Beate Zschäpe sagt möglicherweise doch aus
22. Juni 2015Es ist eine überraschende Nachricht nach zwei Jahren NSU-Prozess: Die mutmaßliche Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe ist nach mehr als 200 Verhandlungstagen nun doch bereit, sich zur Sache zu äußern. In einem handschriftlichen vierseitigen Brief an das Oberlandesgericht München verbindet sie dies allerdings mit der Forderung nach einer Ablösung ihrer drei Verteidiger, wie der Berliner "Tagesspiegel", der Radiosender SWR info und die Deutsche Presse-Agentur (dpa) berichten.
Laut "Tagesspiegel" schreibt Zschäpe dem Vorsitzenden Richter Manfred Götzl zur geforderten Ablösung: "Da ich mich durchaus mit dem Gedanken beschäftige, etwas auszusagen, ist eine weitere Zusammenarbeit unmöglich". Offen lässt sie allerdings, wozu sie sich womöglich äußern will.
Externer Anwalt zugeschaltet?
Zschäpes Schreiben ist eine Stellungnahme zum Konflikt mit Anwältin Anja Sturm und den Co-Verteidigern Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl. Die Angeklagte hatte Anfang Juni beim Strafsenat die Entbindung Sturms als Pflichtverteidigerin beantragt. Zschäpe ist allerdings mit allen drei Anwälten unzufrieden. Die jetzt beim Strafsenat eingegangene Stellungnahme wurde laut "Tagesspiegel" offensichtlich mit Hilfe eines externen Anwalts abgefasst. Zschäpe erwähne beispielsweise trotz fehlender juristischer Kenntnisse eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, berichtet das Blatt.
Vor einem Jahr war Zschäpe mit dem Antrag gescheitert, ihre drei Verteidiger ablösen zu lassen. Laut SWR wirft die Angeklagte ihnen nun in dem Brief an das Gericht vor, sie an der Aussage zu hindern. Die Anwälte hätten ihr mitgeteilt, falls sie zu einzelnen Vorwürfen etwas aussagen werde, würden sie das Gericht um ihre Entbindung bitten. Dadurch fühle sie sich unter Druck, eben weil sie durchaus überlege etwas auszusagen.
"Urlaub während der Verhandlung gebucht"
Zschäpe soll in ihrem Brief an Richter Götzl auch konkrete Vorwürfe gegen ihre Verteidiger erheben. Ihr Anwalt Wolfgang Heer surfe während der Verhandlung ständig im Internet, sein Kollege Wolfgang Stahl twittere und organisiere seinen Urlaub aus dem Gericht, zitiert der SWR aus dem Schreiben. Rechtsanwältin Sturm habe gegen ihren Willen einen Vertreter für einen Verhandlungstag bestellen wollen. Als Zschäpe diesen Vertreter abgelehnt habe, hätte Sturm gekontert, sie sei aber auf die Kostenerstattung für diesen Tag angewiesen.
Viele Fragen noch unbeantwortet
Viele Prozessbeteiligte hoffen darauf, dass Zschäpe endlich redet. Nach wie vor sind viele Fragen offen. Ungeklärt ist unter anderem, wie sich die Terrorzelle NSU die Opfer der zehn Mordanschläge aussuchte und woher ein Teil der mehr als 20 Waffen stammt, über die zumindest die Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt verfügten.
Seit ihrer Festnahme am 8. November 2011 in Jena hat Zschäpe jegliche Angabe zur Terrorzelle NSU verweigert. Die Angeklagte war 1998 mit Mundlos und Böhnhardt aus Jena verschwunden. Die drei verbrachten fast 14 Jahre im Untergrund. Mundlos und Böhnhardt erschossen neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft sowie eine deutsche Polizistin. Außerdem verübten die beiden Rechtsextremisten mindestens zwei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle. Die Bundesanwaltschaft wirft Zschäpe vor, bei allen Verbrechen die Mittäterin gewesen zu sein. Mundlos und Böhnhardt erschossen sich im November 2011, als ihnen die Polizei in Eisenach nach einem Banküberfall auf die Spur kam.
Der Prozess wird am Dienstag fortgesetzt. Wann Richter Götzl die Entscheidung über eine Entpflichtung Sturms oder ihren Verbleib im Prozess verkünden wird, ist offen.
se/mak (Tagesspiegel, afp, dpa)