Mangroven und Garnelen
13. April 2010Mancherorts sind die Mangrovensetzlinge im Schlick kaum mehr als ein Zeichen. Ein paar dürre Stängel gegen das mächtige Meer. Doch sie signalisieren Hoffnung. Die Hoffnung, dass es vielleicht nicht so schlimm wird, dass es in ein paar Jahren vielleicht doch noch ein Leben gibt für die Menschen im Mekong-Delta, auch wenn der Meeresspiegel steigt.
Das weitverzweigte Mündungsgebiet des Mekong mit seinen hunderten von Nebenarmen gehört zu den fruchtbarsten Gegenden Vietnams. Zwischen dem dichten Geflecht an Wasserläufen wechseln sich Zuchtteich-Anlagen und Landwirtschaftsflächen mit Dörfern ab. Hier wächst der Reis, der Vietnam vom Hungerleider zu einem der Hauptreisexporteure gemacht hat, hier werden die Shrimps gezüchtet, die Arbeit und Auskommen versprechen – das Land gehört zu den führenden Shrimps-Exporteuren. Und hier wohnen die Menschen, die um ihre Zukunft fürchten müssen. Das dicht besiedelte Flussdelta könnte schon bald zu den Verlierern des Klimawandels werden. Bei einem Anstieg des Meeresspiegels, wie er befürchtet wird, wäre hier Land unter. Nur das topografisch ähnliche Bangladesh muss noch Schlimmeres befürchten.
Der große Kahlschlag
Schutz vor den Fluten versprechen den Deichen vorgelagerte Mangrovenwälder – wenn es sie denn gibt. Die weiten Wurzelwerke schützen vor Flut und Versalzung, sie regulieren das lokale Klima und den Wasserhaushalt. Auch in Vietnam wurden Mangroven großflächig abgeholzt. Etwa die Hälfte verschwand in den letzten Jahrzehnten. Sie wurden zunächst Opfer der Not: Die meisten Mangrovenwälder wurden nach den Verheerungen des Vietnamkrieges zur Nutzholzgewinnung gerodet. Seit einigen Jahren fallen die Mangroven wie in vielen anderen Ländern Garnelen-Farmen zum Opfer. Der Flächenverbrauch für Aquakulturen hat sich in den letzten 15 Jahren in den Küstengebieten des Mekongs mehr als verzehnfacht. Der Boom brachte viel Geld in die Region, hatte aber auch fatale ökologische Folgen: Tiere und Pflanzen verlieren ihren Lebensraum, der Boden versalzt und ist über viele Jahre nicht mehr nutzbar, Antiobiotika und Chemikalien aus den Shrimps-Becken verseuchen das Grundwasser.
Garnelen oder Mangroven – der Gegensatz von wirtschaftlichen und ökologischen Interessen scheint, wie so oft, auf den ersten Blick unüberwindbar. Doch eine Lösung könnte heißen: Garnelen und Mangroven. "Wir haben das Zukunftsmodell", sagt Stefan Bergleiter, der beim ökologischen Anbauverband Naturland für Aquakulturen zuständig ist.
International geförderte Projekte zur Wiederaufforstung der Mangroven gibt es schon seit Ende der 1990er Jahre. Naturland kombiniert dies aber nun mit der Förderung von umweltfreundlicher Garnelenzucht. "Die Idee ist: Wir fördern die Wiederaufforstung, lassen aber Aquakulturen weiter zu", sagt Bergleiter. Für das Öko-Zertifikat von Naturland müssen Shrimps nicht nur ohne jegliche Zusätze gezüchtet werden, mindestens die Hälfte der bewirtschafteten Fläche muss auch von Mangroven bewachsen sein – wer Bio-Shrimps verkaufen will, darf also nicht roden oder muss Bäume neu pflanzen. Die Einhaltung dieser Richtlinien wird regelmäßig durch unabhängige Institute kontrolliert.
"Ökologisch und ökonomisch sinnvoll"
"Es ist ökologisch und ökonomisch einfach das Sinnvollste, das sehen auch die Bauern zunehmend so", sagt Bergleiter, der selbst häufig vor Ort ist. Meist sind es bestehende Farmen, die umgewandelt werden. Nicht so sehr aus Sorge um das Klima, sondern wegen handfester wirtschaftlicher Vorteile: Bio-Shrimps brauchen weniger Futter und sind resistenter gegen Krankheiten, argumentiert Bergleiter. Man kann sie deutlich teurer verkaufen und auch noch Gewinne aus der forstwirtschaftlichen Nutzung der Mangroven einstreichen. Mehr als tausend Farmen mit einer Gesamtwirtschaftsfläche von 6200 Hektar werden inzwischen von Naturland zertifiziert – noch ist es nur ein Bruchteil. Der wächst aber. "Mittelfristig wollen wir den ganzen Kuchen", sagt Bergleiter – Bio-Shrimps sollen die Regel, nicht die Ausnahme sein.
Vor zehn Jahren zertifizierte Naturland die erste Shrimps-Farm in Ecuador. Auch in Peru, Indonesien, Burma und Brasilien werden inzwischen Bio-Shrimps gezüchtet. Mit dem Zertifikat für Aquakulturen steht Naturland nicht alleine. Das Naturland-Label gilt aber als das durchdachteste. "Die begucken sich das Gesamtbild schon genau", sagt Heike Vesper, Fischereiexpertin des WWF (World Wide Fund For Nature), eine der größten Naturschutzorganisationen der Welt. Shrimps-Zucht bleibt für sie nach wie vor problematisch, aber die Naturland-zertifizierten Framen seien ökologisch gesehen "mit Abstand das Beste auf dem Markt".
Die Idee mit den Garnelen und Mangroven scheint also für alle Beteiligten ein Gewinn zu sein: Der Bauer am Mekong kann mehr Geld verdienen, der Konsument in den Hauptabnehmerländern Europa, USA und Japan mit besserem Gewissen gesündere Shrimps genießen – und ganz nebenbei auch noch dazu beitragen, dass das Mekong-Delta eine Zukunft hat. Auch wenn das Wasser steigt.
Autor: Oliver Samson
Redaktion: Ranty Islam