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Wahlen in schwierigem Umfeld

Kay-Alexander Scholz, Berlin18. September 2016

2,5 Millionen Berliner sind aufgerufen, ihre Stimme abzugeben. Wer wird die deutsche Hauptstadt in den kommenden fünf Jahren regieren? Einfach ist es für niemanden in der Stadt - auch nicht für Politiker.

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Die Kontrahenten: CDU-Innensenator Frank Henkel und SPD-Bürgermeister Michael Müller (Foto: Dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/G. Fischer

"Dit is Berlin", seufzen Berliner, Zugezogene oder auch Touristen gerne, wenn sie mal wieder an Berlin verzweifeln. Der Satz ist eine Art Beruhigungsmantra. Wenn der öffentliche Nahverkehr im Chaos feststeckt, Baustellen zur finalen Geduldsprobe werden oder es Monate dauert, bis auf dem Bürgeramt ein Termin frei ist, um das Auto anzumelden. In solchen Momenten merkt man als Einwohner der deutschen Hauptstadt, wie sehr Berlin von seiner eigenen Dynamik überfordert ist.

Am meisten diskutiert werden derzeit zwei Themen: Da ist zunächst das Milliardengrab BER. Wann der neue Flughafen öffnet, ist noch immer ungewiss. Ein anderes Aufregerthema ist der Zustand vieler Schulen. In den neubürgerlichen Vierteln der Stadt sind die Kinderzahlen explodiert. Nun fehlen Schulen. Inzwischen müssen Kinder in Containern unterrichtet werden. In anderen Schulen bröckeln die Wände oder es tropft von der Decke. So gleicht das prägende Erlebnis Bildung für manche Berliner der neuen Generation inzwischen eher einem Trauma.

Auf dem Sprung zur Weltstadt

Jedoch: Zur Ehrlichkeit gehört bei dieser Diskussion fairerweise dazu, dass vermeintlich gut funktionierende Städte wie München, Frankfurt, Paris oder London eben auch überhaupt nicht mit Berlin zu vergleichen sind! Denn wohl keine andere Stadt hat so viele sichtbaren Wunden im Stadtbild und erfahrbare Seelenverletzungen wie Berlin. Einst Weltstadt, dann zerstört, danach über Jahrzehnte geteilt und dennoch Schnittstelle des Kalten Krieges. Nach 1989 war Berlin - gerade auch in der Verwaltung - zwangsweise das Labor für das deutsch-deutsche Zusammenwachsen von Ost und West.

Nun - nach langem Mauerfall-Kater und hysterischem Berlin-Hype - ist Berlin endlich wieder auf dem Sprung zurück in die Weltliga. Seit der Jahrtausendwende kommen Menschen aus Europa und der ganzen Welt hinzu. Um rund 40.000 Menschen pro Jahr wächst die deutsche Hauptstadt derzeit. Das ist eine riesige Herausforderung an die Infrastruktur der Stadt, deren Folgen der Teilung baulich noch immer nicht vollständig überwunden sind. Regierungshauptstadt, Touristen-Mekka, Sex- und Partyhauptstadt, Start-Up-Magnet sind gängige Beschreibungen über das Leben in Berlin und beschreiben, was parallel auch noch alles passiert und gesteuert werden muss. So mancher Berliner ist einfach nur noch gestresst und fragt sich, wo er bleibt in dieser neuen Welt.

Die ewige Baustelle

Der berühmte Spruch von Ex-Bürgermeister Klaus Wowereit "Arm, aber sexy" stimmt nur noch zum Teil. Das Wirtschaftswachstum ist im deutschlandweiten Vergleich ganz ordentlich, die Arbeitslosenzahlen sind endlich kurz davor, unter die 10-Prozent-Marke zu fallen, die Steuereinnahmen sind hoch. Dennoch hängt Berlin über den Länderfinanzausgleich weiterhin am Tropf der anderen Bundesländer. Und die 60 Milliarden Euro Schulden sind auch noch nicht zurückgezahlt.

