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Städte fördern gesunde Ernährung

5. Februar 2018

Seit zehn Jahren leben weltweit mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Die Vereinten Nationen sagen eine Fortsetzung des Trends voraus. Um hochwertige Ernährung zu sichern, fördern immer mehr Städte den Ökolandbau.

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Deutschland Einschulung in Nürnberg
Bild: Stadt Nürnberg

In Nürnberg bekommt jeder Erstklässler eine Brotbox geschenkt: Darin enthalten: gesunde Lebensmittel. In der nordbayerischen Metropole findet alljährlich im Februar die weltgrößte Messe für Bioprodukte, deren Anbau und Vertrieb statt. So lag es für die Stadtplaner nahe, mit gutem Beispiel voran zu gehen. Seit 2003 liefern zertifizierte Biocaterer Essen an Kitas, Schulen, Großküchen, für Schüler, Lehrer und Hausmeister werden Kochworkshops angeboten. "Der Bioanteil ist kontinuierlich gesteigert worden - meist ohne Preisanstieg. Inzwischen wird in den Einrichtungen zum Teil frisch gekocht, dadurch bleiben die Nährstoffe besser erhalten, und es ist günstiger als gelieferte Ware", sagt Werner Ebert, Referatsleiter für Umwelt und Gesundheit der BioMetropole Nürnberg. Durch saisonal eingekaufte Ware und die Reduktion des Fleischanteils können die streng kalkulierten Kostenvorgaben eingehalten werden.

Sogar der weltbekannte Christkindlesmarkt setzt auf Nachhaltigkeit: Viele Stände bieten Produkte mit ausgezeichneten BIO-Siegeln an. Die Ware kommt teilweise direkt vom Erzeuger. Nürnberger Bürger können sich bei "Bio auf Tour" zweimal jährlich Biobetriebe und Produkte in der Region ansehen. Und Bio-Bürgerreisen führen Interessierte in Regionen im europäischen Ausland, die auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sind. 

Vom Exotenthema zum Erfolgsmodell

"2003 war die Biostadt Nürnberg ein Exotenthema, mittlerweile erfahren wir viel Unterstützung", freut sich Ebert. Wie kann ich mehr Bio einsetzen? Und woher kommen die Produkte? Mit solchen Fragen beschäftigt sich Ebert, der promovierte Volkswirtschaftler: "Die  Zusammenarbeit macht nie an der Stadtgrenze Halt. Wir sind mit dem Umland vernetzt." So unterstützt Nürnberg eine Streuobstinitiative auf der benachbarten Hersbrucker Alb, vermarktet den Apfelsaft Pom200.

Kind hält Burger in der Hand
Bio statt Fastfood - Der Hamburger ist kein Objekt gesunder ErnährungBild: picture-alliance/Photoshot/PYMCA/N. Bo

Von Biostädten und Ernährungsräten

Mit Städten wie München, Bremen und Karlsruhe haben sich die Nürnberger im Netzwerk 'Biostädte' zusammengeschlossen, um darin kommunale Ernährungspolitik gezielt zu steuern. Gemeinsames Ziel ist es, den Anteil an Bio-Essen in öffentlichen Einrichtungen zu erhöhen. Dazu zählen Kindertagesstätten, Schulen, Verwaltungskantinen, Seniorenheime, Mensen, Krankenhäuser, Justizvollzugsanstalten. 

Studentenleben - Lieblingsgerichte in der Mensa
Nahrung für Hirn und Körper - das Mensaessen verursacht Kosten bei Energie, Personal und Material Bild: picture-alliance/dpa/J. J. Rossig

In Berlin, Köln und Kiel befassen sich Ernährungsräte mit urbaner und solidarischer Landwirtschaft, der Begrünung von Neubauten und der Umgestaltung nicht kontaminierter Brachflächen in Gemeinschaftsgärten. Auch Projekte für ein autofreies, mit Solarenergie betriebenes Viertel, in dem essbare Pflanzen an und auf Gebäuden wachsen, gehören dazu.

Die Bürger werden animiert, die Nutzpflanzen anzubauen und die Stadt sozusagen essbar zu machen: Auf öffentlichen Grünflächen sollen Kartoffeläcker entstehen oder Obstbäume gedeihen. Das kostet die Städte weniger als für die Anlegung und Instandhaltung öffentlicher Grünflächen mit Zierpflanzen. 

Die Landwirtschaftsflächen in der Stadt sollen gleichzeitig zu "Lebensmittelpunken" werden, Orte, an denen Lebensmittel produziert, gehandelt, verarbeitet werden. In Berlin scheint der Bedarf an lokalen Initiativen besonders groß zu sein. Nicht nur, weil in der Bundeshauptstadt viele Menschen auf städtischem Raum leben. Die Stadt verfügt aus dem historischen Kontext über so gut wie keine landwirtschaftlichen Flächen.

