Kampf um den eigenen Lebensstil
13. November 2012Fünf Polizeiautos eskortieren den Bus voller Touristen, als er die Stadt Lakia in der Wüste Negev, im Süden Israels, erreicht. Die Fahrgäste, überwiegend ältere US-Amerikaner aus Jerusalem sowie ihre Landsleute auf Besuch, werden nervös. Wieso Polizei? "Wir tun nichts, was Sie in Gefahr bringen könnte", hört man die Stimme des Reisebegleiters Ari Briggs durchs Mikro. Nur anhalten, könne man hier nicht. Die Polizei habe dringend davon abgeraten und zur Sicherheit die Eskorte angeboten. "Lakia ist absolutes No-go-Gebiet. Sie sollen sich jedoch trotzdem ein Bild machen."
Der mit Indiana-Jones-Hut und Safarihose bekleidete Australier Briggs redet seit nunmehr zwei Stunden ohne Unterbrechung auf seine Klientel ein. Es geht hier um seine Herzensangelegenheit: Die drohende Gefahr durch Beduinen, die Israel im Negev besetzten. Immer mehr und illegal, wie er betont. Und wie seine Organisation Regavim darum kämpft, hier eine jüdische Bevölkerungsmehrheit anzusiedeln: "Es ist unser Land." Sämtliche Regierungen hätten das Gebiet bislang schändlich vernachlässigt, beklagt er sich.
Die Reisenden, die für den Trip in ein Gebiet "ohne Gott und Gesetz" bezahlt haben, um dort die Bedrohung durch "illegale Siedler" live zu erfahren, zücken jetzt ihre Fotoapparate. Was sie vor die Linse bekommen, ist nur der Rand der Stadt, aber der ist deprimierend genug: Müll liegt in den Straßengräben, halb verfallene Häuser sind zu sehen, dazwischen eine Schule. "Lakia wurde von Israel für 35.000 Beduinen gebaut, tatsächlich wohnen nur rund 7000 hier", referiert Briggs. Viel Geld sei da zum Fenster hinaus geschmissen worden. "Alles verkommt." Der Australier, der vor zehn Jahren nach Israel immigrierte, spricht an diesem Tag noch viel über eine in Zukunft erblühende Wüste mit Israelis und Beduinen Seit' an Seit'. Aber Briggs verschweigt auch viel.
Dörfer ohne Infrastruktur
Geschätzt 190.000 Beduinen leben im Negev – offiziell sind alle Bürger Israels. Etwa 70.000 davon wohnen jedoch in so genannten nicht anerkannten Siedlungen; es sollen rund 45 sein. Viele davon gab es bereits lange vor der Gründung Israels 1948, aber da der Staat kurzerhand rund 95 Prozent des Negev zu seinem Eigentum erklärte, sind die Eigentumsansprüche der Beduinen nicht viel wert. In den Dörfern gibt es kein Wasser- und Abwassersystem, keine Elektrizität, selten eine Schule und öffentlichen Nahverkehr. Wer hier lebt, kann nicht wählen gehen, keine Baugenehmigung beantragen, es gibt keine Verwaltung. Alles, was der Staat in den illegalen Siedlungen rechtsgerichteter Siedler in der Westbank möglich macht - die Bereitstellung einer kompletten Infrastruktur, egal wo - lehnt er bei den Beduinen mit einem Schulterzucken ab.
Stattdessen müssen die Bewohner jederzeit damit rechnen, dass ihre Häuser zerstört werden. Das Dorf Alsira etwa: Hier wohnt die Familie von Khalil Alamour seit sieben Generationen, das Haus und ein Stück Land sind Eigentum seiner Familie. "Wir haben Dokumente, die das beweisen", sagt der 47-Jährige. Aber das schert die israelischen Behörden nicht. Immer wieder kämen Abgesandte ins Dorf und klebten ihm - wie seinen Nachbarn - Abrissgenehmigungen an die Haustüren. "So enden wir regelmäßig vor Gericht." Alamour, der trotz enormer sozialer Hindernisse studiert hat, versteht die Haltung der Regierung nicht. "Wir sind keine Feinde des Staates, wir wollen uns integrieren." Allerdings nicht nach einem Konzept, das die Traditionen und Werte der Beduinen völlig ignoriere und ohne ihre Zusammenarbeit umgesetzt werde.
Armut und Gewalt in den Städten
Alamour bezieht sich auf ein Ziel, das Israel seit den 60er Jahren verfolgt: Die Umsiedlung und Urbanisierung der Beduinen im unfruchtbaren Norden des Negev. Zuletzt verabschiedete die Knesset 2011 den so genannten Prawer-Plan, der allerdings noch ratifiziert werden muss. Demnach sollen die zehn größten Siedlungen anerkannt werden, der Rest wird zerstört, die Bevölkerung verteilt. Etwa auf die insgesamt sieben Städte, die der Staat dafür zwischen 1968 und 89 aus dem Boden gestampft hat.
Lakia ist eine davon. Hier wie in den anderen herrscht pure Armut: Gewalt und Kriminalität sind hoch, die Arbeitslosigkeit ist die höchste im Land, der Bildungsstand der niedrigste. "Beduinen und Städte sind keine Freunde", nennt Alamour einen Grund für die katastrophalen Zustände. Sie lebten zwar nicht mehr in Zelten, aber Tierhaltung und Ackerbau seien nach wie vor in seinem Volk verwurzelt. Sein Vorschlag: "Lasst uns die restlichen fünf Prozent des Landes, die wir noch haben, und wir machen das Beste daraus – zum Wohle aller."
Nach einer langen Busfahrt mit kurzen Stopps - stets in sicherer Entfernung zu den Beduinen-Dörfern - kündigt Briggs seinen Gästen noch einen "versöhnlichen Abschluss" der Informationsreise an. Man wolle einen jüdischen Farmer besuchen, der hier lebe – trotz der Beduinen. "Wie beruhigend, dass es hier auch Juden gibt", sagt eine Frau und erntet lauten Beifall.