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Maritime CO2-Speicher für den Klimaschutz

Matthew Ponsford
3. August 2021

Maritime Ökosysteme können geschätzt bis zu 20-mal so viel CO2 speichern wie Wälder an Land. Umweltschützer wollen künftig CO2-Zertifikate für den Schutz der Unterwasserwelt, wie Seegraswiesen oder Kelpwälder, vergeben.

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Unterwasserlandschaft mit hügeliger Seegraswiese, Neptungras, Posidonia oceanica
Posidonia: Nicht nur eine üppige Unterwasserwiese sondern einer der ältesten Organismen der ErdeBild: Norbert Probst/ImageBroker/picture alliance

Vor den Küsten der Baleareninseln Ibiza und Formentera erstreckt sich über 15 Kilometer eine große Unterwasserwiese. Diese Wasserprärie bietet nicht nur dutzenden von Fischarten und wirbellosen Meerestieren einen idealen Lebensraum. Posidonia - auch Poseidon- oder Neptungras -, benannt nach dem antiken Gott der Meere, ist vermutlich das älteste Lebewesen der Erde und besteht aus einer riesigen Kolonie von Seegrasklonen. Jeder Ableger ist ein genetisches Duplikat. Wissenschaftler vermuten, dass dieser gewaltige Organismus schon seit mehr als 100.000 Jahren existiert. Und ebenso lange speichert er schon Kohlenstoff im Mittelmeer. 

"Unterhalb der Vegetationsschicht der Posidonia können wir Ablagerungen von organischem Kohlenstoff finden, die sich während der gesamten Lebensspanne der Seegraswiese angesammelt haben", sagt Nuria Marba, eine Meeresforscherin vom Mediterranean Institute for Advanced Studies. Diese Schicht wachse alle tausend Jahre um einen Meter, erklärt die Forscherin. Insgesamt nimmt der riesigen Kohlenstoff-Speicher unter dem mediterranen Meeresboden rund 55.000 Hektar ein - überall von den Meeresgräsern bedeckt.   

Touristen am Strand der Baleareninsel Mallorca
Auch die Folgen des Tourismus' belasten die Seegrasfelder Bild: Marcin Nowak/Zuma/picture alliance

Aber das Seegras ist starken Belastungen ausgesetzt. Der Sturm Gloria, der die Balearen 2020 heimsuchte, war lediglich die jüngste Katastrophe, die dem Biotop zusetzte. Auch die steigenden Wassertemperaturen, extreme Wetterbedingungen, Abwasser-Einleitungen von Touristenresorts und der Landwirtschaft, sowie die Anker von Yachten, die den Meeresboden aufschürfen, haben Spuren hinterlassen. 

Laut einer Studie aus dem Jahr 2012 wurden allein in den vier Jahren davor 11.000 Quadratmeter Posidonia von Yachtankern weggerissen. 

Boote liegen in einer idyllischen Bucht vor der Küste von Ibiza
Boote vor der Küste Ibizas: Ihre Anker fügen dem marinen Ökosystem großen Schaden zu Bild: Aleksandrs Tihonovs/Zoonar/picture alliance

Als die Touristenzahlen während der COVID-Pandemie Berichten zufolge um 87 Prozent  zurückgingen, verschwanden auch viele dieser Stressfaktoren. Marba beschreibt dieses Zeitfenster der Ruhe als "tregua", eine Art "Waffenstillstand" im Krieg, der zwischen Mensch und Unterwasserwelt tobt, und der spätestens mit dem Aufkommen des Massentourismus in den 1970er Jahren seinen Anfang nahm. Für die Wissenschaftler, die den Beitrag der Meere zum Klimaschutz erforschen, kommt dies genau zum richtigen Zeitpunkt. 

Blauer Kohlenstoff zur Eindämmung des Klimawandels  

Seit Juni untersucht die gemeinnützige Organisation Verra, die Preisbildungssysteme für CO2 entwickelt, wie man "die gesamte Meereslandschaft" in das weltweit größte freiwillige System für Kohlenstoffzertifikate, den Verified Carbon Standard (VCS), miteinbeziehen kann.    

