Berlin laviert in der Syrien-Krise
16. April 2018"Das ist für Deutschland zu wenig." So klingt das vernichtende Urteil von Wolfgang Ischinger, dem Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, in der ARD-Talkrunde "Anne Will" am Sonntag Abend. Deutschland stand nur am Rande, als amerikanische, britische und französische Streitkräfte mehrere Ziele in Syrien bombardierten. Der sonst so diplomatische Ex-Botschafter Ischinger kritisiert, die neue Bundesregierung habe "mit großen Worten" im Koalitionsvertrag angekündigt, dass sie auch "weltpolitische Verantwortung übernehmen will", und nun "kommen wir unserer europapolitischen Gesamtverantwortung nicht nach".
Die Bundeskanzlerin, so Ischinger, habe versäumt, eine gesamteuropäische Unterstützung für die Luftangriffe zu organisieren. Der Versuch über ein gemeinsames Papier aller EU-Partner eine europäische Haltung zu definieren, wäre zwar wahrscheinlich gescheitert: Zu viele Staaten scheuten die direkte Konfrontation mit Russland. Doch eine solche deutsche Initiative wäre eine Gelegenheit für Deutschland gewesen zu zeigen, dass Berlin nicht nur Zaungast, sondern Akteur der jüngsten geopolitischen Entwicklung sei, einer Entwicklung zumal, die durch rund eine Million Flüchtlinge aus Syrien, die seit 2015 ins Land gekommen sind, direkten Einfluss auf deutsche Interessen hat.
Kann oder will Berlin sich nicht beteiligen?
Militärisch hätte Deutschland durchaus den Teil leisten können, den die vier britischen Tornado-Kampfflugzeuge bei dem Angriff übernahmen, glauben Militärexperten. Doch die Frage, ob Berlin nicht konnte oder nicht wollte, lässt sich schnell damit beantworten, dass die Bundesregierung sich ohne grünes Licht der Bundestagsabgeordneten nicht beteiligen durfte. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Jeder Einsatz bedarf eines eigenen Mandats. Rein praktisch ist das kurzfristig kaum zu organisieren. Hinzu kommt, dass strategische Details eines jeden Einsatzes zuvor allen Abgeordneten zugänglich gemacht werden müssen. Mit der Vertraulichkeit ist es bei internationalen Einsätzen also immer dann vorbei, sobald die Deutschen ins Spiel kommen. Zwar gibt es Ansätze, die deutsche Einsatzfähigkeit im Rahmen des NATO-Bündnisses oder in einem künftigen EU-Mandat flexibler zu machen, doch praktisch ist die Bundesregierung davon noch weit entfernt.
Deutschland wurde also erst gar nicht gefragt, ob es sich beteiligen willl. Damit findet sich Berlin isoliert von der Entscheidungsfindung über den konkreten Einsatz. Ob das Deutschland auch vor den Folgen eines solchen Einsatzes schützt, fragt Moderatorin Anne Will Norbert Röttgen, den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des deutschen Bundestages: "Es schützt uns nicht", sagt der CDU-Politiker, "aber es drückt aus, dass wir anders sind als diese drei Länder". Zwar sieht sich die britische Premierministerin Theresa May nach ihrer Entscheidung gegen eine Abstimmung im britischen Unterhaus über den Einsatz ihrer Piloten vehementer Kritik ausgesetzt. Gleichzeitig stelle die Öffentlichkeit weder in Grossbritannien noch in Frankreich oder den USA infrage, dass soche Einsätze Teil der Außenpolitik seien: "Das ist in Deutschland nicht so", meint Röttgen.
"Die anderen testen uns"
Gemeinsam ist allen Ländern, dass es weder in Berlin oder in Brüssel, Paris und Washington im siebten Jahr des Konfliktes eine erkennbare Syrien-Strategie gibt. Doch die Tatsache, dass sich Großbritannien und Frankreich zusammen mit den USA an einem Angriff in Syrien beteiligen, während sich Deutschland und andere europäische Länder zurückhalten, sieht Deutschlands ehemaliger Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) als "Spaltung, die wirklich gefährlich ist, weil sie andere Mächte dazu ermuntert, uns zu testen", so Gabriel am Montag in Bonn.
Fragt man die Bundesregierung, so bekommt man den Eindruck, das Land sei durchaus ein aktiver Teil der derzeitigen Strategie. Regierungssprecher Steffen Seibert wiederholt am Montag fast wörtlich das Statement von Bundeskanzlerin Merkel von vergangener Woche: Deutschland unterstütze, "dass unsere amerikanischen, britischen und französischen Verbündeten als ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrats in dieser Weise Verantwortung übernommen haben". Deutschlands Rolle war hier vor allem, weiter Druck auf Russland aufzubauen, das im UN-Sicherheitsrat bisher jeden Vorstoß zu einer politischen Lösung in Syrien blockiert hat.
Zeitgleich warb Deutschlands Außenminister Heiko Maas beim EU-Außenministerrat in Luxemburg für einen neuen Versuch einer politische Lösung. Er will ein "internationales Format einflussreicher Staaten mit neuer Schlagkraft" schaffen. Ein ambitioniertes Vorhaben, nachdem sich die Genfer Verhandlungen unter Vermittlung des UN-Sondergesandten Staffan de Mistura nach neun gescheiterten Runden in der Sackgasse befinden und Russlands sogenannter "Astana-Prozess" keine Pause in den Kampfhandlungen gebracht hat.
Wie soll Berlin mit Moskau umgehen?
An Verhandlungen als dem einzigen Weg aus dem Konflikt wollen die westlichen Partner festhalten. Hier sucht auch Deutschland diplomatisches Profil, sieht eine mögliche neue Dynamik darin, dass auch Russland nach dieser neuen Eskalation auf Fortschritte am Verhandlungstisch drängen könnte, heißt es aus dem Auswärtigen Amt. Dass es ohne Russland keine Lösung geben kann, ist in Deutschland Konsens. Wie man Russland dazu bringt, der Forderung des deutschen Außenministers nach konstruktiven Vorschlägen nachzukommen, bleibt umstritten.
Maas steht nach dem ersten Monat seiner Amtszeit für eine Verschärfung des deutschen Tons gegenüber Moskau, ganz im Gegensatz zu seinem Amtsvorgänger und sozialdemokratischen Parteifreund Sigmar Gabriel. Der hatte zuletzt die Haltung der Bundeskanzlerin, auf den Sanktionen gegenüber Russland zu bestehen, offen kritisiert. Nun warnte sogar Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor einer "galoppierenden Entfremdung" zwischen Russland und dem Westen. Es gebe "praktisch keine Vertrauensbasis mehr", warnte er. Zu Beginn ihrer dritten Amtszeit 2013 sah Bundeskanzlerin Angela Merkel sich bald durch die russische Annexion der Krim als Organisatorin einer europäischen Sanktionspolitik gefordert. Ihre Regierung muss nun beweisen, dass sie im ureigenen Interesse einen Beitrag zur Stabilisierung der Lage in Syrien leisten kann.