Merkel will aus Fehlern lernen
9. Dezember 2011Zu Beginn des zweiten Gipfeltages am Freitag (09.12.2011) machte Bundeskanzlerin Angela Merkel klar, dass sie eine Beruhigung der Finanzmärkte und mehr Vertrauen in die Euro-Zone erwartet. "Jeder in der Welt kann sehen, dass wir aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben", sagte Merkel in Brüssel. Die Tatsache, dass Großbritannien eine Einigung aller 27 EU-Staaten verhindert hat, sei nicht so dramatisch. Wichtig sei, dass es keine faulen Kompromisse, sondern harte Regeln und Disziplin geben werden, so Merkel.
Der neue Vertrag für die Euro-Zone plus sechs anderer EU-Staaten, die den Euro noch nicht als Währung haben, soll bis Anfang März ausformuliert sein. Der Vertrag soll eine Fiskal-Union, also einen engen Zusammenschluss der Haushaltspolitik der 23 Staaten, begründen. Wie sehen die einzelnen Instrumente zur besseren Haushaltsführung aus?
Wichtige Aspekte der Fiskal-Union
Schuldenbremse: Alle Unterzeichner verpflichten sich, nationale Schuldenbremsen zu installieren. Grundsätzlich sollen die Staatshaushalte ausgeglichen sein. Müssen Schulden gemacht werden, dann soll in der Verfassung oder in Gesetzen mit ähnlich hohem Rang festgelegt werden, dass diese Defizite höchstens 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr betragen. Derzeit liegt die Grenze der Euro-Währungsunion bei drei Prozent. Ein Schlupfloch gibt es: Die Obergrenze kann bei "außergewöhnlichen Umständen" - wie schweren Rezessionen oder Naturkatastrophen - gerissen werden. Die Umsetzung der Schuldenbremse in nationales Recht soll vom Europäischen Gerichtshof überprüft werden können.
Haushaltskontrolle: Die Mitglieder des neuen Euro-Paktes sollen ihre Haushalte - noch vor dem endgültigen Beschluss in den jeweiligen nationalen Parlamenten - der EU-Kommission zur Bewertung vorlegen. Die EU-Kommission soll bei absehbaren Verstößen gegen die Haushaltsregeln oder zu Defiziten Auflagen machen, die von den nationalen Parlamenten übernommen werden sollen. Der EU-Kommission wächst wesentlich mehr Verantwortung zu als heute.
Automatische Maßnahmen: Sollte die EU-Kommission Verstöße gegen die Regeln der Fiskal-Union und ein zu hohes Defizit feststellen, leiten sie ein Defizit-Verfahren ein, das nach festen Schritten, also quasi automatisch, abläuft. Bislang mussten Defizit-Verfahren von den Finanzministern gebilligt werden. Künftig soll ein Verfahren nur verhindert werden können, wenn zwei Drittel der Finanzminister den Automatismus außer Kraft setzen wollen. Diese Regel war bereits für die bisher gültige Währungsunion beschlossen worden. Welche Strafen genau vorgesehen sind, ob Geldstrafen, Stimmrechts-Entzug oder anderes, ist noch nicht entschieden.
Die Staats- und Regierungschefs der neuen Fiskal-Union sollen sich monatlich treffen, um ihre gemeinsame Haushaltpolitik zu beraten. Das wäre dann die oft beschworene "Wirtschaftsregierung".
Absage an die Euro-Bonds
Mit der stärkeren Vergemeinschaftung der Haushaltspolitik ist eine Vergemeinschaftung der Schulden noch nicht beschlossen worden. Deutschland und andere solvente Euro-Staaten lehnen Euro-Bonds, also gemeinsam ausgegebene Staatsanleihen, weiter ab. Das könne erst ganz am Ende der Entwicklung einer Fiskal-Union stehen, hatte Bundeskanzlerin Merkel bereits im Juni 2011 gesagt.
Der völkerrechtliche Vertrag zwischen den 23 Staaten zur Bildung der Fiskal-Union wird außerhalb der bisherigen Lissaboner Verträge der EU geschlossen. Die bisherigen Bestimmungen zu Defizit-Verfahren in der Euro-Zone mit ihren 17 Staaten werden weiter gelten. Das könnte zu rechtlichen Konflikten führen. Diese Konstruktion ist nicht die "sauberste" Lösung, heißt es aus deutschen Delegationskreisen, war aber wegen des Neins des britischen Premierministers David Cameron nicht anders möglich. Auch Ungarn wird auf keinen Fall an der Fiskal-Union teilnehmen. Schweden und Tschechien wollen erst mit ihren nationalen Parlamenten beraten. Der Vertrag soll bis Ende des Jahres 2012 ratifiziert werden und in Kraft treten.
Feuerwehr-Maßnahmen
Die Fiskal-Union soll mittel- und langfristig das Vertrauen der Finanzmärkte in Staatsanleihen der Euro-Zone wieder herstellen. Kurzfristig einigten sich die Staats- und Regierungschefs auf diese "Feuerwehr-Maßnahmen":
Feuerwehr-Fonds beim IWF: Innerhalb der nächsten zehn Tage wollen die Staaten der Euro-Zone die Überweisung von 200 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds in Washington beschließen. Das Geld soll unter strengen Auflagen an klamme Euro-Staaten wie Italien als Kredit weitergereicht werden. Aus welchen Quellen dieser Feuerwehr-Fonds genau gespeist werden soll, ist unklar. Im Gespräch war die nationalen Notenbanken anzuzapfen, die sich das Geld wiederum bei der Europäischen Zentralbank leihen könnten. Ein solches Vorgehen hatte der Präsident der EZB, Mario Draghi, am Donnerstag noch abgelehnt.
Europäische Stabilitätsmechanismus: Der dauerhafte Rettungsfonds (ESM) soll um ein Jahr vorgezogen werden und bereits im Sommer 2012 seine Arbeit aufnehmen. Der ESM muss dazu früher als geplant aus nationalen Haushalten mit Eigenkapital ausgestattet werden. Er soll eine Schlagkraft von 500 Milliarden Euro erhalten. Der Aufbau dauert aber mehrere Jahre. Der ESM erhält vorerst keine Banklizenz, kann sich also selbst kein Geld bei der Europäischen Zentralbank leihen. Die Entscheidungen des ESM, welches Land Kredite bekommt, sollen nicht mehr einstimmig fallen, sondern mit einer Mehrheit von 85 Prozent der Kapitalanteile am ESM. Eine Blockade durch kleinere Staaten wäre so ausgeschlossen. Deutschland hätte aber praktisch ein Veto-Recht.
Keine Gläubiger-Haftung: Die Beteiligung von privaten Gläubigern an der Umschuldung von Staaten oder an Schuldenschnitten wird aufgegeben. Das ist ein deutliches Signal an die Finanzmärkte, die damit beim Kauf von Staatsanleihen aus Europa im Prinzip keine zusätzlichen Risiken eingehen. Nachdem für den Schuldenerlass von Griechenland private Banken in die Pflicht genommen werden sollen, fliehen die Anleger aus europäischen Staatsanleihen. Deshalb soll Griechenland ein Einzelfall bleiben. Gerade Bundeskanzlerin Merkel hatte immer auf einer Beteiligung privater Gläubiger bestanden. Sie räumt inzwischen ein, dass dies ein Fehler war.
Autor: Bernd Riegert, Brüssel
Redaktion: Marion Linnenbrink