Avi Primor sorgt sich um Israels Ansehen
13. Oktober 2010Avi Primor ist in Deutschland ein gern gesehener Gast. Sechs Jahre lang war er Botschafter Israels in Bonn. Doch obwohl er schon vor elf Jahren in seine Heimat zurückgekehrt ist und den diplomatischen Dienst quittiert hat, ist er immer noch eine populäre Stimme seines Landes. Seine Einschätzungen zur Lage im Nahen Osten sind gefragt, seine Meinung über den Friedensprozess und die deutsch-israelischen Beziehungen wird geschätzt.
Israel verliert an Ansehen
In diesen Tagen jedoch hat er es schwer, für sein Land zu sprechen, denn Israel gerät international immer mehr in die Isolation. Der Gazakrieg des Jahres 2009, der Angriff auf die internationale Hilfsflottille für Gaza und die Wiederaufnahme des Siedlungsbaus im Westjordanland haben international für Kritik und Ablehnung gesorgt.
"Die Lage für Israel verschlechtert sich ununterbrochen", sagt Primor in Berlin in einem Gespräch mit der Deutschen Welle. Sein Land verliere überall an Ansehen und an Beliebtheit. Inzwischen gäbe es sogar schon Feindseligkeit gegen Israel. Dies liege in erster Linie daran, dass man die israelische Politik im Ausland nicht mehr verstehe und nicht wisse, was Jerusalem eigentlich anstrebe. "Wir sind ein kleines Land, ein winzig kleines Land und wir können nicht ewig gegen die ganze Welt kämpfen." Viele Menschen in Israel hätten dies schon verstanden.
Israelische Regierung bleibt unnachgiebig
Die israelische Regierung jedoch zeigt nach wie vor kein Entgegenkommen. Sie hat trotz weltweiter Proteste den Siedlungsbau im besetzten Westjordanland nach zehnmonatiger Pause wieder aufgenommen. Die gerade begonnenen Friedensverhandlungen mit den Palästinensern liegen seither auf Eis. Nach Ansicht von Avi Primor kann nur Washington die beiden Seiten wieder an den Verhandlungstisch zurückbringen. Die USA sollten die beiden Seiten dazu drängen, über die zentralen Fragen des Friedensprozesses zu sprechen, über die Grenzen, über den Status Jerusalems und über die Flüchtlinge.
Zuerst über Grenzziehung verhandeln
Die Siedlungspolitik sei eigentlich nur eine Nebensächlichkeit, mit der man viel Zeit verloren habe. Zwei Jahre lang habe die amerikanische Regierung die Siedlungen in den besetzten Gebieten in den Mittelpunkt ihrer Nahostpolitik gestellt, ohne irgendwelche Fortschritte zu erzielen. Besser wäre es, die zentralen Streitpunkte des Konflikts zu lösen. Wenn man sich über die Grenzen des zukünftigen palästinensischen Staates – und damit auch über die Grenzen Israels - einig sei, dann wäre das Schicksal der meisten Siedlungen und ihrer Bewohner auch besiegelt. Denn kein Siedler habe Interesse daran, unter palästinensischer Herrschaft zu leben. Das widerspreche völlig der Ideologie der meisten Siedler.
Primor ist überzeugt, dass die Mehrheit der Israelis zu Kompromissen mit den Palästinensern bereit ist. Die meisten Israelis wollten sich von den palästinensischen Gebieten und den Palästinensern trennen. Sie seien bereit, das Westjordanland zu räumen, fürchteten aber um ihre Sicherheit, wenn dort die Hamas an die Macht kommen sollte. "Wir haben den Gazastreifen geräumt und haben dafür Raketenbeschuss bekommen. Das können wir uns nicht leisten, wenn wir das Westjordanland räumen, denn es liegt zu nahe an den israelischen Bevölkerungszentren." Andererseits könne Jerusalem die Besatzung auch nicht viel länger aufrecht erhalten. Israel könne nicht auf Dauer über ein anderes Volk herrschen. Daher gäbe es schlichtweg keine Alternative zu Verhandlungen.
Verhandlungen mit der Hamas
Primor plädiert auch für Verhandlungen mit der Hamas. Man könne mit den Islamisten zwar keinen Frieden schließen, denn es sei ihr erklärtes Ziel, den Staat Israel zu zerstören. Aber die Hamas sei mehr als eine politische Bewegung. Sie sei auch eine demokratisch gewählte Regierung mit einem Territorium und einer Bevölkerung in Gaza. Darum könne man mit ihr über Alltagsprobleme und praktische Fragen sprechen. "Wir brauchen die Hamas, um Ruhe für unsere Städte und Dörfer an der Grenze zum Gazastreifen zu sichern. Und die Hamas braucht uns, um die Lebensbedingungen der palästinensischen Bevölkerung zu verbessern."
Wenn man mit der Hamas in Kontakt trete und mit ihr über Alltagsprobleme spreche, dann hoffe er, dass sie im Gegenzug der Autonomieregierung in Ramallah freie Hand lassen werde für ihre Verhandlungen mit Israel.
Autorin: Bettina Marx
Redaktion: Marco Müller