Auf der Zielgeraden zur ISS
15. April 2014Der Andrang ist gewaltig. Zahlreiche Journalisten, Kamerateams und Fotografen wollen Alexander Gerst noch einmal sehen, bevor er sich aufmacht, nach Russland, um dort - im Sternenstädtchen bei Moskau - mit seinem russischen und amerikanischen Kollegen zu trainieren. Am 28. Mai 2014 fliegt er zusammen mit ihnen zur ISS. Alexander Gerst wirkt nicht aufgeregt. Eher tiefenentspannt. Geduldig beantwortet er in der großen Halle des Astronautenzentrums in Köln die Fragen der Journalisten. Ob er nervös sei? "Nein", versichert er, "ich werde mit jedem Tag gelassener". Das glaubt man ihm. In seinem blauen Trainingsoverall, breitbeinig und Hände in die Hüfte gestemmt, wirkt er selbstbewusst.
Er habe soviel trainiert für diesen Einsatz, sagt er. Jetzt fühle er sich fit. "Was das schwierigste bei den Vorbereitungen war?", will ein Journalist wissen. "Das Basistrainig", verrät der 37-Jährige schmunzelnd. Das sei so gewesen wie "Wasser aus einem Feuerwehrschlauch zu trinken. Und natürlich die Sprache", lacht er. Drei Monate habe er Zeit gehabt, Russisch zu lernen. Denn Russisch sei Hauptsprache auf der ISS. Er hat es hinbekommen. "Eine tolle Sprache", findet Gerst und gibt der Deutschen Welle sogar eine Sprechprobe. Ob sich die aktuellen politischen Streitigkeiten zwischen Europa, den USA und Russland auf das Training und die Zusammenarbeit auf das Team ausgewirkt hätten? "Nein", versichert Gerst. Der Wille zusammenzuhalten, sei stärker denn je.
Sechs Monate wird Alexander Gerst ab Ende Mai auf der Internationalen Raumstation verbringen. Zusammen mit dem Russen Maxim Surajew und dem US-Amerikaner Reid Wiseman. Im Mittelpunkt dabei: über 160 wissenschaftliche Experimente, die nur in der Schwerelosigkeit durchgeführt werden können - zum Beispiel neue Legierungen in einem Schmelzofen testen, den Alexander Gerst auf der ISS aufbauen wird.
Wissenschafler und Abenteurer
Gerst wird der dritte Deutsche auf der ISS sein. Vor ihm waren Thomas Reiter dort oben und Hans Schlegel. Gerst ist jetzt 37 Jahre alt. Vor ein paar Jahren wurde er ausgesucht aus über 8400 Bewerbern. Er habe damals nicht damit gerechnet, sagt er. "Ein Kindheitstraum erfüllte sich", auf den er aber nie hingearbeitet habe.
Denn eigentlich ist Gerst Geophysiker. Vulkane haben es ihm angetan. Schon mehrmals war er auf längeren Expeditionen. Für seine Doktorarbeit über den Vulkan Mount Erebus harrte er drei Monate lang alleine in der Antarktis aus. Er wisse, was Einsamkeit bedeutet. Und Durchhaltevermögen, Geduld und Gelassenheit. Alles Tugenden, die für einen Astronauten überlebenswichtig werden können. Genauso wie die körperliche Fitness. Alexander Gerst wirkt sehr durchtrainiert. Sport spielt bei den Vorbereitungen eine große Rolle. Joggen, Schwimmen, Tauchen Klettern. Oft werden die Astronauten bis an ihre Grenzen gebracht. Zum Beispiel mit einer mächtigen Zentrifuge, die die Astronauten in gewaltigen Tempo im Kreis schleudert, und sie auf die enormen Kräfte vorbereiten, die beim Start auf den Körper wirken.
Unbeschreiblicher Blick auf die Erde
Seine Hobbys seien aber eher Fallschirmspringen oder Snowboarden, verrät Gerst den Journalisten, fügt aber hinzu, dass er das momentan sein lässt, um sich vor dem Start ja nicht mehr zu verletzen. "Worauf er sich da oben besonders freut?", fragt ein Journalist. Diese Frage hört er oft. Und die Antwort darauf hat Alexander Gerst wohl schon 100 Mal mindestens gegeben: "Auf den Blick auf die Erde. Auf unser kleines, verletzliches, blaues Raumschiff, auf das wir aufpassen sollten." Das sei eine Perspektive, die einzigartig sei. Außerdem einzigartig für Romantiker: Da die Raumstation mit 28.000 Stundenkilometern um die Erde saust - jetzt nicht neidisch werden - erlebt die Crew jeden Tag 16 Sonnenauf und -untergänge.