Beutekunst aus Afrika?
2. Dezember 2013Gegenüber der weltberühmten Museumsinsel Berlin, auf der größten Kulturbaustelle Deutschlands, drehen sich die Kräne. 2019 soll dort das Humboldtforum eröffnen. Sein Herzstück: die Sammlungen des Ethnologischen Museums Berlin. Deren Exponate, zum größten Teil aus Kulturen außerhalb Europas, führen bisher ein Schattendasein am Stadtrand. Der Umzug ermöglicht eine "wirklich gleichwertige Präsentation gegenüber den sogenannten Hochkulturen auf der Museumsinsel", sagt Hermann Parzinger, Präsident der übergeordneten Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Doch ein Bündnis kritischer Berliner Initiativen, "No Humboldt 21", stößt sich an der kolonialen Herkunft zahlreicher Sammlungsobjekte.
Koloniale Plünderungen
"Wir haben hier eine der größten Sammlungen an Beutekunst überhaupt", sagt Politikwissenschaftler Joshua Kwesi Aikins. Ein wichtiger Teil der Museumssammlung stammt aus der früheren deutschen Kolonie Kamerun, wo damals "Schutztruppen" am Werk waren. In Wahrheit handelte es sich, so Aikins, "um ein koloniales Überfallkommando, das dortige Gemeinschaften erobert und teilweise zerstört hat". Plünderungen inklusive. Zahlreiche Objekte wechselten zwar gewaltfrei den Besitzer - als Geschenk, durch Kauf oder Tauschhandel. Aber "in einer Konstellation, wo eindeutig die Macht bei den Kolonialherren lag, kann von Tausch nicht die Rede sein", moniert Historiker Christian Kopp: "Häufig war es heimlicher Diebstahl, Erpressung oder Beute."
Kulturpolitische Schieflage
Das weckt ungute Erinnerungen: Auch Kunstwerke, die während der NS-Herrschaft jüdischen Eigentümern entwendet wurden, landeten massenhaft in deutschen Museen. Die Aufarbeitung wurde jahrzehntelang verschleppt, viel zu spät steckte die Bundesrepublik Geld in die Provenienzforschung. Vor der Herkunft kolonialer Museumsstücke, gerade aus Afrika, verschließt man noch heute oft die Augen. Und das, während auf höchster politischer Ebene die Rückgabe von Beutekunst aus dem Zweiten Weltkrieg gefordert wird - von Kunstwerken also, die alliierte Soldaten aus Hitler-Deutschland abtransportiert hatten. Eine kulturpolitische Schieflage.
Geschenk oder Diebstahl?
In Berlin ist das prominenteste Objekt aus Kamerun der perlenbesetzte Thron von Njoya, dem König der Bamum - offiziell ein Geschenk an Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1908. Doch hinter der Schenkung stand massiver politischer Druck. Njoya entschied sich angesichts dessen für eine Zusammenarbeit mit den Deutschen und versuchte politisch auf Augenhöhe zu agieren. Dieser Teil der Geschichte wird nun transparent gemacht: anhand von Dokumenten, die das Museum in der "Humboldt-Box" präsentiert, einer Vorschau aufs Humboldtforum.
Offizielle Restitutionsforderungen gibt es nicht. Der Thron könne in Berlin bleiben, ließ der heutige Sultan von Bamum noch vor wenigen Jahren wissen. Doch einige Kameruner Intellektuelle sehen das anders. Von "Diebstahl" spricht Schriftsteller Patrice Nganang, der sich detailliert mit der Kolonialzeit befasst hat: "Die Schenkung ist unter betrügerischen Umständen zustandegekommen". Und Jean-Emmanuel Pondi, Professor für Internationale Beziehungen, verweist auf die UN-Charta und die Selbstbestimmung der Völker. "Die schließt das Erbe der Völker ein. Darum kann man nicht sagen, dass solche Objekte Deutschland, Frankreich oder Großbritannien gehören. Juristisch gesehen ist das nicht vertretbar."