Kopenhagen als Vorbild 

Dänemarks Hauptstadt hat mit dem "House of Food" eine Stiftung gegründet, um die Qualität der Mahlzeiten im öffentlichen Bereich zu verbessern und eine nachhaltige öffentliche Esskultur zu schaffen. Köche, Lebensmittelexperten, Lehrer, Ethnologen und Designer bieten Beratungen und Kurse rund ums öffentliche Essen an. Sie klären auf über die Erzeugung der Lebensmittel, Konsum bis hin zum Umweltschutz. Daneben soll mit Hilfe der Spezialisten die Umstellung von herkömmlicher auf Bioqualität gelingen - möglichst mit gleichem Budget, ohne Subventionen.

Essbare Stadt: weniger Fleisch, saisonale Produkte

Neben der Reduktion von Fleisch appellieren die Experten, nicht nur die Filetstücke, sondern möglichst alle Teile der Tiere zu verwerten, vielfältiges Obst und Gemüse aus saisonalem Anbau anzubieten, die Süßigkeiten zu reduzieren, Müll zu vermeiden.

Deutschland Gurkenmarkt im Spreewald
Direktvermarktung - Bäuerin mit Gurken und Dill im Spreewald bei Berlin auf dem Weg zum MarktBild: picture-alliance/dpa/P. Pleul

Weichen für die Zukunft stellen

Philipp Stierand gilt als Pionier für das Zusammenwirken von Raum und Ernährung. "In der zivilgesellschaftlichen Diskussion über Ernährung spielt Raum eine wichtige Rolle", erklärt er. "Es geht um Regionalität und um die Herkunft der Lebensmittel." Stierand schrieb seine Promotion über "Stadt und Ernährung". Auf seiner Homepage Speiseräume wirbt er für kommunale Ernährungspolitik und Ernährungsstrategien. "Die Ernährungswende beginnt in der Stadt", sagt er. Denn die Folgen der Verstädterung sind absehbar: Immer mehr urbane Flächen werden bebaut, so dass Böden und Ressourcen des Umlandes beansprucht werden müssen. Lange Produktionswege belasten jedoch die Umwelt. Eine intensive Landwirtschaft laugt die Böden langfristig aus. Tiere in enger Käfighaltung, gemästet mit Antibiotika und Wachstumshormonen, können nicht die Zukunft menschlicher Ernährung sein. Die Achtung vor den tierischen Geschöpfen und die gesunde Ernährung bleiben auf der Strecke.

Deutschland Berlin - Demonstration der Landwirte
"Wir haben es satt" - Demo gegen herkömmliche Landwirtschaft und Massentierhaltung am 20. Januar in BerlinBild: Reuters/H. Hanschke

Gleichzeitig stehen Politik und Zivilgesellschaft vor der Aufgabe, den Klimawandel zu bremsen, sowie die Ernährungssicherheit quantitativ und qualitativ zu sichern. Städte sehen sich in der Verantwortung, Krankheiten einzudämmen, die mit dem Nahrungskonsum einhergehen wie Übergewicht oder Allergien. Nicht zuletzt fordern die Bürger, über die ökologische und die sozial gerechte Produktion der Nahrungsmittel mitzubestimmen. "Die Ernährungsräte, die sich derzeit überall in Deutschland gründen, meist aus der Zivilgesellschaft heraus, sind ein deutliches Signal dafür, dass Verbraucher auf der lokalen Ebene eine Alternative zum Einkauf im Supermarkt und Discounter suchen und organisieren wollen."

Ernährung als Politikum 

"Lebensmittelanbau, Handel und Versorgung sind sehr politisch geworden", fügt Philipp Stierand hinzu. Die Verbraucher versuchten die Entscheidungen über gesunde Ernährung an die Politik zu delegieren. Einerseits. Andererseits werden die Ressourcen knapper.

Dr. Philipp Stierand
Stierand: "Der regionale Anteil der Ernährung mit Marktständen, Tante-Emma-Läden und Direktvermarktung ökologischer Produkte wird zunehmen"Bild: Anke Sundermeier

Die Schäden in Gewässern und Ökosystemen, die durch Stickstoffdünger-Einträge in der konventionellen Landwirtschaft entstehen, seien auf Dauer zu teuer, meint Stierand. Die Wasserqualität, den Erhalt der Artenvielfalt, Klimagase und andere Aspekte müssten in Zukunft stärkere Beachtung finden bei der Bewirtschaftung des Bodens. "Die Versorgung wird vielfältiger. Noch ist sie national bis global organisiert. Der regionale Anteil der Ernährung mit Marktständen, Tante-Emma-Läden und Direktvermarktung ökologischer Produkte wird zunehmen", da ist sich Philipp Stierand sicher. "Das Regionale ist ein Instrument, auf das sich Einfluss nehmen lässt."