Berichterstattung ohne Zufall
13. März 2004
Als der Satiriker Viktor Schenderowitsch in seiner Sendung "Kukly" (Puppen) zum wiederholten Male Präsident Wladimir Putin als bleichen, blutleeren Zauderer verspottet hatte, erhielt er ein eindeutiges Angebot. Man werde den Feldzug gegen Senderowitschs Sender NTW einstellen, offerierte der Kreml. Dafür müsse aber die Putin-Puppe aus der Sendung verschwinden, außerdem dürfe keine Kritik mehr am Tschetschenien-Krieg und an Korruption in der Regierung geübt werden. Senderowitsch lehnte ab, NTW wurde mit einem fragwürdigen Strafverfahren der Kontrolle des Oligarchen Wladimir Gussinski entrissen und dem staatsnahen Energiekonzern Gazprom zugeschlagen.
Die Kampagne gegen NTW war kein Einzelfall. Seit Putins Wahl im Frühjahr 2000 versucht der Kreml mit direktem Druck, aber auch mittels der Finanzämter und Steuerbehörden die Medien auf Kurs zu bringen. Als erstes traf es die Fernsehkanäle. Wie NTW wurden in den folgenden Jahren die Sender TWS und TW-6 gleich- bzw. abgeschaltet.
Hofberichterstattung erwünscht
Im Juni 2002 hatte Wladimir Putin sein Ziel erreicht: Alle fünf landesweiten Sender hörten auf das Wort des Kremls. Das wichtigste Massenmedium berichtet seither über das Staatsoberhaupt nach bester sowjetischer Manier. Alle Handlungen, alle Auftritte des Präsidenten werden ausführlich in den hintersten Winkel des Landes transportiert. Kritik an seiner Amtsführung? Fehlanzeige. Im Vorfeld der Duma-Wahl vom vergangenen Dezember informierte das Fernsehen fast ausschließlich über Auftritte des Präsidenten, die Opposition kam kaum vor. Die "Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" (OSZE) kam anschließend zu einem vernichtenden Ergebnis. Die Duma-Wahl sei "frei, aber nicht fair" gewesen.
Das Schema wiederholt sich in den Wochen vor der Präsidentenwahl. Putin kann es sich deshalb leisten, auf Fernsehdebatten mit seinen Gegenkandidaten zu verzichten - sie würden nur unangenehme Fragen stellen. Der Präsident möchte einen klaren Erfolg und eine Opposition, die pariert. Zu diesem Zwecke ließ der Kreml im vergangenen Jahr ein Wahlgesetz verabschieden, dass im Ausland auf scharfe Kritik stieß. Es untersagte jedwede Berichterstattung, die als Werbung für einen Kandidaten ausgelegt werden könne. Selbst das russische Verfassungsgericht befand, dass die Regelung der Willkür Tür und Tor öffnete - zumal sie offenkundig für den Präsidenten und seine Partei nicht galt..
Unberechenbares Internet
Andere Gesetze benutzt die Regierung, um gegen missliebige Internet-Seiten vorzugehen. So sind Berichte, die die nationale Sicherheit Russlands in Frage stellen können ebenso verboten wie extremistische Aktivitäten im Internet. Die Regierung benutzt diese Gesetze vor allem, um eine unabhängige Berichterstattung über den Tschetschenien-Krieg im Netz zu unterbinden. Entsprechende Seiten werden gesperrt. Sind sie im nahen Ausland angesiedelt, versucht der Kreml diplomatischen Druck auf die betreffenden Staaten auszuüben.
Auch Meinungsumfragen überlässt die Regierung ungern dem Zufall. Als das Meinungsforschungsinstitut WZIOM schlechte Werte der Präsidentenpartei "Geeintes Russland" veröffentlichte, wurde es flugs in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und bekam einen neuen Leiter. Der versprach, sich verstärkt um weniger politische Fragen zu kümmern.
Einschüchterung von Zeitungen
Pressefreiheit ist im System von Wladimir Putin kein Wert an sich. "Wir leben in einem autoritären Regime", meint Igor Golembowski, einstmals Chef der angesehenen "Isvestia". Auch er hat erlebt, wie Zeitungen schikaniert werden. Kritische Redakteure werden nicht mehr zu Pressekonferenzen zugelassen, Verlegern werden wirtschaftliche Nachteile angedroht. Und wenn, wie etwa nach dem Geiseldrama im Musical "Nord-Ost" Kritik an den Sicherheitsorganen aufkeimt, werden Redaktionen durchsucht, Computer beschlagnahmt.
Unabhängige Zeitungen haben in der Regel eine Auflage von wenigen zehntausend Exemplaren. In den Provinzen sind Zeitungen zudem häufig vom Geld der lokalen Autoritäten abhängig - auch das diszipliniert und fördert Selbstzensur. Wer sich nicht disziplinieren lässt, landet vor Gericht oder riskiert gerade in der Provinz sein Leben. Die jüngste Bilanz der Organisation "Reporter ohne Grenzen" (RsF) für Russland spricht Bände: zehn Journalisten und drei Mitarbeiter wurden 2002 ermordet - mehr als in jedem anderen osteuropäischen Land, zwei wurden von Unbekannten verschleppt, 18 verprügelt, 14 verhaftet, einer zu Gefängnis verurteilt. RsF ordnet Russland auf der Rangliste der Pressefreiheit auf Rang 148 ein - direkt hinter Kolumbien.
Die Wahlen zur Duma haben gezeigt: Eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung steht hinter dem Kurs von Präsident Putin. Der ehemalige KGB-Agent kann so ungehindert an der Wiederrichtung des starken Staates bauen. Kritische Medien haben in ihm keinen Platz.