Auf dem Weg zu Gott und sich selbst
8. August 2005In allen Kulturen und Religionen der Welt sind Pilgerreisen bekannt als wichtiger Weg, um sich dem Glauben zu nähern. Auch zwischen dem Islam und dem Christentum finden sich Gemeinsamkeiten in der Idee des Pilgerns. "Der Ausgangspunkt ist die typisch menschliche Erfahrung, dass wir Wesen sind, die gehen müssen. Wenn wir zu lange stehen, sterben wir", erklärt der katholische Theologe Gotthard Fuchs den Ursprung der Pilgerreisen.
Wanderer zwischen den Welten
Christen geben diesem Unterwegssein einen religiösen Sinn. Wallfahrten und Pilgerreisen sollen den Weg eines Christen aus dem Hier und Heute seines Alltags hin zum ersehnten Paradies verdeutlichen: "Also mit der Bibel gesprochen: 'Unsere Heimat ist im Himmel, wir sind hier noch auf Erden unterwegs. Der Mensch ist ein Pilger, der Mensch ist ein Wanderer zwischen den Welten'", sagt Fuchs.
Gotthard Fuchs leitet im Bistum Limburg das Referat "Kirche, Kultur und Wissenschaft". Der Theologe verweist darauf, dass sich beim Pilgern aus christlicher Sicht äußeres und inneres Ziel zu einer Einheit verbinden. Ganz wichtig sei im Christentum, dass der innere Pilgerweg zu Gott und zu sich selbst noch wichtiger ist als der äußere.
Das Unterwegssein werde so zu einem besonderen Zeichen christlicher Existenz. Die Gefahr, dass man als Christ die Welt zugunsten des ersehnten Jenseits abwerten könnte, sieht der Theologe durchaus. Doch das wäre seiner Meinung nach ein falsch verstandenes Pilgern.
Pilgern als Pflicht
Während es jedem Christen überlassen bleibt, ob er seinen Glauben hin und wieder auch durch eine Pilgerfahrt ausdrücken möchte, ist dies im Islam jedem Gläubigen als Pflicht auferlegt. Pilgern gehört zu den fünf Säulen des Islam, sagt Mehmet Soyhun, islamischer Theologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Frankfurter Universität: "Letztendlich hat es religiös gesehen keinen Grund außer den, dass Gott es so haben möchte."
Gott fordere die meist beschwerliche Pilgerfahrt nach Mekka und Medina, zum Grab des Propheten Mohammed, von jedem Muslimen, sofern er das nötige Geld für diese Reise aufbringen kann, so Soyhun. Wer kein Geld hat, muss diese Pilgerfahrt nicht machen, erklärt er.
Im Einklang mit der Natur
Während der Pilgerreise, die terminlich an die Zeit des Opferfestes gebunden ist, gelten besondere Vorschriften: So darf zum Beispiel nicht gejagt werden, auch dürfen keine Blätter von den Bäumen gezupft werden. Diese Vorschriften sollen den religiösen Charakter des Pilgerns unterstreichen: "Das ist ein Friedensschluss zwischen der Gesellschaft, der Umwelt und dem Menschen. Und dabei soll man zu Gott finden. Das ist die Intention, dass man zu Gott gelangen will." Diese Intention verbindet islamisches und christliches Pilgern.
Geistige Ideale im Vordergrund
Bei den Muslimen kommt hinzu, dass alle Pilger gleich sind - jedenfalls vor Gott. Alle sind einheitlich gekleidet und müssen sich den gleichen Ritualen unterwerfen. "Die egalitäre Situation soll das Bewusstsein erhöhen, dass die Menschen nicht das Weltliche in den Vordergrund stellen sollen, sondern das Geistige", erklärt Soyhun. "Ziel bei der Pilgerfahrt soll sein, dass man die eigenen moralischen und ethischen Prinzipien einhält."
Christen kennen neben den großen noch vielerlei andere Pilgerstätten, wo zum Beispiel Wunder geschehen sein sollen oder Reliquien von Heiligen verehrt werden. Der Islam sieht dies kritisch: "Der Islam will, dass die Menschen nur an einen Gott glauben und zu ihm beten", sagt der islamische Theologe. "Was außerhalb dessen liegt, ist problematisch."
Vergebung der Sünden
Wie Christen bei Wallfahrt nach Rom hoffen gläubige Muslime beim Pilgern auch auf die Vergebung ihrer Verfehlungen - ein weiterer wichtiger Grund für die Pilgerfahrt: "Wenn eine Pilgerfahrt gemacht wurde, die bei Gott akzeptiert ist, dann wird man in den Zustand zurückversetzt, wie zur Zeit der Geburt, das heißt: sündenfrei", sagt Soyhun. Das Problem: Es gibt nirgendwo bestimmte Kriterien oder Anzeichen, dass die Pilgerfahrt angenommen wurde von Gott. "Das ist eine Sache, die man erst nach dem Tod erfahren kann."