Begegnung am Golf
8. Juli 2009
Ali verpasst Carlos einen beherzten Knuff ins Hinterteil. Die beiden sind dicke Freunde, sie spielen gerne Verstecken, aber "am liebsten Popoklatschen und Kämpfen", verrät Carlos grinsend. Sie gehen in den Kindergarten der Deutschen Schule Abu Dhabi und wissen noch nicht, dass sie Pioniere eines bedeutenden kulturpolitischen Projekts sind. Ali ist in Abu Dhabi geboren; zu Hause spricht er arabisch. Mit seinem Kumpel balgt er sich schon erfolgreich auf Deutsch. Schließlich ist er "schon ganz lange" im Kindergarten, wie er stolz und akzentfrei erzählt. Carlos kommt aus Deutschland wie die meisten hier, deren Eltern aus beruflichen Gründen in Abu Dhabi gelandet sind.
An der Deutschen Schule treffen zwei Welten aufeinander, die draußen, in der boomenden Wüstenmetropole am Golf, kaum miteinander in Berührung kommen. Ausgerechnet hier, wo Frauen unverschleiert über die Straße gehen können, wo Luxuskarossen "made in Germany" über zwölfspurige Prachtstraßen brausen und glitzernde Shopping Malls alles bieten, was der globalisierte Mensch begehrt: Private Kontakte zwischen Emiratis und Europäern sind selten.
Vom Wüstensand zum Palmengarten
Das soll an der Deutschen Schule anders werden. Vor über 30 Jahren entstand sie buchstäblich im Wüstensand, für gerade mal 16 Kinder. Inzwischen ist sie umringt von noblen Wohnbauten, hat einen eigenen Palmengarten und rund zehnmal so viele Schüler wie damals. Seit zwei Jahren wird sie zur Begegnungsschule umgebaut: Ein Abkommen mit der emiratischen Regierung legt fest, dass jedes Jahr zehn einheimische Kinder aufgenommen werden. Zuerst durchlaufen sie genau wie Ali erst den Kindergarten, um spielend Deutsch zu lernen. Meistens klappt das prächtig; manche Knirpse bringen sogar ihren Eltern ein bisschen Deutsch bei.
Dreijährige mit Hausmädchen
"Ich bin die Mutter vom Chamis!" Eine junge Frau strahlt unter ihrer schwarzen Verhüllung hervor, als sie zur Informationsveranstaltung der Schule kommt. Weil sich ihr Sohn im deutschen Kindergarten wohlfühlt, möchte sie jetzt auch ihre Tochter anmelden. Sie hat sich davon überzeugt, dass die Kinder hier in guten Händen sind. Dabei geraten die Erzieherinnen manchmal in eine schwierige Rolle. Denn der deutsche Erziehungsstil weicht oft drastisch ab von dem, was die Kinder von zu Hause kennen "In vielen Familien gibt es ein Hausmädchen, das den Kindern alles hinterherräumt", erzählt Sigrid Dörge, die Deutsch als Fremdsprache unterrichtet: "Die Kinder müssen sich nicht selber anziehen, die müssen nicht aufräumen. Das lernen sie erst hier - das sind Erziehungsziele, die wir ganz hoch hängen."
Vitamine und Wirtschaftskraft
Trotzdem sind Mütter wie die von Chamis mit den Grundsätzen der Deutschen Schule einverstanden. Dass Mädchen und Jungen zusammen lernen, Schwimmen gehen und beim Schulausflug gemeinsam übernachten, sehen sie gelassen. Das gilt auch für die emiratischen Väter, die zum Informationstreffen gekommen sind. Auch sie tragen ihre klassische Kopfbedeckung und blendend weiße, knöchellange Gewänder. In fließendem Englisch loben sie deutsche Ingenieure, deutsche Autos und die guten Wirtschaftsbeziehungen. Und erwarten, dass ihre Kinder schnell mit dem Lernen vorankommen.
Küsschen auf dem Schulhof
Noch steht die Schule am Anfang ihrer Karriere als interkulturelle Instanz. Bei den Kleinsten geht es erst mal ums gemeinsame Spielen wie bei Ali und Carlos. Aber wenn aus den Kindern Teenies geworden sind, könnte sich das Klima verändern. Bislang dürfen sich zum Beispiel Liebespärchen ungeniert auf dem Schulhof küssen. Das könnte zu Konflikten führen - in einem islamischen Land, das mit Sexualität weit strenger umgeht als Deutschland, das etwa Pornographie und sogar Homosexualität unter Strafe stellt. Schulleiter Gerald Miebs weiß, dass hier ein schwieriger Balanceakt bevorsteht. "Sich annähern, Verständnis füreinander entwickeln und gemeinsame Wege beschreiten" heißt seine Devise: Toleranz müssen beide Seiten üben.
Elternbeirat im Wüstenstaat
Die älteren Schüler von heute sehen das erstaunlich locker: "Wir leben nun mal in einem arabischen Land", sind sich die meisten einig. Für die 15-jährige Diana ist auch klar, "dass man dann nicht mit bauchfreien T-Shirts rumrennt". Und die emiratischen Väter und Mütter? Sie haben sich längst an basisdemokratische Einrichtungen wie den Elternbeirat gewöhnt und neulich einen Dia-Abend mit Bildern aus dem grünen Deutschland gesehen. Demnächst werden sie Bilder aus ihrem Wüstenstaat vorführen. Und von der legendären Bewirtung, die sie schon zu Schulfesten beigesteuert haben, schwärmen alle, die dabei waren.
Pionierarbeit im Klassenzimmer
Die deutschen Schüler jedenfalls freuen sich, dass sie jetzt mehr Einheimische kennenlernen. Für Ali und Carlos ist das schon normal. Sie werden im Schulalltag mit Leben füllen, was auf dem Papier "Kulturaustausch" heißt. Und wenn sie hier eines Tages ihr Internationales Abitur machen, dann haben sie längst die Pionierarbeit geleistet, von der sie heute noch nichts ahnen, wenn sie Popoklatschen und Verstecken spielen.