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Berlin: Kritiker bemängeln "verheerende" Verkehrspolitik

Ben Knight
9. Februar 2024

Die Initiative für Radwege stockt, höhere Parkgebühren für SUVs wurden verworfen. Warum wird die deutsche Hauptstadt autofreundlicher, während andere Städte das Auto zurückdrängen?

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Blick auf eine stark befahrenen Straße mit LKWs und PKWs, am Straßenrand einige Bäume und hohe Gebäude
Die besondere Geschichte Berlins wirkt sich bis heute auf die Verkehrssituation ausBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Fahrradaktivisten und Umweltschützer in Berlin nennen die Verkehrspolitik der neuen Berliner Stadtregierung aus konservativen Christdemokraten (CDU) und Sozialdemokraten (SPD) "verheerend". Wie die Zahlen der Kampagne "Changing Cities" (Städte im Wandel) zeigen, hat das von Manja Schreiner (CDU) geführte Verkehrsressort kaum ein Drittel seines Ziels für Radwege im Jahr 2023 erreicht: "Gebaut wurden 2023 nur 22,3 km statt der geplanten 60 km."

Am Tag nach der Abstimmung in Paris über die Verdreifachung der Parkgebühren für schwere Geländewagen bekräftigte der Berliner Senat, dass er eine solche Maßnahme nicht in Erwägung ziehe. In Hannover dagegen denkt man offenbar darüber nach.

Verkehrspolitik war eines der umstrittensten Themen bei der Berliner Landtagswahl im Februar 2023. Dabei ging es um die von den Grünen durchgesetzte Fußgängerzone in der Friedrichstraße. Nachdem ein Gerichtsurteil dies auf einem kurzen Abschnitt wieder rückgängig gemacht hatte, versprach die Berliner CDU, die Straße künftig für Autos offen zu halten.

Blick in der Dämmerung über eine Straße mit dichtem Autoverkehr
Januar 2024: Die Friedrichstraße in Berlin ist wieder freigegeben für den AutoverkehrBild: Rüdiger Wölk/IMAGO

"Die Verkehrswende in Berlin wurde abgewürgt", sagte Ragnhild Sorensen, Sprecherin von Changing Cities: "Keine einzige Busspur wurde 2023 neu errichtet, Tramprojekte sind auf Eis gelegt, der Ausbau der Radwege wurde ausgebremst und nun werden sie autofreundlicher umgeplant. SPD und CDU haben uns eine funktionierende Stadt versprochen - bekommen haben wir dreckige Luft und gefährliche Straßen."

Autofreundlichere Stadt Berlin

Verkehrssenatorin Schreiner verteidigte ihre Bilanz in den lokalen Medien mit dem Argument, ihre Vorgängerin von den Grünen habe ebenfalls die Zielvorgaben für Radwege verfehlt. Ihr Ressort habe bei neuen Radwegen Kreuzungen priorisiert, die für Radfahrer besonders gefährlich seien. "Die Debatte muss sich von der Quantität verabschieden, sondern auch den Qualitätsaspekt aufgreifen", sagte sie dem öffentlich-rechtlichen Regionalsender RBB.

Das Thema Verkehr und der Ausgleich der Interessen von Autofahrern, Radfahrern und Fußgängern war 2023 im Wahlkampf in Berlin ein großes Thema. Der neue CDU-Bürgermeister Kai Wegner sagte der "Berliner Morgenpost" zur umstrittenen Friedrichstraße: Wie "die Grünen die Straße hinterlassen haben, passte es einfach nicht zu einer Metropole wie Berlin".

Für Michaela Christ, Mobilitätsexpertin am Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) in Berlin, ist die Debatte zu sehr von Ideologie geprägt. In Berlin herrschten ganz andere Verhältnisse als in Paris, sagt sie der DW: "Hier wurde die Wahl nicht zuletzt mit dem Versprechen gewonnen, alle Maßnahmen zurückzudrehen, die in eine zukunftsorientierte Richtung gehen." 

"Man verkämpft sich in diesem 'Ja zum Auto' oder 'Nein zum Auto'. Das ist ja nicht das Ziel von Mobilitätspolitik. Die größte Herausforderung für die europäischen Städte ist, nicht in diesen Kulturkampf zu verfallen". Es gehe vielmehr darum, gemeinsam vom Ziel her zu denken.

