Ausblick: Die deutsche Westafrika-Politik
23. August 2021Für Mohamed Bazoum hatte der Termin höchste Priorität. Anfang Juli flog Nigers Präsident nach Berlin, um sich persönlich von Kanzlerin Merkel zu verabschieden. "Das deutsche Volk unterstützt uns, unterstützt den Niger, aber auch unsere Region. Sie sind einer der Hauptakteure im Bereich der Sicherheit", lobte Bazoum vor dem Treffen.
Das dürfte auch unter einer neuen Bundesregierung so bleiben. Fast im Wochentakt kommen schlechte Nachrichten aus dem Sahel: Terroranschläge in Burkina Faso, Kämpfe zwischen Viehhirten und Bauern in Zentral-Mali, Angriffe auf Dörfer im Niger. Fast 30 Millionen Menschen in der Region brauchen nach UN-Angaben humanitäre Hilfe.
Angst in Berlin
Das Horrorszenario der Berliner Politik: Die Islamisten werden stärker. Rückzugsräume für Terroristen entstehen, die irgendwann auch Anschläge in Deutschland verüben. Wachsende Gewalt und kollabierende Staaten könnten neue Flüchtlingsströme nach Europa auslösen. Und: Schon jetzt ist Westafrika ein migrationspolitischer Hotspot. Hier liegen wichtige Herkunfts- und Transitländer.
Die deutsche Politik setzt daher in der Region auf einen Dreiklang: Sicherheit, Entwicklung, Migrationsbekämpfung. Sichtbarstes Zeichen: Die Bundeswehr-Präsenz in Mali. Knapp 1000 deutsche Soldaten beteiligen sich an der EU-Ausbildungsmission EUTM und der UN-Truppe MINUSMA.
Die Gewalt im Land hat die Mission nicht stoppen können. Daher wächst der Frust. "Trotz des Engagements der Bundesregierung, die militärische Präsenz in der Sahelzone zu erhöhen - was vor einigen Jahren noch undenkbar war - ist das Land noch nicht bereit, sich in Militäroperationen zu engagieren, die für seine Soldaten gefährlich sind", sagte Nadia Adam von Institut für Sicherheitsstudien in Malis Hauptstadt Bamako im Juli zur DW.
Dabei gilt MINUSMA als gefährlichste UN-Mission weltweit: Erst Ende Juni wurden 12 Bundeswehr-Soldaten bei einem islamistischen Anschlag teils schwer verletzt.
Frankreich zieht ab - mehr Druck auf Deutschland?
Der Druck auf Deutschland dürfte steigen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will bis 2022 rund 2000 Soldaten aus dem Sahel abziehen. Eine europäische Truppe soll ihre Aufgaben bei der Terrorbekämpfung übernehmen. Die Bundeswehr ist daran nicht beteiligt. Wenn sich die Sicherheitslage weiter verschlechtert, könnten aber auch Rufe Richtung Deutschland laut werden, mehr Soldaten zu entsenden.
Die Ausbildungsmission EUTM gilt ebenfalls als wenig erfolgreich. Gegen die Dschihadisten kann Malis Armee weiterhin wenig ausrichten, stattdessen putschte sie 2020 den gewählten Präsidenten Keita aus dem Amt. Trotzdem stimmte der Bundestag dieses Jahr dafür, dass nun sogar 650 Bundeswehr-Soldaten eingesetzt werden dürften. Denn Berlin sieht schlicht keine Alternative.
Legale Migration bleibt für viele ein Traum
Auch das Migrations-Thema wird die künftige Bundesregierung weiter beschäftigen. Nigeria und Ghana sind wichtige Herkunftsstaaten. Niger ist dagegen ein wichtiges Transitland: Zeitweilig passierten gut 150.000 Menschen jährlich das Land in Richtung Mittelmeer.
Deutschland unterstützt die Länder dabei, die Grenzen dichtzumachen. Etwa durch die Ausbildung der Grenzpolizei oder mit Ausrüstung. Im Niger finanziert die Bundesregierung unter anderem den Aufbau einer Grenzschutzeinheit mit sechs Millionen Euro. Finanziert werden viele Maßnahmen aus der Entwicklungshilfe.
Der ghanaische Migrationsexperte Stephan Adaawen hält den Ansatz für gescheitert. "Wir sehen, dass Migration zu einem Sicherheitsproblem gemacht wird und wie die Entwicklungszusammenarbeit instrumentalisiert wird, um Druck auf afrikanische Länder auszuüben, die Migration zu beschränken. Das steht im Gegensatz zu den Wünschen und Zielen afrikanischer Länder", sagt Adaawen der DW. Gleichzeitig hat die Bundesregierung bei einem zentralen Versprechen nicht geliefert: mehr legale Zugangswege nach Deutschland zu schaffen.
Das verärgert viele in der Region. Gerade junge Menschen möchten gerne in Deutschland studieren, eine Ausbildung machen oder angesichts fehlender beruflicher Perspektiven auch zeitweilig arbeiten. "Ich hoffe, dass der nächste Bundeskanzler kein Rechts-Außen oder extrem Konservativer wird, sondern jemand mit einem humanitären Bewusstsein, um das Migrationsthema anzugehen", sagt die junge Ghanaerin Elikplim Awuku zur DW.
Wenig deutsche Präsenz
Auch bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit gibt es noch Luft nach oben. Lange machten deutsche Firmen um Afrika einen großen Bogen – trotz hoher Wachstumsraten und Rohstoffreichtum. 2017 steuerte die Bundesregierung um: Seitdem ist es ihr erklärtes Ziel, mehr Privatinvestitionen nach Afrika zu locken. Neben anderen Maßnahmen startete sie dazu die Initiative "Compact with Africa".
Sieben westafrikanische Länder machen mit. Sie verpflichten sich dazu, für Investoren attraktiver zu werden – Deutschland und andere Partner werben im Gegenzug für Investoren. Mehrfach gab es hochkarätige Afrikagipfel in Berlin, Leuchturmprojekte, auch die Kanzlerin versuchte sich bei ihren Afrikareisen als Türöffnerin für die deutsche Wirtschaft.
Trotzdem ist Deutschland vergleichsweise wenig präsent. "Andere Länder spielen eine weitaus größere Rolle. Deutschlands Einfluss in Afrika steht in keinem Verhältnis zu seiner Wirtschaftsmacht", sagt die junge Ghanaerin Awuku. Ihr Landsmann Benjamin Yamoah sieht das ähnlich: "Wir brauchen mehr deutsche Präsenz in Afrika. Vor allem im Bereich Berufsbildung. Deutschland ist sehr gut darin, und wenn es uns von von seinem Wissen etwas abgeben kann, wird das der Entwicklung Afrikas sehr helfen."
Mitarbeit: Isaac Kaledzi (Accra), Sella Oneko