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Ein Rennfahrer, der Brasiliens Seele rettete

Philip Verminnen / Astrid Prange1. Mai 2014

Für viele Experten war er der beste Rennfahrer aller Zeiten, für seine Landsleute ein Idol. Vor genau 20 Jahren starb der Brasilianer Ayrton Senna auf dem Formel-1-Kurs von Imola.

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Ayrton Senna Spa 1991 (Foto: pictur-alliance/Bildarchiv)
Bild: picture-alliance/Bildarchiv

Es ist der 1. Mai 1994, genau 9.16 Uhr südamerikanischer Zeit, als Brasilien eines seiner größten Idole verliert. Der brasilianische TV-Reporter Roberto Cabrini überbringt seinen Zuschauern die niederschmetternde Nachricht live aus Bologna: "Es gibt keine Hoffnung mehr. Ayrton Senna ist klinisch tot."

Vor genau 20 Jahren starb Ayrton Senna auf dem Grand-Prix-Kurs von Imola. Der plötzliche Tod des dreifachen Formel-1-Weltmeisters versetzte sein Heimatland in Schockstarre. Brasiliens damaliger Präsident Itamar Franco ordnete drei Tage Staatstrauer an. Denn der Pilot aus São Paulo galt nicht nur als Garant für brasilianische Erfolge in der prestigeträchtigen Formel 1. Er war zugleich Held und Hoffnungsträger in einem wirtschaftlich und politisch geschundenen Land.

Balsam für die Seele

"Seine Siege haben Senna zu einem nationalen Idol gemacht", schreibt die brasilianische Tageszeitung "O Globo" anlässlich des 20. Todestages. "Während im Land alles drunter und drüber ging, stand er für den Traum eines anderen Brasiliens, eines, das Erfolge produziert." Die Siege Sennas waren Balsam auf die geschundene brasilianische Seele, die nach den sogenannten verlorenen 1980er Jahren eine weitere Krisendekade befürchtete.

Rätselhafter Unfall

Der tragische Unfall ereignet sich in der siebten Runde des Rennens um den Großen Preis von San Marino. Senna steuert mit 210 Stundenkilometern auf die Tamburello-Kurve zu, doch anstatt in die Hochgeschwindigkeitskurve einzulenken, schießt er geradeaus von der Piste, frontal in die Mauer am Streckenrand. Wenige Stunden später erklären ihn die Ärzte in einem Krankenhaus in Bologna für hirntot.

Ayrton Senna Wrack Grand Prix San Marino 1994 (Foto: pictur-alliance/dpa)
Sennas völlig zerstörter WilliamsBild: picture-alliance/dpa

Bis heute ist die Unfallursache umstritten: Die italienischen Richter machen den Bruch der Lenksäule verantwortlich, die Konstrukteure verweisen auf die fehlerhafte Aerodynamik des Autos. So auch Adrian Newey, der Designer des Unglückswagens: Gerade erst räumte er der Zeitschrift "Auto, Motor und Sport" gegenüber ein, er habe diesen Mangel bereits vor dem Rennen festgestellt. Der Zeitdruck habe jedoch eine Korrektur verhindert. Verurteilt wurde deswegen niemand.

Ein Land in Schockstarre

Für die Brasilianer ist das allerdings zweitrangig. Erst recht für die Millionen Fans, die an jenem schicksalhaften Sonntagmorgen aufgestanden sind, um das Rennen live im Fernsehen zu verfolgen. Sie sehen zu, wie ihr Held verunglückt, und hören die Worte des Kommentators Galvão Bueno: "Der Aufprall war hart. Senna ist im Wagen, er bewegt den Kopf, er scheint bei Bewusstsein zu sein, und es kommt ihm niemand zur Hilfe. Es ist absurd, wie lange das dauert", ruft der Sportjournalist seinen Landsleuten über den brasilianischen Fernsehsender "O Globo" zu.

