Bald auch im Handel
7. September 2003Dienstleistungen sind heute schon ein Riesengeschäft. In den Industrieländern werden 60 bis 70 Prozent des Bruttoinlandsproduktes im Dienstleistungssektor erwirtschaftet; zwei von drei Arbeitnehmern sind dort beschäftigt. Da verwundert es nicht, dass Globalisierungs-Bemühungen im Sinne eines weltweit angestrebten Freihandels sich nicht auf den Warenaustausch beschränken, sondern auch den ungehinderten Handel mit Dienstleistungen einbeziehen.
Das "General Agreement on Trade in Services" (GATS) hat das Ziel, sämtliche Dienstleistungssektoren zu privatisieren und für den internationalen Wettbewerb zu öffnen. Mit diesem Vertragswerk hat die Welthandelsorganisation WTO bereits 1995 Dienstleistungen aus insgesamt zwölf Bereichen zum Gegenstand eines freien Handels erklärt. Darunter sind nicht nur Kommunikations- und Finanzdienste oder Versicherungen, sondern auch gesellschaftlich sensible Dienstleistungen wie in den Bereichen Medizin, Sozialwesen und Bildung. Lediglich "hoheitlich erbrachte Dienstleistungen", wie etwa militärische Aufgaben, sind nicht Gegenstand des Abkommens.
Vertrag mit Folgen
Der multilaterale Vertragsabschluss könnte Bildungsangebote vom Kindergarten bis zur Hochschule schon bald zum attraktiven Handelsgut für weltweit operierende Großkonzerne werden lassen. Die Prinzipien, die im Zentrum des bisherigen Vertragswerks stehen erläutert Prof. Dr. Scherrer vom Lehrstuhl für Globalisierung und Politik an der Universität Kassel: "Das Meistbegünstigungsprinzip besagt, dass kein Handelspartner schlechter gestellt werden darf, als der Meistbegünstigte." Das heißt: Wenn eine US-Firma in Deutschland eine Hochschule gründen dürfte, hätten Unternehmen aus allen anderen Partnerländern ebenfalls dieses Recht.
"Das Prinzip der Inländergleichbehandlung regelt, dass ausländische Anbieter von Bildungsdienstleistungen den inländischen Anbietern gleichgestellt werden müssen", führt Scherrer weiter aus. Das heißt, jeder Anbieter hätte das Recht auf dieselbe staatliche Unterstützung. "Ausländische Hochschulen könnten dann Ableger gründen und Anspruch auf die gleichen staatlichen Mittel erheben, die den inländischen Hochschulen zu Gute kommen."
Ausnahmeklausel könnte kippen
Bisher gilt für die Europäische Union eine Ausnahmeklausel des GATS-Vertrags: Die EU-Staaten behielten sich 1994 vor, Schulen und Hochschulen nach ihrem eigenen Willen zu subventionieren. Kritiker fürchten jedoch, dass die Staaten dem Liberalisierungsdruck nicht standhalten könnten. Für den Fall, dass der Subventionsvorbehalt entfiele, prognostizieren sie den öffentlichen Kassen ernsthafte Probleme.
"Die Verpflichtung, private Bildungsträger in gleichem Maße zu subventionieren wie staatliche Schulen und Hochschulen wäre das Ende eines frei zugänglichen Bildungswesens", fürchtet Markus Struben vom Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS). "Einmal abgesehen davon, dass das gebührenfreie Studium als unzulässige staatliche Subvention gleich ganz abgeschafft werden könnte", ergänzt der ABS-Geschäftsführer. Unterdessen fordern die USA von den EU-Staaten eine konsequente Marktöffnung bei den so genannten Bildungstestdienstleistungen. Würde dieser Forderung nachgegeben, könnten US-Unternehmen sich schon bald um die Durchführung von Zulassungsverfahren oder Schulabschlussprüfungen bewerben.
Letzte Gelegenheit
Der Globalisierungs-Experte und Politologe Scherrer zeigt sich verwundert darüber, dass viele Experten und Politiker die Debatte um die GATS-Verhandlungen regelrecht verschlafen hätten. Sie stellen nach Scherrers Ansicht entscheidende Weichenstellungen für die nationale Bildungspolitik der teilnehmenden Länder dar. Der Grund: Einmal eingegangene Liberalisierungs-Verpflichtungen können de facto nicht mehr rückgängig gemacht werden, da das GATS als völkerrechtliches Abkommen den nationalstaatlichen Regelungen übergeordnet ist.
Allein in der Verhandlungsphase haben die Länder die Möglichkeit, Vorbehalte in den Vertrag aufnehmen zu lassen und damit einzelne Dienstleistungssektoren vor einem Zugriff globaler Märkte zu schützen. Bei der WTO-Konferenz Anfang September 2003 im mexikanischen Cancun wollen die Minister erste verbindliche Entscheidungen treffen. Ob es dazu kommt, hängt jedoch nach Einschätzung von Experten noch davon ab, ob eine Einigung über die Subventionen und Einfuhrzölle für landwirtschaftliche Produkte erzielt werden kann.