Beim Geld hört die Feindschaft auf
13. Dezember 2017Recep Tayyip Erdogan findet gerne klare Worte: Jerusalem sei die "rote Linie für alle Muslime". Dies teilt der türkische Präsident kurz nach Bekanntgabe Donald Trumps, Jerusalem als israelische Hauptstadt anzuerkennen, mit. Knapp eine Woche nach dieser ersten Reaktion scheint deutlich zu werden, dass es der türkische Präsident ernst meint. 57 Staaten der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) sind auf Einladung Erdogans zu einem Gipfel in Istanbul zusammen gekommen. Das offizielle Ziel: Eine gemeinsame Antwort auf die Entscheidung Donald Trumps zu finden.
Kristian Brakel, Leiter der Heinrich Böll Stiftung in der Türkei, erklärt im Gespräch mit der DW, dass Erdogan gerne als Anführer einer geeinten muslimischen Koalition gegenüber den USA und Israel wahrgenommen werden würde: "Erdogan setzt schon länger auf das Image eines 'Retters' der Verfolgten und Gescholtenen in der muslimischen Welt. Bei Jerusalem, das in den Herzen vieler Muslime einen besonderen Platz hat, funktioniert das natürlich besonders gut. Ob ihm die anderen Führer der muslimischen Länder folgen werden, ist allerdings eine ganz andere Frage".
Neben der religiösen Komponente sind es für Brakel besonders innenpolitische Erwägungen, die Erdogan zu einer solch scharfen Rhetorik veranlassen: "In der Türkei herrscht eigentlich Dauerwahlkampf. 2019 stehen die nächsten Wahlen bevor und ein Streit mit Israel dient immer als gutes Mobilisierungsinstrument."
Die Türkei und Israel - Eine wechselvolle Geschichte
Die Beziehungen zwischen der Türkei und Israel sind komplex. 1948 erkennt die Türkei als erster muslimischer Staat Israel an. In den kommenden Jahrzehnten folgen eine ganze Reihe von Wirtschaftsabkommen. Gegenüber der Deutschen Welle beschreibt Hatice Karahan die wirtschaftlichen Beziehungen als eine "Win-Win-Situation" für beide Länder. Karahan ist in Wirtschaftsfragen die Chefberaterin von Recep Tayyip Erdogan: "Die Türkei liefert Automobilteile, Eisen, Stahl, Elektrogeräte und Plastik nach Israel. Im Gegenzug kann die Türkei Treibstoff und Öl aus Israel importieren."
Um diese Kooperation zu vertiefen wird im Jahr 2008 mit der Planung von "Med-Stream" begonnen, einem milliardenschweren Untersee-Infrastrukturprojekt im Mittelmeer. Das langfristige Ziel: Über ein ausgeklügeltes Netzwerk an Pipelines soll Elektrizität, Erdgas, Rohöl und Wasser zwischen den beiden Ländern transportiert werden.
Während die wirtschaftlichen Beziehungen an Fahrt aufnehmen, sorgen Scharmützel auf politischer Ebene jedoch immer wieder zu schwersten Verstimmungen.
2009 kommt es auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos zum diplomatischen Eklat. Der türkische Präsident wirft seinem israelischen Amtskollegen Schimon Peres auf offener Bühne "Staatsterrorismus" und dem Staat Israel die "Ermordung von Kindern" vor. 2010 stoppt das israelische Militär die "Mavi Marmara", ein mit Hilfsgütern beladenes Schiff unter türkischer Flagge, auf dem Weg zum Gazastreifen. Bei dem Militäreinsatz werden neun Aktivisten getötet. Die Folge: Die diplomatischen Beziehungen werden auf ein Minimum zurückgefahren, die Botschafter zeitweise in die Hauptstädte zurückbeordert.
