EKD-Chef kritisiert Grenzschließung in Ungarn
15. September 2015Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland war in den vergangenen Tagen auf der Balkanroute der Flüchtlinge in Mazedonien, Serbien und Ungarn unterwegs. Mit diesen frischen Eindrücken traf Heinrich Bedford-Strohm den Präsidenten der EU-Kommission in Brüssel, Jean-Claude Juncker, um der europäischen Politik ins Gewissen zu reden. Die Schließung der Grenze zwischen Serbien und Ungarn hält der Bischof für einen großen Fehler.
Deutsche Welle: Herr Bischof, Sie haben das Leid der Flüchtlinge an der ungarisch-serbischen Grenze mit eigenen Augen gesehen, sind jetzt in Brüssel angekommen. Was fordern Sie von der Europäischen Union, was muss die EU jetzt tun?
Heinrich Bedford-Strohm: Wir haben an dem Gleis gestanden auf ungarischer Seite, wo sich die Grenze jetzt geschlossen hat. Wir haben Familien mit kleinen Kindern kommen sehen. Menschen, die sehr, sehr lange gewandert oder gefahren sind. Die haben die Hoffnung, jetzt in Europa Zuflucht zu finden. Jetzt stehen sie vor dem Stacheldraht.
Deshalb ist es das Wichtigste, dass wir in Europa eine neue Verständigung darüber erreichen, was uns in Europa eigentlich zusammenhält. Dazu gehört, dass wir klarer sagen, was dieses Etikett "christlich" eigentlich bedeuten soll. Wenn christlich bedeuten soll, dass wir uns abschotten sollen gegenüber anderen, gegen Menschen von andersowo, dann muss ich ganz klar sagen, dass das in klarem Widerspruch zu dem steht, was der christliche Glaube sagt. Christus selber hat gesagt: "Ich bin der Fremde und ihr habt mich aufgenommen". Das Doppelgebot der Liebe spielt eine zentrale Rolle. Das sind die Werte, die Europa leiten müssen. Deshalb müssen wir eine Flüchtlingspolitik hinkriegen, die Flüchtlinge auch wirklich würdig behandelt.
Nun mangelt es ja an Solidarität der 28 Mitgliedsstaaten untereinander. Ist Solidarität auch ein christlicher Wert? Ist das etwas, was die Kirche fordert?
Solidarität ist ein ganz zentraler Grundwert aus der Sicht des christlichen Glaubens, aber auch für Europa. Das ist ein ganz wichtigerTeil dessen, was wir als gemeinsamen Werte-Kosmos in Europa sehen. Dass ein Gemeinwesen dann am meisten Wohlstand hat, wenn auch die Schwachen davon profitieren, das bindet Europa zusammen. Das ist aber auch eine Verpflichtung nach außen. Für mich ist Handelspolitik, die sich auch an den Armen orientiert, und Klimapolitik, die hilft die Schöpfung zu bewahren, Flüchtlingspolitik der Zukunft. Nur wenn wir da handeln, werden wir verhindern, dass Millionen von Klima-Flüchtlingen hierher kommen wollen.
Der ungarische Premierminister Victor Orban sagt, wir wollen eine christliche Gesellschaft bleiben, deshalb können wir die Flüchtlinge nicht hereinlassen. Kann ein Christ einen Moslem nicht als Flüchtling beherbergen?
Ich habe selber in Ungarn mit Menschen in der Regierung gesprochen und natürlich mit unseren Schwester-Kirchen. Wir haben genau über die Frage gesprochen, was heißt es, dieses Prädikat "christliches Abendland" wirklich ernst zu nehmen? Dazu muss man ganz klar sagen, dazu gehört, dass wir uns den Schwachen gegenüber öffnen, dass wir ein Ort der Zuflucht sind, dass dies zum Selbstverständnis gehört. Deshalb müssen wir darüber sehr kontroverse Diskussionen führen. Dieses Thema zeigt aber, dass Religion und was eigentlich die Grundlagen von Religion sind, auch für die Politik und die Möglichkeit, in der Politik zusammen zu kommen, eine ganz zentrale Rolle spielt.
Was ist denn jetzt die Aufgabe der Kirchen bei der Aufnahme der Flüchtlinge in Deutschland? Die Katholiken haben gesagt, jede Gemeinde soll eine Flüchtlingsfamilie aufnehmen. Was ist Ihr Ansatz?
Wir sind schon die ganze Zeit dabei, dass wir das, was wir an moralischen Grundsätzen in die Gesellschaft hineingeben, auch selbst leben. Ich könnte Ihnen jetzt stundenlang berichten von Initiativen in unseren Kirchen, die genau das tun, die Menschen willkommen heißen, ihnen Deutsch-Unterricht geben und sie einfach als Menschen begleiten. In dieser Notsituation stellen wir Räume zur Verfügung, wo Flüchtlinge untergebracht werden können. Das ist etwas, woran wir jeden Tag arbeiten. Ich bin dankbar, dass die Aufrufe, die wir in den Gemeinden, in Dekanaten gestartet haben, sehr positiv aufgenommen wurden. Alle wissen, wir müssen jetzt zusammen helfen.
Heinrich Bedford-Strohm (55) ist Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und seit November 2014 Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland. Damit ist der Theologe der höchste geistliche Vertreter der Protestanten in Deutschland.
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