Ausgezeichnete Filme: "Winterschlaf" und "Mommy"
21. Juni 2015Über drei Stunden dauert der eine, annähernd zweieinhalb der andere Film. Doch es ist gut investierte Zeit. Schließlich kann es auch in den kommenden Sommermonaten mal schlechtes Wetter geben. Der Jahrgang 2014 der Filmfestspiele in Cannes war bärenstark. Gleich mehrere Filme hätten Preise verdient gehabt. Die Goldene Palme ging dann schließlich an den türkischen Film "Winterschlaf" von Nuri Bilge Ceylan, der Preis der Jury an das 25-jährige kanadische Wunderkind Xavier Dolan für seinen bereits fünften Film "Mommy" (unser Bild oben). Beide in Cannes ausgezeichnete Werke liegen jetzt auf DVD und Blu-ray vor.
Der Gegensatz zwischen den Filmen Ceylans und Dolans könnte nicht größer sein. Beide markieren Pole des visuell ausgereiften und thematisch hochintensiven Autorenfilms. Es sind moderne Meisterwerke der Filmkunst, die auch in ein paar Jahren noch bestehen werden.
Tiefe Einblicke in das Leben in der Türkei
In "Winterschlaf" erzählt der türkische Filmemacher Nuri Bilge Ceylan mit weit ausholendem Atem die Geschichte eines ehemaligen Schauspielers, der sich in die türkische Provinz zurückgezogen hat und dort ein Touristenhotel betreibt. In der landschaftlich spektakulären Gegend Kappadokiens im Osten der Türkei lebt er mit seiner jungen Frau und seiner gerade geschiedenen Schwester. Strukturiert in lange, aber nie langweilige Gesprächsblöcke, bietet der Film tiefe Einblicke in die Psyche der modernen Türkei.
Das Drehbuch von "Winterschlaf" wurde nach seiner Premiere in Cannes mit den Texten großer Theaterschriftsteller wie Tschechow oder Ibsen verglichen, mit Kinolegenden wie Ingmar Bergman und Andrej Tarkowskij. Der ehemalige Fotograf Ceylan zieht den Zuschauer mit seinen magischen Kinobildern geradezu in einen filmischen Sog voller Spannung und Melancholie. Doch die Dialoge stehen dazu in einem scharfen Gegensatz: Unter der Oberfläche der Filmcharaktere brodelt es. Jahrelang aufgestaute Frustrationen und Emotionen suchen sich ihren Weg. Die Sätze, die in "Winterschlaf" fallen, sind von unerbitterlicher Härte geprägt. Es sind große menschliche Dramen, die Ceylan vor dem Zuschauer ausbreitet; es werden Figuren gezeigt, mit denen der Zuschauer mitleidet, die er hasst und liebt.
Charaktere von verstörend intensiver Dichte präsentiert uns auch Xavier Dolan. Doch hier ist der filmische Stil rau und ungestüm, schnell und voller Tempo. Die Filmbilder passen sich den Emotionen an. "Mommy" ist das eindringliche Porträt eines jungen, emotional unausgeglichen Mannes und dessen Beziehung zu seiner überforderten Mutter. Nur selten hat man in den letzen Jahren eine derart dicht inszenierte Mutter/Sohn-Beziehung auf der Kinoleinwand gesehen.
Schauspielkunst und erstklassige Dialoge
Wenn das Kino, wie in "Winterschlaf" und "Mommy" geschehen, von Menschen erzählt, die wahrhaftig und lebensnah erscheinen, wenn die Regisseure und Drehbuchautoren Schweiß und Arbeit in das Schreiben von Dialogen investieren, dann sind einem die Kino-Protagonisten ganz nah. Große (Film-) Kunst kommt allerdings nur dann heraus, wenn diese psychologisch feinfühlige Schauspielerführung auch mit den entsprechenden Bildern, mit Bewegung und Montage, mit Inszenierung, Licht und aufregenden Kameraperspektiven kombiniert wird. Nuri Bilge Ceylan aus der Türkei und Xavier Dolan aus Kanada beherrschen beides.
Nuri Bilge Ceylans Film "Winterschlaf" und Xavier Dolans Film "Mommy" sind beide beim Anbieter "Weltkino" erschienen.