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Berlin - die queere Hauptstadt Deutschlands?

6. Juli 2023

Deutschland zählt zu den LGBTQ+-freundlichsten Ländern der Welt. Besonders Berlin sei queer-freundlich, findet DW-Reporter Chiponda Chimbelu. Hier die Gründe.

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Das Brandenburger Tor wird mit den Regenbogen-Farben angestrahlt.
Berlin ist eine LGBTQ+-freundliche StadtBild: Jörg Carstensen/dpa/picture alliance

Ich werde immer wieder gefragt, ob Köln die LGBTQ+-freundlichste Stadt Deutschlands sei. Ich aber finde: nein, es ist Berlin! Wie ich zu dieser Einschätzung komme? Meine eigenen Erfahrungen aber auch meine Recherchen haben mir das gezeigt. Berlin ist die größte Stadt Deutschlands. Hier leben auch die meisten queeren Menschen. Und hier gibt es auch einige Orte, an denen sie sich treffen können. Wer Berlins queere Seite kennen lernen möchte, beginnt am besten am Nollendorfplatz – dort gibt es viele queere Bars, Clubs und Cafés.

Auch ich bin immer wieder in der Gegend, denn dort befindet sich meine Lieblingsbuchhandlung "Eisenherz". Hier kaufe ich gern Romane mit LGBTQ+-Charakteren auf Englisch, Französisch und Deutsch.

Wer nach queeren Veranstaltungen und Partys sucht, dem empfehle ich die Website des Berliner Queer-Magazins Siegessäule. Hier bekommt man schnell einen Überblick über queere Events und auch Beratungsstellen. 

Eine Party im Berliner Schwulen-Club SchwuZ
Der Club SchwuZ in einer ehemaligen Brauerei ist in der queeren Szene besonders bekanntBild: Georg Wenzel/ZB/picture alliance

Sexuelle Offenheit durch Berliner Direktheit?

Ich habe sieben Jahre lang in Bonn gelebt, bevor ich nach Berlin gezogen bin. In dieser Zeit war ich oft in Köln – die Stadt liegt in unmittelbarer Nähe – und habe dort vor allem die Schaafenstraße besucht, die für ihre schwulen Bars und Cafés bekannt ist. Die Menschen in Köln waren freundlicher und offener als in einigen anderen deutschen Städten. Viele sagen, in München sei man verklemmt, in Hamburg versnobt und in Berlin sehr direkt, was manche als unhöflich empfinden. Und natürlich kann man nicht alle über einen Kamm scheren, aber ich persönlich finde, dass an diesen Verallgemeinerungen etwas dran ist. Zum Beispiel was die Berliner betrifft. Durch ihre Direktheit drücken sie alles aus, was sie wollen – ganz unabhängig von ihrer sexuellen Identität. Meiner Erfahrung nach kann man deshalb hier freier und offener mit seiner geschlechtlichen Identität umgehen als in anderen Teilen des Landes. 

Die queere Szene Berlins ist sehr international. Neben Einheimischen, die Berlins Offenheit gegenüber LGTBQ+-Menschen schätzen, zieht es auch viele queere Touristen aus der ganzen Welt in die Stadt. Grund dafür sind unter anderem die großen Events wie der Christopher Street Day im Juli, bei dem mehr als 100.000 Menschen teilnehmen.

Eine Drag Queen präsentiert sich beim Christopher Street Day auf der Straße.
Die Hauptstadt in Regenbogen-Farben: Berlin bietet viele Pride-Events wie den Christopher Street DayBild: Fotostand/Reuhl/dpa/picture alliance

Berlins dunkle Seite für queere Menschen

Leider ist in der deutschen Hauptstadt aber auch nicht alles rosig. Hier gibt es die meisten queer-feindlichen Vorfälle in Deutschland – 456 der 1005 in Deutschland registrierten Fälle im Jahr 2021, so die Zahlen des Innenministeriums. Diese Zahlen sind, denke ich, davon beeinflusst, dass es hier die meisten queeren Menschen gibt und aber auch die Bereitschaft, Vorfälle überhaupt zu melden. 90 Prozent solcher Übergriffe werden nämlich gar nicht gemeldet, so der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD). Die Behörden in der Hauptstadt aber würden derartige Vorfälle besser als in anderen Städten erfassen.

Berlin ist die einzige deutsche Stadt, in der queere Menschen in meinem Umfeld wegen ihrer Identität körperlich angegriffen worden sind. Wenn ich ausgehe, muss ich also immer auf meine Sicherheit achten. Es ist besser, Orte zu meiden, an denen man sich nicht auskennt, vor allem, wenn es dunkel ist. Ich nehme dann auch lieber ein Taxi, als mit den Öffentlichen zu fahren. Aber trotz dieser Vorkommnisse fühle ich mich in Berlin wohler als in Köln, Frankfurt, Hamburg oder München. Und das liegt daran, dass es hier viele verschiedene Gemeinschaften gibt - afrikanische, queere und viele mehr.

Ein Porträt von DW-Reporter Chiponda Chimbelu.
DW-Reporter Chiponda Chimbelu findet, dass Berlin die queer-freundlichste Stadt Deutschlands istBild: Sarah Eick

LGBTQ+-Communities haben Tradition in Berlin

Queeres Leben ist seit mehr als 100 Jahren schon ein Thema in Berlin. Denn hier gründete der schwule Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld 1919 das erste Institut für Sexualwissenschaft der Welt, das zum damaligen Zentrum homosexuellen Lebens der Stadt wurde. Es befand sich im Berliner Tiergarten, an dessen Rand heute ein Mahnmal an die queeren Opfer des Holocausts erinnert.

Die queere Geschichte Berlins wird in der kürzlich erschienenen Netflix-Dokumentation "Eldorado: Alles, was die Nazis hassen" thematisiert. Der Filmemacher Benjamin Cantu erzählt darin die Geschichte des Eldorado - eines Berliner Nachtclubs, der in den 1920er Jahren in der Weimarer Republik sehr beliebt war.

"Es wird oft gesagt, dass Berlins Queerness und hedonistische Freizügigkeit die vielleicht einzig wahre Tradition der Stadt sei, weil wir uns mit dem Leben vor 100 Jahren in den 1920er Jahren auch heute noch so gut identifizieren können", erzählt er mir.

Das bestätigt auch Robert Beachy, amerikanischer Historiker und Autor des Buches "Das andere Berlin". Die Stadt "spielte eine große Rolle bei der Schaffung einer Subkultur und einer sichtbaren Gemeinschaft von Menschen, die sich auf eine bestimmte Weise identifizieren", erklärt er.

Eine Gruppe Frauen posieren im Eldorado für die Kamera.
Das Eldorado war ein beliebter Treffpunkt für queere Menschen in der Weimarer RepublikBild: General Photographic Agency/Getty Images

Die Nazis schlossen den Nachtclub 1932 zusammen mit anderen Lokalen, die von queeren Menschen besucht wurden. Wegen dieser gewaltsamen Unterbrechung während der Nazi-Zeit gibt es keinen fließenden Übergang des queeren Lebens von damals und heute.

Aber ein Jahrhundert später können ich und andere queere Menschen wieder relativ sicher durch die Straßen Berlins gehen. Und jedes Mal, wenn ich meine Lieblingsbuchhandlung Eisenherz in der Motzstraße besuche, komme ich an dem Gebäude vorbei, in dem sich einst das Eldorado befand. Der Kiez ist immer noch ein Magnet für LGBTQ+-Angehörige aus aller Welt.