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Lifestyle

Alkoholfreie Bier-Nation?

Nadine Wojcik
13. August 2019

Einst mit blöden Sprüchen bedacht, ist alkoholfreies Bier längst Standard auf der Getränkekarte. Und nicht nur das: Es wird immer beliebter. DW-Autorin Nadine Wojcik ist dem Trend zum alkoholfreien Genuss nachgegangen.

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Bierkrüge
Bild: picture-alliance/dpa/D. Karmann

Mein erstes Bier war eine bittere Erfahrung. Dieses Gerstenkaltgetränk schmeckte nicht. Die Bitterstoffe machten es mir, damals 16, unmöglich, das Lieblingsgetränk der Deutschen auch zu meinem zu machen. Also panschten es meine Freundinnen und ich mit Limonaden und Cola. Das Mischverhältnis wurde im Laufe der Jahre zugunsten des Bieres immer großzügiger, bis ich nach einer langen Eingewöhnungszeit den puren Geschmack für mich akzeptiert hatte.

Aufgewachsen in den 1990er Jahren, hatten wir weder von aufgequollenen Chiasamen, noch von grünen Smoothies oder Tofu-Schnitzeln gehört. Ein gesunder Lebenswandel klang für uns nach Spaßbremse, Fitness als Zeitverschwendung. Während meiner Oberstufen- und Studienzeit kann ich mich nicht an ein einziges von meinen Freunden oder mir bestelltes alkoholfreies Bier erinnern. Die Flaschen mit dem "alkoholfrei"-Schriftzug entdeckte ich höchstens einmal auf Familienfeiern, wenn der abstinente Onkel eingeladen war.

Zwei Männer sitzen im Gegenlicht am Meer und trinken bei Sonnenuntergang Bier (Foto: imago stock&people).
Sommer, Sonne, Bier: Immer mehr Deutsche entscheiden sich für alkoholfreie VariantenBild: imago stock&people

Seitdem hat sich die Bier-Welt weitergedreht, sowohl geschmacklich als auch gesellschaftlich. Alkoholfreies Bier gehört heutzutage zum Standard der Getränkekarte, manchmal stehen sogar mehrere Sorten wie Pils, Kölsch oder Weizen zur Auswahl. Wie selbstverständlich bestelle ich heute im Biergarten an einem heißen Sommertag, an dem mir der Alkohol nicht zu Kopf steigen soll, ein Alkoholfreies - ohne zynischen Kommentar aus dem Freundeskreis. Diesen Trend bestätigen auch Umsatzzahlen: So lag der Absatz von alkoholfreien Sorten laut Deutschem Brauer-Bund im Mai dieses Jahres um 6,5 Prozent über dem Vorjahreszeitraum.

Was ist los mit den Deutschen?

Das Getränk gehört zu jenem Dreiklang der Vorurteile, mit dem ich als Deutsche bisher auf Reisen begrüßt wurde: Rammstein, Bratwurst, Bier! Aus China stammt zwar das bislang älteste gefundene Bierrezept und Mexiko ist Bier-Exportmeister - aber Deutschland hat das Reinheitsgebot. Dieses puristische Lebensmittelgesetz von 1516 macht uns als Bier-Nation weltbekannt und besagt, dass das Getränk nur aus vier Zutaten zu brauen ist: Wasser, Hopfen, Malz und Hefe.

Nachaufnahme von Etiketten von fünf alkoholfreien Bierflaschen (Foto: Imago/Busse).
Im Trend: Bier ohne Alkohol. Umsatzzahlen stiegen im Vergleich zum Vorjahr um 6,7 ProzentBild: Imago/Busse

Nun besteht diese Braukunst aus einem Gärungsprozess, bei dem zwangsläufig Alkohol entsteht. Wie nun soll ein alkoholfreies Bier noch ein wirkliches Bier sein? Darum haben sich die deutschen Braumeister jahrelang gekümmert und zwei aufwendige Verfahren entwickelt: Entweder wird das Ethanol nachträglich entfernt. Oder der Brauprozess wird in dem Moment beendet, wenn der erlaubte Mini-Alkoholgehalt von 0,5 Prozent erreicht ist. Denn auch in alkoholfreiem Bier ist noch Restalkohol. Allerdings in derart geringer Menge, dass sie laut Brauer-Bund "keinerlei physiologische Auswirkungen auf den menschlichen Körper haben."

