Banker reden Klartext
Willem Buiter hat einen niederländischen Pass und ist Chef-Volkswirt der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE). Er verantwortet den so genannten "Transition Report". In dem Bericht steckt viel Sachverstand: Die Bank ist größter Investor in der Region. Zusammen mit ihren Partnern hat sie bislang über siebzig Milliarden € dorthin gebracht. Willem Buiter ist zunächst hochzufrieden, dass die 27 Staaten, in denen sie arbeitet, sich als außergewöhnlich widerstandsfähig gegen die Abkühlung der Weltkonjunktur insgesamt erwiesen haben, auf die nurmehr 2,5 Prozent globales Wachstum im vergangenen Jahr. Die wirtschaftliche Gesamtleistung der Region wuchs dagegen nämlich um 4,5 Prozent.
Widerstandsfähig damit auch gegen die wirtschaftlichen Folgen der tragischen Ereignisse vom elften September in New York: Nachlassende Exporte seien im wesentlichen durch eine gewachsene Binnennachfrage in den Ländern selbst aufgewogen worden.
Skeptischer Blick nach vorn
Die künftige Entwicklung beurteilt Chef-Volkswirt Buiter skeptischer: Wie die Weltwirtschaft insgesamt werde auch die Region weiter wachsen, aber langsamer – voraussichtlich um dreieinhalb Prozent. Die Gründe seien unterschiedlich: Beispielsweise in Bulgarien und Rumänien werde der dringend erforderliche Abbau der jeweiligen Staatsverschuldung zu einer Abschwächung der Binnenkonjunkturen führen. Dies gelte auch für andere Länder Südosteuropas.
Gute Aussichten auf überdurchschnittliches Wachstum von allerdings niedrigem Niveau aus hätten dagegen neben dem Baltikum Jugoslawien, Mazedonien, schreiben die Analysten der Bank. Sorgen bereiten den Bankern dort jedoch die weiterhin zweistelligen Inflationsraten.
Problem Wettbewerbsfähigkeit
In der GUS sieht die EBWE vor allem die Probleme der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe. Hier schlügen insbesondere steigende Energie- und Lohnkosten bei zugleich sinkender Kaufkraft negativ zu Buche. Hinzu komme, dass auch der Außenwert des Rubel sich nahezu halbiert habe und Russland entsprechend weniger Devisen erlöse.
Modernisierung und Steigerung der Produktivität durch Zukauf ausländischer Maschinen und Know-How’s werde dadurch zusätzlich erschwert. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor sei der Öl- und Gaspreis als mit Abstand größter Devisenquelle des Landes.
Weiterer Zustrom ausländischer Investitionen
Die generelle Widerstandskraft der Region gegen Abschwächungen der Weltkonjunktur registriert die Bank wiederum anerkennend im insgesamt ungebrochen wachsenden Zustrom internationalen Kapitals. Wieder differenziert die Bank: So hätten zwar ausländische Direktinvestitionen in Unternehmen zugenommen. In erster Linie jedoch lediglich in solche Betriebe, die unter die vollständige Kontrolle des Investors geraten.
Kapital sucht Sicherheit
Generell wandere ausländisches Kapital nur noch dorthin, wo es relativ sicher ist. Mithin besonders gern in die baltischen Staaten und andere künftige Mitglieder der Europäischen Union. In Länder also, wo nach Ansicht der Bank Rechte auch von Teilhabern mittlerweile vergleichsweise gut geschützt sind, selbst wenn es sich um Minderheitsaktionäre handelt. Lobend erwähnt die EBWE in diesem Zusammenhang Tschechien, Ungarn und Polen.
Unsolides Bankenwesen
Allerdings sei die Bereitschaft westlicher Banken, sich bei östlichen Kreditinstituten zu engagieren, deutlich rückläufig. Diese Entwicklung sei bereits seit 1998 zu beobachten und weise auf Defizite und nicht erledigte Probleme hin, so die EBWE.
Weiterhin seien die Banken vor Ort nicht in der Lage, ihre zentrale Aufgabe der Finanzierung des Umbauprozesses zu übernehmen. Das unsolide Bankenwesen gehört seit vielen Jahren zu den dunkelsten Seiten in den Länder-Kapiteln des ‚Transition-Reports’ der EBWE. (Bericht vom 13.05.2002)