Mexikos Drogenkrieg
9. Februar 200830.000 Soldaten schickte der neue bürgerliche Präsident an die Front. Die Armee sollte dem Staat wieder Autorität geben, wo die Drogenmafia de facto die Macht übernommen hat. Als Präsident Felipe Calderón vor einem Jahr sein Amt antrat, erklärte er es zu seinem Hauptanliegen, Mexiko aus dem Würgrgriff der Drogenmafia zu befreien. "Wir wissen, dass es eine Schlacht ist, für die es keine einfachen Rezepte gibt, die lang sein und viel Geld und vermutlich auch viele Leben kosten wird", sagte Calderón.
Mehrfrontenkrieg
Calderón muss an vielen Fronten kämpfen, in einem Krieg, der kaum zu gewinnen ist: Die Lage Mexikos an der Grenze zu den USA, die Unterwanderung der Staatsorgane durch die Mafia, die Korruption vom Polizisten bis zum Minister und die gigantischen Gewinnspannen im Rauschgifthandel lassen den Kampf aussichtslos erscheinen. Mit dem Militär holte Calderón immerhin eine weithin unbelastete Kraft ins Spiel: "Damit konnten zumindest lokal Verbindungen zwischen der Polizei und den Drogenkartellen zerschnitten werden", meint der Politologe Günther Maihold, Mexiko-Experte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik.
Die Militärs konnten schon nach einem halben Jahr die Beschlagnahme von tausenden Kriegswaffen, tonnenweise Drogen, zwei Flugzeugen und 15 Schiffen melden. Tausende Drogenhändler wurden festgenommen, auch große Fische wie der Kartell-Chef Oscar Arreola Marquez. Die exzessive Gewalt reißt jedoch trotz des massiven Militäreinsatzes nicht ab. 2007 wurden mehr als 2200 Morde im Zusammenhang mit dem Drogenhandel registriert - ein Anstieg von mehr als zehn Prozent. Wenn die mächtigen Drogenkartelle von Sinaloa, Tijuana oder Juárez sich bekriegen, steigen die Todeszahlen wie Börsenkurse. Wer sich gegen die Mafia stellt, schwebt in höchster Lebensgefahr: Polizisten, Staatsanwälte, Mafia-Gegner und auch Journalisten werden exekutiert, häufig durch Enthauptung. Laut der Presserechtsorganisation "Reporter ohne Grenzen" ist Mexiko das zweitgefährlichste Land der Welt für Journalisten - hinter dem Irak.
Deutliches Signal: Mord
Im Dezember machten Morde an Musikern Schlagzeilen. Der Sänger Sergio Gómez war gerade für einen Grammy nominiert worden. Er wurde entführt, dann erwürgt. 2007 wurden insgesamt 19 Musiker ermordet, darunter eine komplette Band. Die Botschaft ist deutlich: Die Mafia lässt sich nicht einschüchtern, weder von Calderón, noch von der Armee - und auch nicht von den USA.
Von dort verspricht sich Calderón nun Hilfe. Im November handelte Calderón mit Präsident George W. Bush das bisher umfangreichste Antidrogenabkommen zwischen der USA und Mexiko aus: die Initiative Mérida. 1,4 Milliarden Dollar hat Washington für militärisches und polizeiliches Gerät, schärfere Grenzkontrollen und Datenerfassung versprochen. Gut angelegtes Geld, möchte man meinen: Dreiviertel des US-Drogenhandels laufen über Mexiko. Geschätzte 700 Tonnen Kokain kommen jedes Jahr über die Grenze, Mexikaner kontrollieren das Geschäft mit Amphetaminen, die mexikanische Heroin-Produktion steigt.
Widerspruch beiderseits der Grenze
Doch beiderseits des Rio Grande regt sich Widerspruch: Mexikanische Gegner des Abkommens sehen die Unabhängigkeit des Landes gefährdet. Speziell die Linke sieht darin eine viel zu enge Bindung an die wenig geschätzte USA. US-Abgeordnete widerum erkennen in der Zusammenarbeit mit Mexiko kaum Sinn, solange man nicht weiß, wo dort die Regierung aufhört und wo das Kartell beginnt. Eine erste Rate von 500 Millionen Dollar hat es noch nicht durch den US-Kongress geschafft, die Demokraten gelten als unwillig. Sie verweisen auf mäßige Erfahrungen mit dem "Plan Colombia". Fünf Milliarden US-Dollar sind seit 1999 bereits nach Bogotá geflossen, um die Kokaanpflanzungen in Kolumbien zu bekämpfen. Der Erfolg ist fraglich: Der Kokainanbau hat sich lediglich verlagert, die Gesamtmenge an Kokain ist eher gewachsen, der Preis in den USA deutlich gesunken.
Doch Calderón scheint zu wissen, dass sich Mexiko vor allem von innen erneuern muss, um die Macht der Drogenmafia zumindest einzudämmen. Nach dem Coup mit der Armee gegen unwillige Sicherheitsorgane bringt er nun eine über viele Jahre diskutierte Justizreform auf den Weg. Das Paket, das trotz Kritik von Bürgerrechtlern Mitte Februar verabschiedet werden soll, sieht eine Stärkung der Staatsanwaltschaft vor: Durchsuchungen sollen ohne richterliche Anordnung möglich sein, Verdächtige ohne Haftbefehl festgehalten werden können. Zudem sollen Gerichtsverhandlungen in Zukunft öffentlich sein, wovon sich Calderón eine Eindämmung der Korruption in der Justiz erhofft. Fortschritte wird es nur langsam geben: Acht Jahre soll es dauern, bis die Neuerungen umgesetzt sind. Der Präsident wusste nur zu gut, warum er von einer langen Schlacht sprach.