Waren es anfangs gerade einmal eine handvoll Brauereien, die eine alkoholfreie Sorte anboten, mischen da heute eigentlich alle mit. Denn neben den steigenden Umsatzzahlen für Bier ohne Rausch gibt es noch eine Zahl, die die Brauereien zum Umdenken bringen: Die Deutschen trinken Jahr für Jahr weniger Bier. Waren es 1970 laut dem Online-Portal "Statista" noch rund 140 jährliche Liter pro Kopf, sank der Konsum 2018 auf knappe 100 Liter. "Beim Bier ist das Alkoholfreie die einzige Sorte, die jedes Jahr seit zehn Jahren was draufsetzt", erläutert Marcus Strobl vom Marktforschungsinstitut Nielsen.

Autorin Nadine Wojcik
DW-Autorin Nadine Wojcik Bild: Nadine Wojcik

Auf neuen Geschmack gebracht

Nüchtert Deutschland langsam aus? Mit gerade einmal sechs Prozent am Bier-Marktanteil sicherlich nicht. Dem Aufwärtstrend auf bisher niedrigem Niveau liegt vor allem ein Imagewechsel zugrunde. In den 1970er Jahren kamen die ersten Sorten als Notfall-Getränk für Autofahrer auf den Markt. Die Marke "Bitburger Drive" benannte sich sogar entsprechend. Ab 2010 werben weitere alkoholfreie Biere damit, isotonisch wie ein Sportgetränk zu sein. "Etwas, das ich trinke, wenn ich aktiv bin und Vitamine und Mineralien brauche", erklärt Marcus Strobl. Etwa fünf Jahre später kamen alkoholfreie Radler und Naturradler dazu.

"Alkoholfreies Bier wird mehr und mehr ein Erfrischungsgetränk. Es ist heute ein bisschen so etwas wie ein herber Ersatz für Limo oder Schorle. Die Anlässe, alkoholfreies Bier zu trinken, sind stetig erweitert worden", sagt Strobl. "In Deutschland muss niemand mehr um Bier einen Bogen machen, wenn er bewusst auf Alkohol verzichtet oder alkoholfrei bleiben möchte."

Auf einem Holzbrett steht ein Glas mit pinkfarbener Flüssigkeit, neben liegen Spalten von Melonen (Foto: Imago Images/ Mykolax Panthermedia).
Hmmm lecker! Ohne Alkohol kommt dieser Cocktail mit WassermeloneBild: Imago Images/ Mykolax Panthermedia

Und in Berlin?

Trends hin, Konsumzahlen her: Was sagt ein Barkeeper dazu? An einem lauen Sommerabend in Berlin sitze ich in der Cocktail-Bar nebenan. Alle Tische sind belegt, die Karte bietet eine Vielzahl an Mocktails an, also der alkoholfreien Variante von Klassikern wie "Pina Colada", "Caipirinha" oder "Bloody Mary". Ob er davon mehr verkaufe, frage ich den Barkeeper. Er schüttelt den Kopf. "Aber die Leute trinken grundsätzlich weniger."

Eigentlich erstaunlich, wenn ich bedenke, wie selbstverständlich und gesellschaftsfähig Alkohol - unbestritten gesundheitsschädlich - weiterhin ist. Mir fallen weitere Trends wie "Ecstatic Dance" oder die "Sober Sensation Party" ein: gut angenommene, nüchterne Tanz- und Feier-Veranstaltungen.

Sicherlich sind es Ausnahmen in der Party-Hauptstadt. Und doch stehen sie vielleicht auch für die derzeitige Generation, die künftig die Umsatzzahlen bestimmen wird: Laut Alkohol-Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gaben nur noch 8,7 Prozent der Jugendlichen bis 17 Jahren an, einmal pro Woche Alkohol zu trinken. 2004 lag dieser Wert noch bei 21,2 Prozent.