Bilder des Schreckens aus Srebrenica
2. Juni 2005Das UN-Kriegsverbrechertribunal ICTY in Den Haag zeigte bei einer Zeugenvernehmung am Mittwoch (1.6.) zum ersten Mal Video-Aufnahmen vom Massaker in der bosnischen Stadt Srebrenica im Juli 1995. Das Material bestätigt, so die Auffassung der Anklage, dass die serbische Regierung in Belgrad damals an der Ermordung von 7.000 Bosniaken beteiligt war.
Das Massaker vor zehn Jahren
Mehr als 7.000 muslimische Männer wurden vom 11. bis zum 19. Juli 1995 durch serbische Truppen ermordet. Nach monatelanger Belagerung hatten Anfang Juli 1995 die Truppen der bosnischen Serben die ostbosnische Stadt Srebrenica eingenommen. Die Opfer wurden in der Stadt und in den umliegenden Dörfern zusammengetrieben und anschließend erschossen. Ihre Leichen wurden in Massengräber geworfen, später ausgegraben und an anderen Orten wieder verscharrt, um den Massenmord zu vertuschen. Dies alles ist bekannt, auch durch Geständnisse einiger serbischer Soldaten.
Gerät Milosevics Verteidigungsstrategie ins Wanken?
Das Kriegsverbrecher-Tribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag wertet das Massaker an wehrlosen Zivilisten als Völkermord. Ein ranghoher bosnisch-serbischer General wurde schon wegen des Genozids rechtskräftig verurteilt. Sein Chef, Ratko Mladic, ist jedoch immer noch auf der Flucht - in Serbien, wie man vermutet. Dem ehemaligen Machthaber in Belgrad, Slobodan Milosevic, wird in Den Haag seit 2002 der Prozess gemacht - unter anderem wegen Völkermordes in Bosnien. Bisher konnte er sich mit der Behauptung verteidigen, Serbien habe mit den Verbrechen der bosnischen Serben nichts zu tun.
Schwierige Beweisführung
Nun aber ist die Anklage im Besitz eines Video-Bandes, das beweisen soll, Paramilitärs des Belgrader Geheimdienstes hätten an den Erschießungen von Srebrenica teilgenommen. Mit dem Fund überraschte am Mittwoch (1.6.) Jeffrey Nice, der Ankläger in Den Haag, Obrad Stevanovic, einen ehemaligen hohen Polizei-General Serbiens: "Könnte es denn nicht sein, dass eine Einheit unter dem Kommando der Polizei Serbiens, die sich Skorpionen nennt, in der Republik Srpska war und an der Ermordung der Menschen aus Srebrenica teilgenommen hat. Könnte das sein?" Stevanovic darauf: "Wenn es um die regulären Einheiten geht, kann so etwas absolut nicht gewesen sein. Wenn es um die Spezialeinheiten der Staatssicherheit geht, davon habe ich keine Kenntnis, glaube aber nicht daran."
Schockierter Zeuge
Doch dann zeigte Nice Ausschnitte aus dem zweistündigen Video-Band. Darin sind unter anderem Männer in serbischen Uniformen zu sehen, zum Teil mit roten Baretten. Schwitzend und schimpfend ziehen sie sechs Zivilisten mit verbundenen Händen aus einem Lastwagen. Dann schießen sie. General Stevanovic war schockiert: "Weil ich aufgeregt bin, muss ich sagen, dies ist eine der monströsesten Aufnahmen, die ich im Fernsehen je gesehen habe. Live habe ich, natürlich, nicht einmal etwas Ähnliches gesehen, nicht einmal einen Mord. Ich bin entsetzt, dass sie diese Aufnahmen in Verbindung mit meiner Aussage vorgeführt haben." Der Ankläger Nice ließ sich nicht beirren. Er deutete an, der Zeuge sei für die Entsendung der Paramilitärs mitverantwortlich gewesen.
Srebrenica-Video als Vergangenheitsbewältigung
Das Video-Band ist in Serbien vor mehr als einem Monat aufgetaucht. Die Staatsanwaltschaft des Belgrader Sondergerichts für Kriegsverbrechen hat inzwischen bestätigt, letzte Woche Ermittlungen eingeleitet zu haben. Bürgerrechtlerin Natasa Kandic sagt, einige der Männer aus dem Video lebten weiterhin in Serbien. Gut beschützt seien sie bisher gewesen, weil sie in den ehemaligen Kriegesgebieten Plünderungen im großen Stil für die Polizei-Chefs durchgeführt hätten. Kandic betont: "Am schrecklichsten ist diese Aufnahme natürlich für die Opfer. Die serbische Öffentlichkeit muss es viele Male sehen, um zu verstehen, warum Srebrenica unsere Vergangenheit ist, die bewältigt werden muss. Es gibt keinen Grund mehr für das Schweigen in Serbien. Wir müssen uns mit Milosevics Hinterlassenschaft auseinandersetzen."
Filip Slavkovic
DW-RADIO/Serbisch, 2.6.2005, Fokus Ost-Südost