Recht versus Ethik
Ob Thron oder Alltagsobjekt, Maske oder Skulptur: häufig erhielten Museen Objekte von Sammlern, die während der Kolonialzeit in Afrika unterwegs waren. Ganz legal nach damaligem, von Europäern oktroyiertem Recht. Legal auch heute noch, sagen die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und profilierte Kunstrechts-Experten. Das Thema beschäftigt auch das Ethik-Komitee des Internationalen Museumsrates. "Eng juristisch gesehen, sind die Objekte legal aus den Kolonien nach Europa gebracht worden", sagt dessen Präsident Martin Schärer, "damit kommt man jedoch nicht viel weiter". Für die Praxis an Museen heißt das unter anderem, Wege der Zusammenarbeit mit Kollegen aus den Herkunftsländern zu finden, um die Forschung zu intensivieren und gegenseitige Ausstellungen auf den Weg zu bringen. Ein Beispiel: Berlin besitzt rund 300 Bronzen aus der nigerianischen Stadt Benin. 1897 von britischen Truppen geraubt, gelangten sie auf den Kunstmarkt.
Keine Kassenbons
"Natürlich haben wir mehr als 100 Jahre danach Bauchgrimmen", sagt Peter Junge, Leiter der Afrika-Abteilung am Ethnologischen Museum. "Wir sind gemeinsam mit Vertretern aus Nigeria übereingekommen, nicht mehr über die Frage der Legalität zu sprechen, sie führt zu nichts. Wir haben uns als gemeinsames Ziel gesetzt, die Objekte in Nigeria in Ausstellungen zu zeigen." Diese Zusammenarbeit ist auch deshalb möglich, weil die Herkunft der Bronzen recht gut dokumentiert ist. Doch das lässt sich nur von einem Bruchteil der Sammlungsobjekte sagen. "Da gibt es vielleicht eine Quittung, eine Aufzeichnung, einen Tagebucheintrag", erläutert Hermann Parzinger, "aber natürlich keine Kassenbons und Rechnungen mit Stempeln". Kurz: Ethnologische Museen kennen die Herkunft ihrer Bestände oft nur rudimentär.
Überfällige Debatte
Gelegentlich kommt es dennoch zu Rückgaben. 2003 etwa bekam Simbabwe vom Ethnologischen Museum Berlin eine spirituell bedeutsame Vogel-Figur wieder. Der No-Humboldt-Initiative genügt das nicht. Sie drängt die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Gelder zur Provenienzforschung einzufordern - "lautstark und öffentlich" wie Joshua Kwesi Aikins betont. "Und die Dinge transparent unter Beteiligung der entsprechenden Communities aufzuarbeiten." Diese Kooperation sei "noch extrem ausbaufähig", räumt Stiftungspräsident Parzinger ein. "Ich denke, dass die Initiative wichtig ist insofern, als sie uns ein bisschen unter Druck hält, die Zusammenarbeit mit diesen Gruppen wirklich ernst zu nehmen. Meine große Hoffnung für das Humboldtforum ist, dass es ein Ort wird, der auch von anderen Kulturen als ihr Ort verstanden wird."
Das könnte man von Australien lernen, wo oft Kunst der Aborigines in Museen landete. "Wenn man Wissen gewinnt, das aus der Ursprungsgesellschaft stammt, nützt das auch den Museen, selbst wenn potentiell Restitutionsansprüche erhoben werden können“, sagt Kunstrechts-Expertin Ana Filipa Vrdoljak aus Sydney. "Meiner Erfahrung nach ist die Angst, ein Schleusentor zu öffnen, unbegründet. Oft passiert sogar das Gegenteil: Communities schenken den Museen im Gegenzug andere Objekte." So weit ist man in Berlin noch nicht. Aber die längst überfällige Debatte ist eröffnet.