Fauler Handel
11. Oktober 2016Jedes Jahr werden an der Küste Nicaraguas unzählige Schildkröteneier von Wilderern ausgegraben. Die Eier werden in alle Welt transportiert und als Grundnahrungsmittel verkauft. Der Prozess ist bekannt. Auf welchen Wegen aber die Eier genau verschifft werden, liegt im Verborgenen. Umweltschützer wollen diese Lieferkette nun aufdecken.
Eine Theorie haben sie schon, Beweise stehen aber noch aus, sagt Kim Williams-Guillen von der gemeinnützigen Organisation Paso Pacifico. “Wir vermuten, dass die Schildkröteneier versteckt in legal gehandelten Fischprodukten verschickt werden."
Ihre NGO verfolgt einen ungewöhnlichen Ansatz, um die Schmuggelwege aufzudecken: Schildkröteneier aus dem 3D-Drucker. Die Repliken bestehen aus Silikon und sind optisch und haptisch von echten Eiern kaum zu unterscheiden. Nur im Inneren verbirgt sich ein gewaltiger Unterschied. Statt eines Embryos steckt ein GPS-System im Ei, das über das Mobilfunknetz seine Position übermitteln kann.
Finanziert hat die Organisation die erste Umsetzung ihrer Idee durch einen Wettbewerb der "US Agency for International Development" (USAID). Ein Erlös von 10.000 US-Dollar (etwa 9.000 Euro) machte die Produktion von Prototypen möglich. Und diese, hofft Paso Pacifico, können bald an der Küste Nicaraguas zum Einsatz kommen.
Am Anfang steht der Test des GPS-Senders. Daran arbeiten Williams-Guillen und ihre Kollegen derzeit. Testwilderer sollen Studenten der "University of Michigan" sein. Sie tragen die Prototypen der Eier in ihren Rucksäcken. So kann die Organisation sehen, wo auf dem Campus sich die Studenten aufhalten. Ist dieser Test erfolgreich, steht die Entwicklung einer stabilen Hülle für das elektronische Innenleben der Eier an. "Wenn man ein Schildkrötenei in die Hand nimmt, fühlt es sich an wie eine Wasserflasche, allerdings mit einer dünneren Schale", sagt Williams-Guillen.
Gemeinschaft siegt
Die Organisation ist nicht unerfahren. Sie arbeitet bereits mit Gemeinden auf der zentralamerikanischen Landzunge zusammen, um küstennahe Ökosysteme wiederherzustellen. Seit 2008 bildet die Organisation auch Wildhüter aus, die aus der Region kommen und die Strände des "La Flor Wildlife Refuge" überwachen. Genau hier befindet sich auch einer der beiden wichtigsten Nistplätze der Oliv-Bastardschildkröte weltweit.
"Wenn ein Strand nicht aktiv geschützt wird, wird ein Großteil der Eier gewildert", sagt Kim Williams-Guillen. Besonders problematisch wird es während der sogenannten “arribada". Der Begriff bezeichnet die Zeit, zu der Tausende Schildkröten an die Strände kommen, um im Schutz der Dunkelheit ihre Eier zu legen. Sie kommen in großer Zahl an Land, ein Trick der Natur, um Raubtiere davon abzuhalten, zuzuschlagen.
Für die Menschen in den küstennahen Gebieten gehören Meeresschildkröten zum Alltag. Deren Eier sind eine kostengünstige und zuverlässige Proteinquelle. Trotzdem sind nicht sie es, die die Nester plündern. Laut Williams-Guillen zieht die "arribada"-Zeit unzählige Menschen von außerhalb an, die "oft die Wächter überwältigen, die eigentlich die Strände bewachen sollen."
Laut einer Studie der Organisation "Global Witness" wurden weltweit 1029 Umweltschützer zwischen 2005 und 2015 umgebracht.
Einer von ihnen war Jairo Sandoval, der in Costa Rica ermordet wurde, weil er ein Lederschildkröten-Nest bewacht hatte. Sein Tod brachte die Gefahren, denen Tierschützer ausgesetzt sind, wenn sie sich gegen illegalen Wildtierhandel einsetzen, auch international in die Schlagzeilen.
Diese allgegenwärtige Bedrohung ist eine der größten Hürden, die es zu überwinden gilt, um den Weg der Eier nachvollziehen zu können. Auch wenn es zunächst so aussieht, als würden sie einfach verschwinden, vermuten Naturschützer doch ein Netzwerk von Vermittlern und organisierte Banden, die den Verkauf in der Region verwalten oder die Eier sogar bis nach El Salvador transportieren.
Hilfe in Form eines Eis
Genau wissen sie es allerdings nicht. Und hier kommen die falschen Eier ins Spiel. Die Daten, die mit ihrer Hilfe gesammelt werden, sollen Schmuggelwege offenlegen, lokale Lagerstätten und Orte, an denen die Eier verkauft werden. Völlig egal, ob es sich dabei um einen öffentlichen Marktplatz handelt oder ein Restaurant in der nicaraguanischen Hauptstadt Managua.
Dieses Wissen würde wiederum Umweltschützern dabei helfen, ihre Bemühungen zum Schutz der prähistorischen Meereslebewesen besser auszurichten. Deren Zahl liegt, beeinflußt von Küstenbewirtschaftung, Lichtverschmutzung und kommerziellen Fischfang deutlich unter früheren Zahlen.
Die IUCN hat sechs von sieben Arten von Meeresschildkröten als bedroht aufgelistet, allein vier davon leben in Nicaragua: die Oliv-Bastardschildkröte, die Lederschildkröte, die Grüne und die vom Aussterben bedrohte Karettschildkröte. Der Diebstahl ihrer Eier bedeutet nur eine weitere Gefahr für den Fortbestand der Arten.
“Wenn du nichts über die Wege weißt, auf denen die Eier unterwegs sind, dann bist du zwei Schritte zurück", sagt Alexander Gaos. Er ist Mitglied der Arbeitsgruppe der IUCN, die sich mit Meeresschildkröten auseinandersetzt. Ein mehrgleisiger Ansatz ist notwendig, sagt er. “Strände werden seit Jahren geschützt, aber es gibt Schlupflöcher. Die Nachforschungen zu den Wegen der Wilderer und Schmuggler werden helfen zu verstehen, wie das System tatsächlich funktioniert."