Annäherung der Pragmatiker
2016 kommt es wieder zu Annäherung auf diplomatischer Ebene. Trotz der rhetorischen Ausfälle der Vergangenheit ist diese Kehrtwende für Kristian Brakel nicht überraschend: "Recep Tayyip Erdogan ist trotz aller markigen Rhetorik ein absoluter Realpolitiker. Die Wiederaufnahme von Gesprächen hat sehr viel mit nüchternen Überlegungen zu tun. Die Krise mit Russland hat in Ankara zu viel Besorgnis geführt. Über 60 Prozent des benötigten Gases in der Türkei kommt aus Russland. Als nicht mehr sicher war, dass auch weiterhin russisches Gas in die Türkei geliefert würde, hat man sich nach neuen Partnern in der Region umgeschaut. Einer davon war Israel. Vor allem die Ausbeute der Gasfelder im Mittelmeer steht dabei im Mittelpunkt."
Wirtschaftliche Beziehungen wachsen beständig
Hatice Karahan macht aus ihrer pragmatischen Sichtweise auf die Beziehungen keinen Hehl. Für die Ökonomin zählen vorrangig Zahlen, sie ist zufrieden mit der jüngsten Entwicklung: "Die türkischen Exporte nach Israel sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen und lagen im Jahr 2016 bei rund 2.5 Milliarden Euro. In den ersten zehn Monaten diesen Jahres sind die türkischen Exporte nach Israel um knapp 14 Prozent gestiegen." Insgesamt, so Karahan gegenüber der DW, mache der Anteil an Exporten nach Israel knapp über zwei Prozent aus. Ein Blick auf die offiziellen Statistiken zeigt: Israel gehört damit zu den zehn wichtigsten Exportmärkten für türkische Produkte. Und auch die Entwicklung der Importe aus Israel sieht Karahan positiv: "Die Importe aus Israel lagen im Jahr 2016 bei 1.2 Milliarden Euro. Alleine im Zeitraum Januar bis Oktober 2017 wurden Waren im Wert von 1.1 Milliarden Euro" in die Türkei eingeführt.
Politische Rhetorik als Show
Trotz dieser positiven wirtschaftlichen Entwicklung gehen die Scharmützel auf diplomatischer Ebene von beiden Seiten weiter. Am Wochenende ist es Benjamin Netanjahu, der auf einer Pressekonferenz klare Worte in Richtung Recep Tayyip Erdogan findet. Er sei es nicht gewohnt, so der israelische Ministerpräsident vor laufenden Kameras, "moralische Belehrungen von einem Führer zu erhalten, der kurdische Dörfer in seinem eigenen Land bombardieren, Journalisten einsperren lasse und dem Iran helfe internationale Sanktionen zu umgehen".
Für den Leiter der Heinrich-Böll Stiftung in Istanbul, Kristian Brakel, ist die scharfe Rhetorik der beiden Staatsmänner inzwischen zum Teil einer Polit-Show geworden: "Wenn die beiden Wortgefechte zum Thema Demokratie austauschen, kommt mir das manchmal so vor, als ob das Huhn versucht, dem Pinguin das Fliegen beizubringen. Weder Netanjahu, noch Erdogan sind in den letzten Jahren mit besonders viel Liebe zu Demokratie und Menschenrechten aufgefallen. Beiden merkt man an, dass sie wechselseitig nicht wirklich viel Zuneigung füreinander übrig haben. Nichtsdestotrotz führen sie wirtschaftliche und sicherheitspolitische Notwendigkeiten zusammen."
Wie unbeeindruckt von den politischen Ereignissen sich die wirtschaftlichen Akteure geben, war erst vor wenigen Tagen zu beobachten. Inmitten rhetorischer Schärfen und diplomatischer Scharmützel vermeldet die regierungsnahe türkische Tageszeitung Daily Sabah Anfang Dezember den Abschluss eines Kooperationsvertrages zwischen dem Türkisch-Japanischen Automobilhersteller Anadolu Isuzu und dem israelischen Zulieferer Universal Trucks Israel. Volumen des bis auf zwei Jahre ausgelegten Deals: Knapp 20 Millionen Euro.