachtel", in dem am 11. November das Hinspiel ausgetragen wird, ist wie das Viertel: eng, laut und die Stimmung auf den drei steilen Stehplatztribünen sagenumwoben. River dagegen kehrte La Boca in den 1920er Jahren den Rücken und zog ins Nobelviertel Nunez, wo es im ausladendenden und von einer Laufbahn umgebenen Stadion "El Monumental" spielt. All diese Gegensätze prägen den "Superclasico" und begründen seinen Mythos.

Hochzeiten werden verschoben

Vom englischen Boulevardblatt "Daily Mirror" wurde Boca-River im vergangen Jahr zum "bedeutendsten Derby der Welt" noch vor Barcelona-Madrid und Celtic-Rangers erklärt; ein Klassiker, den laut "The Guardian" jeder Fußballfan vor seinem Tod einmal miterlebt haben müsse. "Die Partie aller Zeiten", wie das Finale getauft wurde, hat die argentinische Wirtschaftskrise, Inflation und Peso-Entwertung in den Hintergrund gedrängt. Die Gespräche in den Straßen der Hauptstadt, in den Schulen, den Büros und in Whatsapp-Gruppen drehen sich nur um das Spiel. Seit die Spieldaten feststehen (11. und 24. November) werden Sitzungen und Treffen verschoben. Einige stellen sogar die Teilnahme an der Hochzeit eines Freundes infrage.

Ein gewisser @intibonomo twitterte: "Am 24. habe ich eine Hochzeit. Da am selben Tag das Finale River-Boca gespielt wird, sind im Chat Zweifel ausgetaucht. Wird sie verschoben? Die Braut argumentiert, es sei einmal im Leben; die von der anderen Seite verweisen darauf, dass statistisch eine erneute Hochzeit wahrscheinlicher sei als noch einmal ein Libertadores-Finale River-Boca. Was für ein wunderbares Land."