Tränen und Staatstrauer

Drei Tage später verabschieden sich die Brasilianer von ihrem Idol in dessen Heimatstadt São Paulo. Auf der 30 Kilometer langen Strecke zwischen Flughafen und Landesparlament drängen sich Hunderttausende, vielleicht Millionen von Menschen am Straßenrand. Sie warten auf die Eskorte aus Autos, Mopeds und Fahrrädern, die den Transport von Sennas Leichnam begleitet. Eine Trauergemeinschaft, deren Ausmaß die Trauernden selbst überrascht.

Ayrton Senna Beerdigung 1994 (Foto: pictur-alliance/Asa)
Hunderttausende geben Senna in São Paulo das letzte GeleitBild: picture-alliance/Asa

Die Bewunderung für den Formel-1-Weltmeister ist in der Fußball-Nation Brasilien keine Selbstverständlichkeit. Motorsport gilt als Refugium der Reichen. Auch Ayrton Senna entstammte einer wohlhabenden Familie. Sein Vater Milton da Silva investierte früh in die technische Ausrüstung seines Sohnes. Schon mit 13 Jahren bestritt Senna offizielle Kart-Rennen und wurde 1977 und 1978 südamerikanischer Kartmeister - mit nicht einmal 20 Jahren.

Retter des Nationalstolzes

Doch seine Herkunft gereichte dem jungen Rennfahrer mit dem grün-gelben Helm nicht zum Nachteil. Er verstand es, durch symbolische Gesten die Sympathie der Bevölkerung zu gewinnen. Schon nach seinem Sieg beim Großen Preis der USA am 22. Juni 1986 schwenkte Senna die brasilianische Flagge gemeinsam mit einem Fan - ein bis dahin unübliches Verhalten auf der Piste. Doch es war ein Trost für seine fußballverrückten Landsleute: Am Vorabend war Brasilien bei der WM in Mexiko im Viertelfinale ausgeschieden.

Vier Jahre später erwies sich der Rennfahrer erneut als Retter für den verletzten brasilianischen Nationalstolz. Während die Nationalmannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft in Italien bereits im Achtelfinale ausschied, holte Senna seinen zweiten Weltmeistertitel in der Formel 1.

Euphorie in Interlagos

1991 erfüllte sich Senna einen lange gehegten Traum und gewann den Großen Preis von Brasilien auf der Rennstrecke von Interlagos in seiner Heimatstadt São Paulo. "Brasilien ist mein Zuhause, mein Anker. Hier wohnen meine Familie und meine Freunde. Ich fühle mich hier wohl, trotz aller Probleme, die es gibt." Spätestens mit diesem Satz, der aus einem Interview stammt, das Senna 1991 der Tageszeitung "O Globo" gab, hatte er die Herzen seiner Landsleute vollständig erobert.

"Senna ist der Pelé der Formel 1. Er hat mehr riskiert als alle anderen, deshalb hat er immer gewonnen", sagt Formel-1-Experte Saulo Rodrigues aus Rio.

Formel 1 1994 GP Monaco (Foto: pictur-alliance/DPPI Media)
Formel-1-Fahrer verabscheiden sich von ihrem Kollegen. In der Mitte sein Landsmann Rubens BarrichelloBild: picture alliance/DPPI Media

1994, zweieinhalb Monate nach Sennas Tod, übernahm die brasilianische Nationalmannschaft dann wieder die Rolle, in der sie der einzigartige Rennfahrer vertreten hatte: Nach 24 Jahren Flaute eroberte die "Seleção" die Fußballkrone zurück. Sie besiegte Italien im Endspiel der WM in den USA und stieg zum vierfachen Fußballweltmeister auf. Die Nationalspieler, darunter Dunga, Bebeto und Romário, widmeten ihren Sieg dem Nationalhelden Ayrton Senna: "Senna, wir haben gemeinsam aufs Gaspedal gedrückt, dies ist unser gemeinsamer Sieg."