Bündnis im Krisenmodus
3. April 2019Die NATO sei in Europa dazu da, "die Russen draußen, die Amerikaner drin und die Deutschen unten zu halten". Das hat der erste NATO-Generalsekretär, der britische Lord Hastings Ismay, einmal in lockerer Runde gesagt. Er traf damit aber eine verbreitete Ansicht der frühen Jahre: Der von Deutschland begonnene Zweite Weltkrieg lag erst wenige Jahre zurück, die Sowjetunion kontrollierte die gesamte östliche Hälfte Europas einschließlich des östlichen Teils Deutschlands, und die Amerikaner überlegten zunächst, ob sie Europa wieder sich selbst und damit wahrscheinlich noch größerem sowjetischen Einfluss überlassen sollten.
Deutschland wurde allerdings nicht lange "unten" gehalten, jedenfalls nicht der westliche Teil: Die Bundesrepublik Deutschland hatte sich bald so viel Vertrauen erworben, dass sie 1955 NATO-Mitglied wurde, während die DDR dem sowjetisch beherrschten Warschauer Pakt beitrat.
Der Kalte Krieg mit seinem Gleichgewicht gegenseitiger Abschreckung dauerte rund 40 Jahre. Die Lage war angespannt, aber auch stabil. Vor dem Hintergrund von Abrüstungsverhandlungen mit der Sowjetunion 1988 war es dem damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan wichtig zu betonen, Washington habe dabei immer die Interessen der Europäer im Blick: "An erster Stelle steht für mich der Erhalt einer starken und gesunden Partnerschaft zwischen Nordamerika und Europa. Wir werden die Interessen dieser Partnerschaft niemals irgendeinem Abkommen mit der Sowjetunion opfern."
Neue Konflikte
1989/90 änderte sich die Situation radikal. Der Kommunismus brach zusammen, die Sowjetunion zerfiel. Die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs stimmten einer Wiedervereinigung Deutschlands als NATO-Mitglied zu. Der große europäische Umbruch bedeutete auch, dass innerhalb weniger Jahre die meisten früheren Warschauer-Pakt-Staaten wie Polen, Rumänien oder die baltischen Länder der NATO beitraten.
Inzwischen ist eine ähnliche Situation wie im Kalten Krieg zurückgekehrt. Russland fühlt sich von der NATO-Osterweiterung bedroht, und rüstet auf. Das bremst eine weitere Ausdehnung des Bündnisses. Georgien und die Ukraine etwa können sich derzeit wenig Hoffnungen auf einen Beitritt machen, denn die NATO will sich keine neuen Konflikte ins Haus holen.
Konflikte hat die NATO ohnehin genug. Seit den 1990er Jahren greift sie zunehmend außerhalb des Bündnisgebietes in Krisenregionen weltweit ein. In Deutschland mit seiner nationalsozialistischen Geschichte führte das anfangs zu heftigen Diskussionen, inzwischen ist Deutschland aber an einer ganzen Reihe von Auslandseinsätzen beteiligt, zum Beispiel auf dem Balkan und in Afghanistan.
Ein einziges Mal in ihrer 70jährigen Geschichte hat die NATO den Bündnisfall erklärt, bei dem alle Mitglieder zur kollektiven Verteidigung eines angegriffenen Mitglieds aufgerufen sind. Das war nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA. Doch über die Konsequenzen entbrannte ein heftiger Streit, der die NATO für Jahre spaltete.
Seit Trump ist alles anders
Seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump vor zwei Jahren steht die NATO erneut unter Druck. Trump hat mehrfach den Sinn der NATO und die kollektive Beistandsverpflichtung infrage gestellt. 2018 fragte er, warum die USA ein kleines Mitgliedsland wie Montenegro verteidigen und einen "dritten Weltkrieg" riskieren sollten. Auch hat er gedroht, amerikanischen Schutz solle es nur noch für diejenigen geben, die ausreichend zahlten. Vor allem Deutschland warf Trump immer wieder vor, viel zu wenig für seine Verteidigung auszugeben. Beim jüngsten NATO-Gipfel 2018 milderte Trump seine Wortwahl ab, blieb aber bei seiner Klage, die USA würden ausgenutzt: "Wir zahlen viel zu viel in das NATO-Budget ein. Die NATO ist sehr wichtig, aber die NATO hilft Europa mehr als es uns hilft."
Bundeskanzlerin Angela Merkel entgegnete bei demselben Gipfel, Deutschland verdanke der NATO sehr viel. "Aber Deutschland leistet auch sehr viel für die NATO. Wir sind der zweitgrößte Truppensteller. Wir stellen den größten Teil unserer militärischen Fähigkeiten in den Dienst der NATO. Und wir sind bis heute sehr stark in Afghanistan engagiert, und damit vertreten wir auch die Interessen der Vereinigten Staaten von Amerika."
Bündnis "nicht in Stein gemeißelt"
Offizielles Ziel der NATO ist nach einem Gipfeltreffen 2014, die Verteidigungsausgaben bis 2024 "in Richtung" von zwei Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts zu steigern. Die USA gaben 2018 3,39 Prozent aus, wenige europäische NATO-Mitglieder erreichten vergangenes Jahr das Zwei-Prozent-Ziel, Deutschland nur 1,23 Prozent. Auch im jüngsten deutschen Haushaltsplan wird das Ziel weit verfehlt. Merkel hat bis 2024 1,5 Prozent zugesagt, Trump fordert "mindestens" zwei. Die an der Berliner Koalition beteiligte SPD drückt besonders auf die Bremse, wenn es um die Verteidigungsausgaben geht. Ihr außenpolitischer Sprecher Nils Schmid warnte gegenüber der Deutschen Welle davor, die 2,0 Prozent als "Fetisch" zu behandeln. "Entscheidend ist, dass wir mehr an militärischen Fähigkeiten aufbauen, und das tun wir." Der Streit geht weiter.
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg mahnte jüngst: "Es ist nicht in Stein gemeißelt, dass die transatlantische Bindung für immer bestehen wird." Doch das war wohl eher als Ansporn an Berlin gemeint. Stoltenberg schöpft jedenfalls Hoffnung aus dem Blick in die Vergangenheit: "In der Geschichte der NATO hatten wir schon viele Meinungsunterschiede, und wir haben sie immer wieder überwunden. Denn am Ende stimmen wir alle darin überein, dass Nordamerika und Europa zusammen sicherer sind."