Berlin wartet bisher vergeblich auf Signale aus Hanoi
21. Dezember 2017Außenminister Gabriel erinnerte die ganze Geschichte an "finstere Filme aus dem Kalten Krieg". Ende Juli 2017 entführten vietnamesische Geheimagenten den vietnamesischen Politiker und ehemaligen Ölmanager Trinh Xuan Thanh, der in Deutschland Asyl beantragt hatte, aus dem Tiergarten in Berlin. Der 51-jährige wurde anschließend gegen seinen Willen nach Vietnam verbracht. Zwei vietnamesische Diplomatenmussten Deutschland auf Geheiß der Bundesregierung verlassen. Das Auswärtige Amt erklärte, Vietnam habe gegen nationales und internationales Recht verstoßen.
Die Ermittlungen der deutschen Behörden in dem Fall sind nicht abgeschlossen. Doch die bisher bekannt gewordenen Beweise sind erdrückend. So wurde die Entführung im Tiergarten von Passanten beobachtet und sofort an die Polizei gemeldet. Das in Tschechien angemietete Entführungsfahrzeug war mit einem GPS ausgestattet, so dass die Fahrt vom Tiergarten in die Berliner Botschaft in der Elsenstraße rekonstruiert werden konnte. Auf Deutscher Seite gibt es wenig Zweifel: Trinh Xuan Thanh wurde entführt.Die vietnamesische Seite bestreitet bis heute alle Vorwürfe und behauptet, dass Thanh sich freiwillig gestellt habe.
Belastungsprobe für die Partnerschaft
Aus deutscher Sicht riskiert Vietnam mit der Tat die guten Beziehungen beider Länder. Offensichtlich hat die innenpolitische Auseinandersetzung in Vietnam, in der Trinh Xuan Thanh eine Rolle spielt, mehr Gewicht als die Partnerschaft mit Deutschland. Thanh gilt als Mitglied eines Netzwerks von Politikern, das nach dem letzten Parteitag der Kommunistischen Partei Vietnams im Januar 2016 kaltgestellt wurde.
Die aktuellen Spannungen sind umso bedauerlicher, als die deutsch-vietnamesischen Beziehungen seit Jahren eine echte Erfolgsgeschichte sind. Es läuft auf allen Ebenen gut. Wirtschaftlich ist Deutschland der wichtigste EU-Handelspartner Vietnams. 2016 lag das Handelsvolumen bei mehr als acht Milliarden Euro. In Kultur und Wissenschaft gibt es seit Abschluss eines Kulturabkommens im Jahr 1990 vielfältige Beziehungen. Im Wintersemester 2014/15 studierten rund 5500 vietnamesische Studenten an deutschen Universitäten. Die gut besuchten Deutschkurse am Goethe-Institut in Hanoi und in der Zweigstelle in Ho-Chi-Minh-Stadt belegen, wie groß das Interesse an deutscher Sprache und Kultur ist. In der Entwicklungszusammenarbeit hat Deutschland zuletzt 2017 mehr als 160 Millionen Euro zugesagt, die in die Schwerpunkte berufliche Bildung, Energie und Umwelt fließen sollen. Politisch pflegen beide Länder seit 2011 eine strategische Partnerschaft. Zentraler Bestandteil der Kooperation ist dabei der deutsch-vietnamesische Rechtsstaatsdialog, bei dem Deutschland das Partnerland Vietnam bei Gesetzgebungsvorhaben, der Weiterentwicklung des Rechtssystems, aber auch der Weiterbildung von Richtern oder Anwälten berät.
Entwicklungszusammenarbeit ohne Perspektive
Doch da Vietnam aus Sicht der Bundesregierung bis heute auf den Vorfall nicht angemessen reagiert hat, wurde die strategische Partnerschaft im Oktober 2017 ausgesetzt. Was das im Einzelnen bedeutet, lässt sich nur schwer ermessen, da wichtige Institutionen, die für die konkrete Umsetzung deutscher Entwicklungszusammenarbeit zuständig sind, wie die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) oder die KfW-Bank zu einzelnen Projekten keine Auskünfte geben. Auf Anfrage der DW verwiesen sie jeweils auf das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Das zeigt, dass die causa Thanh zuerst auf politischer Ebene geklärt werden muss.
Eine Sprecherin des BMZ erklärte auf Anfrage der DW: "Das BMZ hat nach Bekanntwerden des Entführungsfalls sofort auf die veränderte Situation reagiert. Die Entwicklungszusammenarbeit ist gegenüber den vietnamesischen Partnern zurzeit zurückhaltend." Das bedeutet, dass aktuell laufende Projekte zwar fortgesetzt, aber keine neuen Abkommen unterzeichnet werden. Ebenso steht die Anschlussfinanzierung laufender Projekte infrage. Das gilt auch für den Rechtsstaatsdialog. Dass die Projekte zumindest zu Ende geführt werden, hat auch damit zu tun, dass es im Interesse Deutschlands ist, etwa die Rechtsstaatlichkeit oder den Kulturaustausch zu fördern. Als Begründung für das Einfrieren der Entwicklungszusammenarbeit gab das BMZ an, dass die Wahrung der Menschenrechte ein zentrales Anliegen der Entwicklungszusammenarbeit Deutschlands sei und Verstöße gegen diese nicht einfach hingenommen werden könnten.
Wirtschaftliche Großprojekte, wie der Bau einer U-Bahn in Ho-Chi-Minh-Stadt durch das Unternehmen Siemens und das kurz nach der Entführung fertiggestellte Deutsche Haus waren durch den Fall Trinh Xuan Thanh nicht betroffen, wie die taz berichtete.
Warten auf die Vietnamesen
Wie die Deutsche Welle aus dem Auswärtigen Amt erfuhr, ist aktuell die visafreie Einreise für alle Inhaber vietnamesischer Diplomatenpässe vorerst ausgesetzt. Hochrangige Regierungskontakte würden zurückgefahren. Der Kontakt der DW im Außenministerium erklärte außerdem, dass die Beziehungen beider Länder eng und vertrauensvoll gewesen seien, aber durch die Entführung großen Schaden genommen hätten.
Deutschland habe der vietnamesischen Seite Forderungen übermittelt. Thanh müsse ein rechtsstaatliches Verfahren bekommen und internationale Prozessbeobachter müssten zugelassen werden. Die Bundesregierung und die deutsche Botschaft in Hanoi beobachteten die Entwicklung genau und erwarteten positive Ergebnisse. Die vietnamesische Seite wisse, was zu tun sei, um den Schaden zu beheben. Der Prozess gegen Thanh wegen Veruntreuung von Volksvermögen soll im Januar beginnen.
Eine Anfrage der Deutschen Welle auf Stellungnahme durch die Botschaft der Sozialistischen Republik Vietnam in Deutschland blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.