Besorgnis in Berlin
8. Juli 2013Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle hat sich am Montag angesichts der anhaltenden Unruhen in Ägypten besorgt gezeigt und vor einer Eskalation gewarnt. Gewalt sei kein akzeptables Mittel der politischen Auseinandersetzung. Der FDP-Politiker forderte die Verwantwortlichen auf, besonnen zu agieren. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, appellierte an die Militärführung, die koptischen Christen zu schützen. "Sie dürfen nicht zu Opfern von Racheakten werden." Auch die Außenbeauftragte der EU, Catherine Ashton, rief zum Dialog auf. In Ägypten müssten so "schnell wie möglich" Wahlen abgehalten werden, ließ sie am Sonntag über einen Sprecher verbreiten.
Ob allerdings die diplomatischen Appelle tatsächlich eine beschwichtigende Wirkung auf beide Seiten haben, bezweifelt der Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Ruprecht Polenz. "Die Einflussmöglichkeiten von außen, jedenfalls die Deutschland und Europa zur Verfügung stehen, sind vergleichsweise begrenzt", sagte der CDU-Politiker im Gespräch mit der Deutschen Welle. Er sprach sich für eine Weiterführung deutscher Entwicklungsprojekte in Ägypten aus, da diese vor allem im Bereich der Trinkwasserverbesserung, Gesundheitsvorsorge und im Bildungsbereich angesiedelt seien. "Die sind alle sinnvoll, weil sie den ägyptischen Menschen helfen." Sollte allerdings die Lage im Land so chaotisch werden, dass Projekte nicht mehr durchzuführen seien, müssten diese gestoppt werden. So eine Entwicklung liege "leider nicht völlig außerhalb der Möglichkeiten."
"Militär schützt seine Unternehmen"
Polenz glaubt, dass das ägyptische Militär vor allem deshalb eingegriffen habe, um "seine vielen Unternehmen, vom Tourismus bis in die Produktion von Konsumgütern" zu schützen. Denn die Muslimbrüder hätten politisch versagt, sowohl bei den wichtigen Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung als auch bei der Integration anderer politischer Kräfte. Ägypten, so Polenz, stehe nun vor der Frage, ob es der Türkei in seiner Entwicklung folge. Dort habe die Armee, die über Jahrzehnte eine starke Stellung hatte, diese immer mehr zugunsten der gewählten demokratischen Parteien aufgegeben. Die andere Möglichkeit wäre eine Entwicklung wie in Algerien in den 1990er Jahren, so Polenz. Damals intervenierte die Armee nach einem Wahlsieg der islamistischen Kräfte: "Das Land ist dann anschließend in eine bürgerkriegsähnliche Situation gefallen und ist bis heute eine Militärherrschaft."
Demonstrationen auch in Berlin
Auch in Berlin lebende Ägypter betrachten die eskalierende Situation mit Sorge: "Vielleicht ist mein Bruder erschossen worden, ich weiß es nicht." Der ägyptische Student, der seit Kurzem in Berlin studiert sich Rashad nennt, macht eine kurze Pause, bevor er weitererzählen kann. Er habe spät am Sonntag mit seinem Bruder in Kairo telefoniert: Dieser habe ihm erzählt, dass er zusammen mit Anderen in die Innenstadt ziehen wolle, um für "unseren Präsidenten Mohammed Mursi" zu demonstrieren, so nennt Rashad den ehemaligen Regierungschef und Muslimbruder.
Rashad selbst ist kein Muslimbruder, sagt er, "nur ein Sympathisant." Trotzdem glaubt er, dass die Absetzung Mursis ein "klarer Putsch" gegen einen demokratisch gewählten Präsidenten war: "Das Militär hat unsere Demokratie gestohlen", sagt er. Von der Bundesregierung fordert er eine klare Stellung angesichts der Gewalt: "Deutschland muss uns unterstützen." Am Abend werde er zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn an einer Demonstration von Mursi-Anhängern teilnehmen. Man plane weitere Aktionen in Berlin, wenn nötig dann auch über Wochen, sogar Monate hinweg: "solange, bis das Militär geht".