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Ballspielen verboten!

Marcel Fürstenau2. Mai 2003

In Zeiten der Globalisierung bleibt nichts so, wie es einmal war. Das gilt auch und gerade für die wichtigste Nebensache der Welt: das Fußballspiel. Wehmütige Gedanken von Marcel Fürstenau.

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Die gnadenlose Kommerzialisierung dieser Sportart steht im denkbar krassesten Kontrast zur Traditionspflege. Da kicken beispielsweise sündhaft teure Söldner aus aller Herren Länder bei einem angeblichen Arbeiter-Klub im einstigen deutschen Kohle-Revier Dortmund. Hochbezahlte Balltreter, die von den Fans, wenn sie mit der Arbeitsmoral ihrer Helden mal nicht einverstanden sind, mitunter als - pardon! - "Scheißmillionäre" verhöhnt werden. Und doch identifizieren sich die Massen in Dortmund und überall auf dem Globus mit den Angestellten der von ihnen leidenschaftlich unterstützten Vereine, als gehörten sie zur eigenen Familie.

Heiliger Kartoffelacker

Daran ändert sich selbst dann nichts, wenn man sie von ihrer Scholle verjagt, was im Falle von Fußballern und ihren Anhängern mythenbeladene Spielstätten sind. Ehrfürchtig ist vom "heiligen Rasen" die Rede. Etwa dem von Wembley, was die sonst so geschichtsbewussten Engländer nicht davor bewahrt, dieses berühmteste aller Stadien gerade abzureißen, um einen modernen, technisch durchgestylten, aber herzlosen Neubau zu errichten. Das gleiche Schicksal ereilte vor knapp zwei Jahren das Wankdorf-Stadion, wo sich anno 1954 das "Wunder von Bern" zugetragen hatte, als Deutschland das WM-Endspiel gegen die als unschlagbar geltenden Ungarn gewann.

Doch was sich jetzt in Berlin ereignet, stellt alles in den Schatten, ja ist geradezu ein Politikum: Fußballspielen auf dem Rasen vor dem Reichstag ist unter Androhung eines Bußgelds verboten, weil der Chef des Grünflächen-Amtes im Berliner Regierungs-Bezirk Mitte befürchtet, die gerade mit 2,3 Millionen Euro hergerichtete repräsentative Wiese könnte wieder das werden, was sie zu Mauer-Zeiten seines Erachtens war: ein "Kartoffelacker", ein "Kaninchengehege", ein "Rübenfeld".

Rapid Reichstag vs. Turbine Tiergarten

Der Mann hat ja keine Ahnung! Wer zu Mauerzeiten hier spielte, war sich größter Aufmerksamtkeit gewiß. Auf westlicher Seite schauten Touristen aus aller Welt zu, wenn anonyme Freizeit-Fußballer Flanken Richtung Reichstags-Portal schlugen, über dem die Worte "Dem Deutschen Volke" prangen. Und im Osten staunten Grenzsoldaten in ihren Wachtürmen über gelungene Dribblings und geniale Steilpässe des Klassenfeinds.

Generationen von Freizeit-Kickern sind auf dieser Wiese groß geworden. Das Team von "Rapid Reichstag" nahm über Jahre an der Berliner Hochschul-Meisterschaft teil, lieferte sich erbitterte Duelle gegen "Torpedo Tippkick" oder "Turbine Tiergarten". Alles das soll nun Vergangenheit sein, um "Stollenschuh-Schäden‘ zu vermeiden, wie es der Mann vom Grünflächenamt begründet. Dabei gibt es zahlreiche prominente Unterstützer für die freie Fußballer-Szene vor dem Reichstag. Darunter der Hausherr, Parlamentspräsident Wolfgang Thierse. "Ich habe persönlich nichts dagegen, wenn Menschen auf dieser Wiese Ball spielen", verkündete der SPD-Politiker bereits im November vergangenen Jahres. Die Entscheidung überließ er dann aber lieber dem Berliner Senat - mit dem bekannten Ergebnis.

Kicker, Kanzler, Kameraden

Um diese historische Fehlentscheidung zu korrigieren, bedarf es nun eines Machtwortes von ganz oben: Bundeskanzler Gerhard Schröder, ehemaliger gefürchteter Mittelstürmer beim "Turn- und Sportverein Talle 05", muss die Reichstags-Wiese zur Chefsache erklären! Noch schweigt der Regierungschef, der von seinem Arbeitszimmer auf das frische Parlaments-Grün blicken kann und der früher von seinen Kicker-Kameraden "Acker" (!) genannt wurde. Doch Volkes Stimme wird erst Ruhe geben, wenn auf dem Rasen vor dem Reichstag das Leder wieder rollen darf. Der Kanzler könnte sich bei dieser vaterländischen Aktion unsterblich machen. In Anerkennung seiner Verdienste um die dann immerwährende Bespielbarkeit der berühmtesten deutschen Grün-Fläche sollte die 85.000 Quadratmeter große Fläche einen zeitgemäßen Namen erhalten: "Gerhard-Schröder-Arena" ...