Belgien will Gefangenenaustausch mit dem Iran
8. Juli 2022Zeitnah soll ein umstrittener Vertragsentwurf vom belgischen Parlament ratifiziert werden, der den Austausch von Gefangenen zwischen Brüssel und Teheran ermöglicht. Die Parlamentarier müssen nun über eine Regierungsvorlage abstimmen. Bereits am Mittwoch (06.07.22) war dem Deal nach der ersten Lesung zugestimmt worden. Darin war zwar lediglich von "Überstellung verurteilter Personen" die Rede. Für die iranische Opposition und Menschenrechtsaktivisten ist aber klar, dass es dabei vor allem um einen verurteilten Terroristen geht: Assadollah Assadi.
Assadi wurde 2021 wegen Vorbereitung eines Terroranschlags auf Exiliraner zu 20 Jahren Haft verurteilt. Im Juni 2018 hatten belgische Ermittler ein Bombenattentat in Villepinte nahe Paris vereitelt. Assadi soll als Drahtzieher im Hintergrund maßgeblich mitgewirkt haben. Offiziell war er damals in Österreich als dritter Botschaftsrat akkreditiert. Das belgische Gericht sah es als erwiesen an, dass Assadi ein Agent des iranischen Geheimdienstes ist.
"Straffreiheit für Terroristen"
Dass dieser Terrorist nun möglicherweise an Teheran ausgeliefert wird und sehr wahrscheinlich dort auf freien Fuß kommt, sorgt für Kritik. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International warnte diese Woche, dass der geplante Vertrag zwischen Belgien und dem Iran dazu benutzt werden könnte, "iranischen Staatsbediensteten und Agenten, die für schwere Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen nach internationalem Recht verantwortlich sind, Straffreiheit zu gewähren".
Mehr als 400 iranische Menschenrechtsaktivisten, Dissidenten und Familienangehörige von Opfern iranischer staatlicher Repression und Gewalt hatten das belgische Parlament aufgefordert, das geplante Gefangenenaustauschabkommen mit dem Iran nicht zu ratifizieren.
"Die Regierung in Brüssel unterzeichnet einen Vertrag mit einem Land, das seine Agenten nach Europa schickt, um seine Kritiker und die Opposition straffrei umzubringen", kritisiert Taghi Rahmani im Gespräch mit der Deutschen Welle. Rahmani, der insgesamt 14 Jahre lang als politischer Gefangener in iranischen Gefängnissen saß, lebt seit 2012 im französischen Exil.
EU-Bürger im Iran inhaftiert
Die Brüsseler Regierung will nach eigenen Angaben im Iran inhaftierte belgische Staatsbürger frei bekommen. "Es ist unsere moralische Pflicht, unschuldige Landsleute, die im Ausland festgehalten werden, zu befreien", sagte Justizminister Van Quickenborne letzte Woche im Parlament. "Auch andere Länder tauschen Häftlinge mit dem Iran aus. Der Unterschied ist: Die machen das klammheimlich. Wir wollen das vertraglich regeln."
Erst letzte Woche wurde bekannt, dass ein belgischer Staatsbürger in Teheran im Gefängnis sitzt. Der 41-jährige Olivier Vandecasteele soll laut Medienberichten seit dem 24. Februar wegen geheimdienstlicher Aktivitäten im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis in Isolationshaft sitzen. Sein gesundheitlicher Zustand sei nach Angaben seines Freundes sehr schlecht. Vandecasteele hatte in den letzten Jahren für verschiedene Nichtregierungsorganisationen gearbeitet, zuletzt für den Norwegian Refugee Council (NRC). Die Organisation setzt sich für Geflüchtete ein.
Auch einem iranisch-schwedischen Hochschulprofessor droht im Iran die Todesstrafe, der an der Freien Universität Brüssel gearbeitet hatte. Der Notfallmediziner Ahmad Reza Dschalali wurde 2016 verhaftet, als er auf Einladung der Universität Teheran in den Iran zum akademischen Austausch reiste.
Später wurde er wegen vermeintlicher Spionage gegen den iranischen Staat verurteilt. "Ein Urteil, dessen Rechtmäßigkeit sowohl von den Vereinten Nationen als auch von Amnesty International infrage gestellt wird", sagte die Grünen-Politikerin Lamya Kaddor, Mitglied des deutschen Bundestages, im Mai 2022.
EU als Wertegemeinschaft?
"Brüssel gilt als Hauptsitz der Europäischen Union. Eine Union, die eigentlich eine Wertegemeinschaft ist und sich für Demokratie auf der ganzen Welt stark macht", sagt der im Exil lebende iranische Aktivist Rahmani. "Wenn aber das Leben belgischer Bürger in Gefahr ist, ist Belgien bereit, mit einem Land wie dem Iran einen Vertrag zu unterzeichnen und verurteilte Terroristen freizulassen. Mit diesem Vertrag kann der Iran seinen Agenten garantieren, dass sie in den Iran zurückgeholt werden. Egal, was für ein Verbrechen sie in einem Rechtsstaat begehen."
"Der Iran tut alles, um Assadi frei zu bekommen", betonte die belgische Politikerin Darya Safai im Interview mit dem in London ansässigen persischsprachigen TV-Sender "Iran International". Safai, die in Teheran geboren wurde und seit 2019 Mitglied der Oppositionspartei, der "Neuen Flämischen Allianz", im belgischen Parlament sitzt, fügte hinzu: "Wir wissen, dass große europäische Länder wie Frankreich diesen Vertrag mit dem Iran unterstützen. Auch ihre Bürger wurden im Iran als Geisel genommen. Ich wurde informiert, dass der Iran im Gegenzug für die Freilassung der EU-Bürger die Überstellung von Assadollah Assadi verlangt hat. Im Gegensatz zu Frankreich, wo der Präsident alleine über einen Gefangenenaustausch entscheiden kann, muss in Belgien das Parlament beteiligt werden."
Aktivisten zutiefst besorgt
Auch die iranische Menschenrechtsaktivistin Mansoureh Shojaee sieht in diesem Vertrag einen fatalen Fehler. "Es geht um einen ratifizierten Vertrag mit einem Staat, der bekanntlich politische Geiselnahme betreibt und mit Menschenleben handelt. Ein europäisches Land will nun offiziell auf diesem Niveau mit dem Iran zusammenarbeiten. Das ist beängstigend für iranische Oppositionelle, Frauen- und Menschenrechtsaktivisten."
Shojaee gehört seit über 20 Jahren zu den führenden Persönlichkeiten iranischer Frauenrechtsbewegung. Wegen ihres Engagements wurde sie mehrfach verhaftet, zuletzt am 27. Dezember 2009. Sechs Monate nach ihrer Freilassung konnte Shojaee den Iran verlassen. Sie lebt nun in den Niederlanden. "Frauen- und Menschenrechtsaktivisten vermeiden die Einreise in Länder, die einen Vertrag zum Gefangenenaustausch mit dem Iran haben, wie zum Beispiel Tadschikistan. Dort können sie unter irgendwelchen Vorwand verhaftet und an den Iran ausgeliefert werden."