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SS-Wachmann im Stutthof-Prozess verurteilt

Ben Knight
23. Juli 2020

Ein 93-jähriger ehemaliger KZ-SS-Wachmann ist wegen Beihilfe zum Mord zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt worden. Es könnte das letzte Urteil sein, das ein deutsches Gericht gegen einen NS-Täter verhängt.

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Hamburg Prozess gegen ehemaligen SS-Wachmann
Bild: picture-alliance/dpa/M. Scholz

Das Hamburger Landgericht sah es als erwiesen an, dass Bruno D. verantwortlich ist für Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen während seiner Zeit als SS-Wachmann im Konzentrationslager (KZ) Stutthof. Nebenkläger in dem Verfahren waren rund 40 Überlebende und Angehörige von Verstorbenen.

Die Richterin würdigte die Bereitschaft des ehemaligen SS-Wachmanns, an dem Prozess teilzunehmen und sich die Aussagen der Opfer anzuhören. Allerdings habe er bis zum Schluss verweigert, seine eigene Schuld anzuerkennen. "Sie sahen sich als Beobachter", sagte die Richterin zu dem Angeklagten. 

Die Nebenkläger würden das Urteil begrüßen, erklärt deren Anwalt Stefan Rode. "Denen geht es nicht primär um Rache."

Der Prozess dauerte neun Monate und wurde kurioserweise vor der Jugendstrafkammer verhandelt: Bruno D. war erst 17 Jahre alt, als er seinen einjährigen Dienst als Wachmann im Stutthofer Konzentrationslager im August 1944 antrat.

Auch nach 76 Jahren kann Bruno D. noch verurteilt werden. Mord verjährt nicht in Deutschland. Und seit dem Prozess gegen den Vernichtungslager-Wachmann John Demjanjuk 2011 ist kein konkreter Tatnachweis mehr erforderlich: Für eine Verurteilung reicht es aus, Wachmann in einem KZ gewesen zu sein. Bruno Ds. Fall sei ein "Musterbeispiel für Beihilfe zum Mord", sagte Staatsanwalt Lars Mahnke in seinem Schlussplädoyer am Montag.

Ein kleines Rädchen im Getriebe

Wachmänner wie Bruno D. hätten genau gewusst, was in dem Lager geschehe, argumentierten die Staatsanwälte. Sie hätten Kontakt zu den Gefangenen gehabt, wenn diese außerhalb des Lagers ihren Arbeitsdienst hätten verrichten müssen und die Gefangenen aktiv an einer Flucht behindert.

"Wenn Sie ein Rädchen in der Maschinerie des Massenmordes sind, reicht es nicht aus, nur wegzusehen", sagte Mahnke. Der Angeklagte Bruno D. gab selbst zu, von Gaskammern innerhalb des Lagers gewusst zu haben.

Gedenkstätte Konzentrationslager Stutthof
Ort grausamen Mordens: Gaskammer im KZ StutthofBild: Getty Images/B. Adams

Die Verteidigung stützte sich auf die Bedeutungslosigkeit Bruno D.s im System der Konzentrationslager. In seinem Schlussplädoyer am Montag wies Verteidiger Stefan Waterkamp, darauf hin, dass es bisher in Deutschland kein Tatbestand gewesen sei, ein einfacher SS-Wachmann gewesen zu sein. Außerdem habe die Tätigkeit in einem Wachturm keinen Einfluss auf die 5230 Todesfälle innerhalb des Lagers gehabt. Diese und alle weiteren Verbrechen, so Waterkamp, seien von einer kleinen "SS-Lager"-Gruppe verübt worden, die Zugang zu den Gefangenen gehabt hätten.

Im Prozess meldete sich auch Bruno D. selbst zu Wort. "Ich möchte mich am heutigen Tag bei all jenen entschuldigen, die diesen Wahnsinn miterleben mussten. So etwas darf sich nie wieder wiederholen" sagte er in einer letzten Stellungnahme am Montag.

"Das machen nicht viele Angeklagte," bemerkt Verteidiger Waterkamp. Und ergänzt: "Er hat sich immer auseinandergesetzt mit dem, was passiert ist."

Konzentrationslager Stutthof
Fast 68.000 Menschen kamen im KZ Stutthof ums Leben, darunter 28.000 JudenBild: USHMM, courtesy of Muzeum Stutthof

Lager-Zustände in Stutthof

Im Januar sagte in dem Prozess in Hamburg der 97-jährige ehemalige Stutthof-Gefangene Johan Solberg aus Norwegen aus. Er sagte, er sei Zeuge von elf Hinrichtungen gewesen, darunter auch die von Kindern. Außerdem habe er gesehen, wie etwa 100 Gefangene, die meisten davon Juden, täglich in die Gaskammern geschickt wurden.

Das KZ-Stutthof war das erste Konzentrationslager, das die Nationalsozialisten außerhalb der deutschen Grenzen errichteten. Es gehört zu den letzten KZs, die befreit wurden. Stutthof liegt rund 30 Kilometer östlich von Danzig im nördlichen Polen. Es war bereits einen Tag nach dem deutschen Überfall auf Polen am ersten September 1939 als Gefangenenlager einsatzbereit.

Bis 1945 kamen geschätzt zwischen 63.000 und 65.000 Menschen in Stutthof ums Leben, darunter etwa 28.000 Juden. Die Menschen starben durch Krankheiten, harsche Arbeitsbedingungen, mangelnde medizinische Versorgung oder durch Hinrichtungen und Mord. Seit 1944 wurden auch Gaskammern eingesetzt. Viele Gefangene starben auch auf Todesmärschen am Ende des Krieges.

Polen Gedenkstätte ehemaliges KZ Stutthof
Heute ist Stutthof eine GedenkstätteBild: picture alliance/NurPhoto/M. Fludra

Der letzte Prozess gegen NS-Verbrecher?

Zwar gibt es noch weitere Verfahren gegen NS-Täter. Das Alter der Angeklagten legt aber den Schluss nahe: Das Urteil gegen Bruno D. könnte das letzte gewesen sein, das ein deutsches Gericht gegen einen NS-Verbrecher aussprechen wird.

Nur drei Monate nach Beginn des Prozesses gegen Bruno D. wurde ein weiterer ehemaliger Stutthof-Wachmann, der 95-jährige Johann R., im Februar 2019 für prozessunfähig erklärt. Auch der Prozess gegen den Auschwitz-Arzt, Hubert Z., wurde 2017 in Neubrandenburg eingestellt, nachdem der 96-Jährige an Demenz erkrankt war.

Es liegt über drei Jahre zurück, dass die letzten beiden Urteile in NS-Verfahren gesprochen wurden. Im Juli 2015 verurteilte ein Gericht in Lüneburg den "Buchhalter von Auschwitz", Oskar Gröning, zu einer vierjährigen Haftstrafe wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen. Im Juni 2016 wurde ein ehemaliger SS-Wachmann in Auschwitz, Reinhold Hanning, von einem Gericht in Detmold wegen Beihilfe zum Mord in 170.000 Fällen verurteilt. Er ging in Berufung, starb jedoch, bevor das Gericht darüber entscheiden konnte. In Polen fanden in den späten 1940er-Jahren eigene Stutthof-Prozesse statt. Etwa 78 Wachmänner wurden verurteilt, einige von ihnen wurden hingerichtet.