Auf Heimatsuche in Deutschland
26. Oktober 2011"Ich bin zwar in der Türkei geboren, aber meine Heimat ist Deutschland", sagt Mazlum Kadah, der mit seinem Gedicht "Füße, Hände, Köpfe" den dritten Platz des Wettbewerbs "Heimat Almanya - Zeig uns Dein Deutschland" gewonnen hat.
Der Wettbewerb wurde von der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Maria Böhmer, ins Leben gerufen. Anlass war der Jahrestag des Anwerbeabkommens mit der Türkei, das am 30. Oktober 1961 unterzeichnet wurde. Jugendliche aus ganz Deutschland konnten in Video-, Audio- und Textbotschaften ihre persönliche Definition von Heimat vermitteln. "Wir schlagen ein neues Kapitel im Zusammenleben auf. Es geht darum, in diesem Land anzukommen, eine gute Zukunft zu haben", sagte Böhmer bei der Preisverleihung am Dienstag (25.10.2011) in Berlin.
Schwierige Begriffsdefinition
Gibt es einen Plural für Heimat? Theoretisch ja - zumindest steht das so im "Duden", dem Wörterbuch der deutschen Sprache. Aber wie sieht es praktisch aus? "Als ich mich an der Uni beworben habe, hat man mich gefragt, ob ich denn wieder zurück in die Türkei gehen möchte", sagt Mazlum Kadah. Er habe nein gesagt, weil er noch nicht einmal Türkisch sprechen könne. Viele Jugendliche, deren Eltern als Gastarbeiter oder Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, kennen das Land ihrer Vorfahren nicht, sie sind hier zur Schule gegangen, Deutsch ist ihre Muttersprache. Oft fühlen sie sich aber hier nicht wirklich zuhause und versuchen, ihre Identität zwischen zwei Kulturen, Welten oder eben zwei Heimaten zu finden. Als kleines Kind mussten Mazlum und seine Familie 1994 aufgrund religiöser Verfolgung nach Deutschland fliehen. Von diesem Zeitpunkt an wuchs er in Niedersachsen auf.
Auch wenn man sich selber im Klaren sei, wo man hingehört, werde die Identitätssuche durch die Außenwelt schwieriger gemacht, sagt Kadah: "Oft wird man hier von Ausländern als Deutscher bezeichnet und von Deutschen als Ausländer. Und dann ist man quasi zwischen den Stühlen. Aber ich habe gelernt, damit klar zu kommen." Der Mensch solle im Vordergrund stehen und nicht sein Hintergrund, sagt der Jugendliche.
Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich
"Gerade in der Pubertätsphase war es schwierig, sich zu identifizieren. Wo ist man jetzt? Auch wenn man hier geboren und aufgewachsen ist, sieht man anders aus", sagt Bahar Kizil, Sängerin der berühmten Popband "Monrose" und Schirmherrin des Wettbewerbs. Und in der Türkei gehöre man auch nicht richtig dazu, sagt Kizil.
Auch für Tahli Burunacik, eine andere Teilnehmerin des Wettbewerbs, war es gerade in der Kindheit mit der eigenen Identitätsfindung nicht so einfach: "Wenn man in der Schule die einzige mit Migrationshintergrund ist, dann fragt man sich, bin ich anders als die anderen, nur weil ich einen anderen Namen oder eine andere Haarfarbe habe? Mit der Zeit legt sich das aber." Man müsse sich öffnen, und man müsse vor allem viele Fragen stellen und viele Fragen beantworten, sagt Burunacik. Für sie sei Heimat ein Gefühl und fügt hinzu: "Ich habe eine Heimat, aber zwei Kulturen und die kann man in Deutschland sehr gut vereinbaren."
Loslassen oder festhalten?
Gibt es ein Rezept für Integration? Wann ist man voll integriert? Wenn man die Familiengeschichte hinter sich lässt oder darf man auch einen Teil davon für sich behalten? Edwin Bill hat seine Lösung gefunden: "Irgendwo tief in mir lasse ich diese Wurzeln nicht los. Auch wenn ich in Deutschland geboren bin, ich vergesse nicht, woher meine Eltern kommen. Aber meine Heimat ist Deutschland." Dass sich einige Russlanddeutsche aus seinem Bekanntenkreis von dem Deutschsein abkapseln, sich für Russen halten, auch wenn sie kaum Russisch sprechen, kann er nicht verstehen. Mit seinem Videobeitrag über den Alltag eines jungen Russlanddeutschen ist er unter die Top 10 gekommen.
Die Jugendlichen, die in Deutschland geboren sind und deren Großeltern oder Eltern in den 1950ern oder später hierher gekommen sind, fühlen sich nicht heimatlos. Trotzdem bleibt die Frage, ob man nur eine oder doch mehrere Heimaten haben kann, darf oder muss.
Autorin: Rayna Breuer
Redaktion: Kay-Alexander Scholz