Berlin Baukräne Baustelle (Foto: Dpa)
Typische Skyline von BerlinBild: picture-alliance/dpa/M. Tödt

Wer seinen Blick über Berliner Dächer schweifen lässt, sieht Baukräne über Baukräne. Das ist schon seit Jahren so. In Berlin wird gebaut, gebaut, gebaut. Inzwischen sind auch wieder Hochhäuser, also der Inbegriff von Großstadtleben, entstanden, weitere sollen folgen. Parallel wird in den Kiezen bürgernaher gebaut. Der Senat unterstützt Experimente neuen Zusammenlebens. Die Stadt soll schließlich nicht allein den Investoren überlassen werden. Amtsinhaber Michael Müller von der SPD, der in Berlin Regierender Bürgermeister bleiben will, hat kurz vor der Wahl eine Sondersteuer für ausländische Investoren ins Gespräch gebracht, mit dem Ziel Immobilienspekulation nicht ausufern zu lassen. Auch das Thema illegale Ferienwohnungen ist Berlin schon angegangen - schließlich herrscht Wohnungsnot. Airbnb hat es nun nicht mehr so leicht wie in anderen beliebten Hauptstädten, sein Geschäftsmodell umzusetzen. Berlin hat die Chance, und das weiß und sagt man hier auch laut, die Fehler anderer Metropolen nicht zu wiederholen und eine lebenswerte und bezahlbare Großstadt zu bleiben.

Bürgermeister Michael Müller in Berlin (Foto: dpa)
Sah auch schon Mal glücklicher aus: Der alte und wahrscheinlich neue Bürgermeister von Berlin, Michael MüllerBild: picture-alliance/dpa/J. Carstensen

Wahlprognose - SPD führt

Bei all dieser Buntheit in der Stadt verwundert es nicht, dass die Parteipräferenzen in Berlin so verteilt sind wie in keinem anderen Bundesland: Die SPD ist die einzige Partei, die in Umfragen mehr als 20 Prozent hat. CDU, Grüne und - neu - auch die AfD sind nur kurz dahinter und untereinander fast gleich auf. Wobei der CDU Platz zwei wohl sicher ist.

Bundespolitische Themen spielen auch bei diesen Wahlen nur eine untergeordnete Rolle. Schließlich gibt es genügend Themen vor der eigenen Haustür, über die es abzustimmen gilt. Dabei ist die Umzufriedenheit in Berlin traditionell hoch. Das zeigt sich auch vor dieser Wahl. Michael Müller würde die Mehrheit in einer Direktwahl nicht wiederwählen. Auch mit dem Senat, also der Berliner Landesregierung, sind die meisten unzufrieden. Gerade von der großen Koalition aus SPD und CDU hatten sich viele mehr erhofft.

Doch der 51jährige Amtsinhaber will weiter regieren. Öffentlich hat er sich bereits für eine Koalition seiner Partei, der SPD, mit den Grünen ausgesprochen. Doch laut Umfragen wird es dazu nicht reichen. Grund ist die AfD, die alte Mehrheitsverhältnisse verändert. Deshalb gilt mittlerweile eine Dreier-Koalition aus SPD, Grünen und Linkspartei als wahrscheinlich. Doch noch ist nichts entschieden. Kann die CDU vielleicht doch noch stärkste Kraft werden? Noch im August lieferten sich CDU und SPD ein Kopf-an-Kopf-Rennen bei manchen Meinungsforschungsinstituten. Wie könnte dann ein Regierungsbündnis aussehen? Eins ist sicher: Es wird auf jeden Fall genügend Berliner geben, die sich über das Ergebnis aufregen werden. Wie es für einen Berliner nun einmal typisch ist.

Profilfoto AfD-Spitzenkandidat Georg Pazderski (Foto: dpa)
Die AfD - hier Spitzenkandidat Georg Pazderski - bringt auch in Berlin einiges durcheinanderBild: picture-alliance/dpa/P. Zinken