Die Bepreisung von CO2 erlaubt es schadstoffproduzierenden Unternehmen, ihre Emissionen durch den Kauf von Gutschriften auszugleichen, mit denen an anderer Stelle Projekte zur CO2 Einsparung finanziert werden. Vereinfacht ausgedrückt erarbeitet Verra Wege, um zu quantifizieren, wie viel CO2 zum Beispiel durch eine Initiative zur Wiederherstellung von Seegras eingespart wird.  

Posidonia-Seegras
Die Posidonia, benannt nach dem klassischen Gott der Meere, ist ein speichert sehr viel Kohlenstoff Bild: W. Fiedler/WILDLIFE/picture alliance

Bewertet man mediterranes Seegras nicht nur mit Blick auf die dort vorkommende Artenvielfalt, sondern auch im Hinblick auf den Klimaschutz, könnte eine "blaue Kohlenstoff"-Bepreisung etwa Naturschutzinitiativen wie demSave Posidonia Project auf Formentera ermöglichen, ihre Arbeit durch den Verkauf von beglaubigten Emissionszertifikaten zu finanzieren. 

"Kohlenstoff-Initiativen wären ein großartiger Weg, um sowohl die Instandsetzung zu unterstützen - durch Anpflanzung, aber auch dadurch, dass die natürliche Erholung von bereits geschädigten Wiesen ermöglicht wird -, als auch weitere Schäden an den Wiesen zu verhindern", sagt Marba.    

Die Meeresforscherin würde es begrüßen, wenn mit Kohlenstoffgutschriften und -ausgleichszahlungen eine bessere Aufbereitung von Abwässern aus den Touristenorten auf Ibiza finanziert würde, ebenso wie die Durchsetzung der Rechtsvorschriften, die im Posidonia-Dekret von 2018 eingeführt wurden, dem ersten Gesetz zum Schutz von Seegraswiesen im Mittelmeer. Dazu gehört zum Beispiel das Verbot, in der Unterwasserprärie vor Anker zu gehen.  

Komplexe Berechnungen   

Im Mai registrierte Verra das erste Blue-Carbon-Schutzprojekt an der Karibikküste Kolumbiens, das durch die nachhaltige Bewirtschaftung eines Mangroven-Ökosystems über einen Zeitraum von 30 Jahren fast eine Million Tonnen CO2 binden soll - das entspricht ungefähr dem CO2-Ausstoß von 7000 Autos auf der Straße.   

Seegraswiesen wie Posidonia stehen dem kaum nach. Verra hat bereits Methoden entwickelt, um die Netto-Kohlenstoffeinsparungen durch den Erhalt von Seegraswiesen zu quantifizieren. Dabei wird ein Bezugswert festgelegt, der zeigt, wie viel Degradation ohne Maßnahmen stattfinden würde, und wie viel Kohlenstoff mit den Schutzmaßnahmen eingespart werden kann - zum einen, indem man verhindert, dass in der Vergangenheit gebundener Kohlenstoff durch die Zerstörung des Meeresbodens freigesetzt wird, zum anderen, indem es der Pflanze ermöglicht wird, durch ihr Wachstum noch mehr CO2 zu binden. 

"Das geschieht normalerweise, indem man sich anhand von Daten aus der Vergangenheit ansieht, was in den letzten 10 Jahren [zum Beispiel] durch Bootsanker passiert ist, die den Meeresboden oder die Seegraswiesen beeinträchtigt haben oder indem man sich ein ähnliches Gebiet ansieht, das den gleichen Stressfaktoren ausgesetzt ist", erklärt Amy Schmid, Entwicklungsmanagerin für natürliche Klimalösungen bei Verra. 

