Auf der Spur einer Adoptionslüge
3. März 2019Es begann 2016 mit der Buchung eines Traumurlaubs auf Sri Lanka. Olivia Ramya Tanner entschied, sich dort auf die Suche nach ihrer leiblichen Mutter zu machen. Die junge Frau, die in einem Zürcher Vorort aufgewachsen ist und jetzt für ein IT-Unternehmen arbeitet, engagierte einen Privatdetektiv, der vor ihrer Abreise ein wenig recherchieren sollte. Tanners fünf Jahre jüngere Schwester Géraldine, die ebenfalls adoptiert wurde, beteiligte sich an dem Auftrag.
Zwei Tage vor ihrer Abreise rief der Detektiv an. Er habe Géraldines Mutter gefunden, ein Treffen wurde vereinbart. Über Olivias Mutter habe er keine Informationen. Deshalb beschloss sie, selbst zum Ratnapura General Hospital zu fahren, wo sie laut ihrer Papiere geboren wurde. Dort erfuhr sie, dass ihre Geburtsurkunde gefälscht ist. "Sie sagten mir, dass ich dort nicht registriert und die Geburtsurkunde gefälscht sei. Ich war wie betäubt!"
Frage nach der eigenen Existenz
Auch die Suche nach weiteren Unterlagen in lokalen und nationalen Behörden lief ins Leere. "Es fühlte sich an, als ob ich nicht existieren würde", so Tanner. Und sie fragte sich, ob ihr Geburtsdatum überhaupt richtig ist. Auch ihr zweiter Vorname, Ramya, könnte höchstwahrscheinlich falsch sein. "Die einzige Verbindung zu meiner leiblichen Mutter, nämlich der Name, den sie mir gab, besteht nun wahrscheinlich auch nicht. Das war verheerend für mich."
Ein Jahr später veröffentlichte das niederländische Fernsehen eine Studie. Tanner stellte fest, dass sie kein Einzelfall ist. Und auch ein inzwischen veröffentlichter Bericht des Schweizer Kantons St. Gallen bestätigte Tanners Entdeckung. In den Jahren zwischen 1970 und 1990 waren vermutlich bis zu 70 Prozent der 750 Adoptionen aus Sri Lanka in die Schweiz illegal.
Etwa 11.000 Babys, die in diesem Zeitraum aus Sri Lanka adoptiert wurden, kamen nach Europa, in die USA und nach Kanada. Einigen Müttern in Sri Lanka wurde von korrupten Krankenhausvertretern erklärt, ihr Kind sei bei der Geburt gestorben. Anderen wurde mitgeteilt, ihre Babys benötigten eine besondere Behandlung, stattdessen wurden sie - so der Bericht - schnell zur Adoption freigegeben.
Frauen unter Druck
Viele der Mütter waren unehelich schwanger geworden und aus ihren Dörfern zur Geburt geflohen. Mitarbeiter von zwielichtigen Adoptionsanwälten suchten in Slums, Bahnhöfen und Krankenhäusern nach diesen verletzlichen Frauen und überredeten sie, Adoptionspapiere zu unterschreiben.
Während offizielle Hilfsorganisationen mit Waisenhäusern zusammenarbeiteten und bei einer legalen Adoption halfen, gab es damals laut dem Bericht auch einen anderen Markt. Hier wurden die Babys regelrecht in sogenannten Baby-Farmen "bestellt" und innerhalb von neun Monaten gegen Geld "geliefert". "Diese Kinder wurden für den Export produziert", hieß es.
Eine zentrale Figur in dem St. Gallener Bericht ist Alice Honegger. Sie arbeitete als Vermittlerin bei dem größten Adoptionsdienst der Schweiz. Honegger, die 1996 starb, verdiente dem Bericht zufolge jährlich bis zu 97.000 US-Dollar an den Adoptionen. Allerdings waren nicht alle ihre Vermittlungen illegal - Géraldines Verfahren war korrekt von Honegger abgewickelt worden.
"Sie bereute nichts"
Olivias falsche Papiere wurden von einer gut vernetzten Frau aus Sri Lanka auf den Weg gebracht. Dawn da Silva hatte Tanners Eltern kontaktiert, nachdem diese einen Adoptionsantrag in der Botschaft in Genf gestellt hatten. Olivia hat die inzwischen 80-jährige da Silva bei einer weiteren Reise nach Sri Lanka getroffen. "Sie dachte, sie tut Gutes und bereute nichts. Das war für mich das Schwierigste", so Olivia Ramya Tanner. "Sie blieb dabei, dass sie nichts mit illegalen Adoptionen zu tun hätte, und beschuldigte diejenigen, die ihr die Babys 'zulieferten' - das waren genau ihre Worte."
Der amtierende Gesundheitsminister Sri Lankas, Rajitha Senaratne, räumte inzwischen schwere Fehler in der Zeit zwischen 1980 und 1990 ein. Die Schweizer Behörden taten sich schwerer. "Obwohl bereits im Sommer 1982 der Kinderhandel aus Sri Lanka bekannt war und obwohl auch Alice Honegger als zentrale Person dafür identifiziert wurde, haben die Kantonsbehörden in St. Gallen nicht daran gedacht, diese Praxis zu stoppen, sondern ihnen einen legalen Anschein zu geben", so der Kantonsbericht. Offenbar herrschte die Ansicht, solange die Kinder zu liebenden Eltern kämen, sei alles in Ordnung.
Doch für Olivia Ramya Tanner ist es das nicht.