Stau auf einer vielbefahrenen Straße mit Bus, Autos und Radfahrern in der Dämmerung
Die wenigsten Menschen in Berlin sind ausschließlich mit dem Auto, dem Rad oder dem Bus unterwegsBild: Jens Kalaene/dpa/picture alliance

Schließlich nutzten die meisten Stadtbewohner jeden Tag einen Mix aus verschiedenen Verkehrsmitteln. "Die wenigsten Berlinerinnen und Berliner fahren nur Auto oder nutzen nur den ÖPNV (Öffentlichen Personennahverkehr) oder nur das Fahrrad", betont Christ. "Die Politik muss nicht sagen, wir privilegieren diesen oder jenen Verkehrsträger, sondern wir haben ein gemeinsames Interesse: Das Ziel ist, möglichst komfortabel, schnell und sicher ans Ziel zu kommen."

Berlin: Folgen einer einzigartigen Geschichte

Der Kontrast zwischen Berlin und Paris, das mehr Maßnahmen zur Abschreckung von Autofahrern im Stadtzentrum einführt, könnte nicht größer sein. Das liegt zum Teil an der unterschiedlichen Geschichte der beiden Städte, erläutert Giulio Mattioli, Stadtentwicklungsforscher an der Technischen Universität Dortmund.

"Viele europäische Städte sind sehr überlastet. Es gibt einen gefühlten Kampf gegen zu viele Autos und die Überzeugung, es müsse etwas dagegen unternommen werden. Es scheint, als ob Berlin in vielerlei Hinsicht hinter der Entwicklung zurückbleibt", erläutert Mattioli der DW. "Andere Städte haben Fußgängerzonen eingerichtet, ohne dass es zu großen Kontroversen gekommen wäre."

Eine Straße, auf der in beiden Fahrtrichtungen nur Fahrräder unterwegs sind und keine Autos
Paris gehört zu den Städten mit immer autofreien StraßenBild: Christophe Geyres/ABACA/IMAGO

Dafür gibt es Gründe: In Berlin gibt es relativ wenige Autos pro Einwohner. Das liegt zum Teil daran, weil sich die Stadt aufgrund ihrer einzigartigen Geschichte nicht wie andere Städte entwickelt hat. Die Berliner Mauer während der deutschen Teilung von 1961 bis 1989 schränkte das Wachstum der Stadt ein. Es gibt daher weniger vom Auto abhängige Vororte.

"Städte müssen den Punkt erreichen, an dem es auch für Autofahrer offensichtlich ist, dass es zu viele Autos auf den Straßen gibt. Berlin hat diesen Punkt noch nicht erreicht", sagt Mattioli.

Paris und London drängen Autos zurück

Berlin ist eine der wenigen Großstädte in den Industrieländern, die in den letzten Jahren einen neuen Flughafen gebaut haben. Außerdem baut Berlin die Autobahn um die Stadt herum weiter aus. "Es gibt immer noch die Vorstellung, Autos und neue Autobahnen seien etwas Modernes - etwas, das zu einer Großstadt gehört. In Städten wie Paris und London sagt man dagegen: 'Nein, wir sind führend bei der Einschränkung von Autos'", sagt Stadtentwicklungsforscher Mattioli.

Deutschland | Tempo-30-Zonen | Berlin
Tempo-30-Zone in Berlin - die Standardgeschwindigkeit kann nur mit Einverständnis der Bundesregierung geändert werdenBild: Wolfram Steinberg/picture alliance

Hinzu kommen rechtliche Besonderheiten in Deutschland. Sie machen es den Städten schwer, ihre Straßen fahrrad- und fußgängerfreundlicher zu gestalten. Deutschland ist eines der wenigen Länder, die ihren Städten keine eigenen Temporegelungen gestatten. Zwar gibt es in Berlin und anderen deutschen Städten Kampagnen zur Senkung des Tempolimits von 50 km/h auf 30 km/h, doch ohne grünes Licht der Bundesregierung ist dies nicht möglich.

Zudem gibt es in Deutschland ungewöhnlich strenge Vorschriften für die Kennzeichnung von Straßen und Wegen, entweder für Fußgänger, Fahrräder oder Autos. Das macht es den Kommunen schwer, Straßen umzubauen oder neue Radwege zu bauen. Und diese Erfahrung haben schon die verschiedenen Berliner Regierungen gemacht - egal, ob sie selbst den politischen Willen dazu haben oder nicht.

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.

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