Den Kohlenstoffkreislauf im Meer verstehen 

Kohlenstoff-Kompensationsprogramme zur Finanzierung von Waldschutzinitiativen gibt es seit den 1990er Jahren. Um die Kohlenstoffbindung in der Meeresumwelt zu quantifizieren, bedarf es neuer Ansätze - und das stellt eine besondere Herausforderung dar.  

"An Land stehen mehr Daten zur Verfügung - weil es da viele bestehende Projekte zur Kohlenstoffbilanzierung gibt und auch, weil terrestrische Umgebungen im Allgemeinen besser erforscht sind", so Schmid. "Für blauen Kohlenstoff gibt es einfach in den meisten Fällen noch keine übergeordneten, landesweiten oder provinzweiten Daten über die Degradierung oder die  Veränderung von Ökosystemen im Allgemeinen."   

Projekte an der Küste - wie zum Beispiel das Seegrasprojekt – seien am einfachsten in das Blue Carbon Framework einzubringen, da es hier solide Daten zur CO2-Speicherung gebe. Hier seien Vergleiche mit terrestrischen Umweltsystemen möglich, mit denen Verra seit 15 Jahren Erfahrung hat.  

Fische schwimmen durch einen Kelpwald vor San Benito Island, Mexiko
Auch Kelpwälder speichern viel CO2 - und sind ein artenreicher LebensraumBild: Reinhard Dirscherl/NHPA/Avalon/picture alliance

Schätzungen zufolge können maritime Ökosysteme bis zu 20-mal so viel Kohlenstoff speichern wie Wälder an Land. Aber die Funktionsweise dieser Kohlenstoffkreisläufe ist wissenschaftlich noch nicht abschließend untersucht und das Ziel, "die gesamte Meereslandschaft" miteinzubeziehen, scheint noch in weiter Ferne.   

Mehr Forschung über Seetang tut not 

Sarah Ward ist Beauftragte für lebendige Meere beim Sussex Wildlife Trust. Ihre Naturschutzorganisation hat bereits Anfragen zur Bepreisung von Treibhausgasen erhalten. Dabei geht es vor allem um die Finanzierung der Arbeit der Initiative Help Our Kelp, die sich um die Wiederherstellung eines 40 Kilometern langen Kelpwaldes (Algenwaldes) entlang der britischen Küstenlinie bemüht. 

Aber die Preisgestaltung für die Kohlenstoffbindung von Seetang ist kompliziert.  Während ihrer gesamten Lebensdauer legen Seegräser dichte Kohlenstoffdepots an, indem sie tote und verrottende Teile des Grases in ihren dichten Wurzelsystemen festhalten. Doch Seetang nimmt zwar beim Wachsen viel CO2 auf, er wirft aber auch jedes Jahr fleischige Wedel ab, ähnlich wie ein Laubbaum, die von der Meeresströmung mitgerissen werden. Wo diese und damit der gebundene Kohlenstoff genau landen, ist unklar. Diese fehlenden wissenschaftlichen Daten über die langfristige Bindung von Kohlenstoff schreckt laut Ward potenzielle Investoren ab, die sich für Emissionsgutschriften interessieren. 

Kelp-Pflanzen liegen am Ufer einer Insel
Die CO2-Quantifizierung von Kelp ist kompliziert Bild: blickwinkel/AGAMI/M. Guyt/picture alliance

Derartige CO2-Gutschriften ließen sich nur mit sehr niedrig angesetzten Schätzungen über die CO2-Einsparung verkaufen, berichtet Küstenwissenschaftler Steve Crooks, der seit 15 Jahren für VCS und andere Organisationen an der Entwicklung von Blue-Carbon-Programmen arbeitet. 

"Wir müssen sozusagen Versicherungsprogramme schaffen, um sicherzustellen, dass die Emissionen kontinuierlich aus der Atmosphäre entfernt werden", sagte Crooks. "Aber gleichzeitig ist eine der Lehren, die wir ziehen müssen, dass Kohlenstoffprojekte kompliziert sind. Und wir müssen Geduld haben."