"Auch China will Stabilität im Nahen Osten"
8. April 2016Welches sind aus Ihrer Sicht derzeit die wichtigsten gemeinsamen außen- und sicherheitspolitischen Themen für China und Deutschland?
Moritz Rudolf: Deutschland und China haben ein Interesse an politischer Stabilität in Eurasien, vor allem in Syrien und Afghanistan. Denn Konflikte in der Region haben mittelbare Auswirkungen auf Berlin und Peking. China und Deutschland engagieren sich bei den Syrien-Gesprächen. Berlin geht es dabei um die Bekämpfung der Fluchtursachen, da Deutschland ein Hauptzielland der Flüchtlingsströme ist. China hat ein Interesse an Stabilität im Nahen Osten, damit es mit den eigenen Seidenstraßenplänen weiterkommt.
China befürchtet, dass eine Eskalation des Bürgerkrieges in Afghanistan die autonome Region Xinjiang in Westchina destabilisieren könnte. Deshalb fördert China gemeinsam mit den USA und Pakistan Friedensverhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban. Wegen des deutschen Engagements am Hindukusch ist es auch im Interesse von Berlin, dass Afghanistan befriedet und stabilisiert wird. Ein weiteres gemeinsames Thema ist die Sorge vor islamistischem Terrorismus und vor allem die Gefahr, die von radikalisierten Rückkehrern aus Syrien und dem Irak ausgeht.
Beide Seiten haben ferner ein Interesse an der stärkeren Einbindung der Volksrepublik in die internationale Sicherheitsarchitektur. Berlin bezweckt damit, dass Peking mehr politische Verantwortung übernimmt und effizient in die Bewältigung von globalen sicherheitspolitischen Herausforderungen eingebunden wird. Der chinesischen Seite geht es vor allem darum, als verantwortungsvoller sicherheitspolitischer Akteur wahrgenommen zu werden, ohne dabei aber ein zu großes Risiko einzugehen. Der Fall Nordkorea zeigt, dass Peking durchaus in der Lage ist, sicherheitspolitische Verantwortung zu übernehmen.
Wird der gemeinsame Kampf gegen die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus zu einem neuen Element der Zusammenarbeit zwischen Berlin und Peking? Bislang wird Chinas Kampf gegen "seine" Islamisten in Xinjiang im Westen kritisch gesehen, als repressive Minderheitenpolitik unter dem Deckmantel der Terror-Bekämpfung.
Es wäre zu begrüßen, wenn Berlin und Peking einen Weg finden, das Thema Xinjiang bei der Bekämpfung von islamistischem Terrorismus auszuklammern. Genau daran scheiterte in der Vergangenheit eine Annäherung bei der Terrorismusbekämpfung. Ich gehe davon aus, dass China in Zukunft bei diesem Thema kompromissbereiter sein wird, das heißt, eine Zusammenarbeit nicht unbedingt als Zustimmung zu seiner Politik in den Minderheitengebieten verstanden wissen will. Denn mit den umfassenden Infrastrukturinvestitionen in Eurasien dringt China in Gebiete vor, in denen islamistischer Terrorismus eine große Bedrohung darstellt. Chinesische Staatsangehörige werden damit zu einer potentiellen Zielscheibe für islamistische Terroristen, die keine direkten Verbindungen zum Konflikt in Xinjiang aufweisen.
Beide Seiten wollen - ausweislich der Presserklärung nach ihrem ersten "strategischen Dialog" im vergangenen November - auch über "Angelegenheiten des Völkerrechts" und über "regionale Themen" reden. Hier fallen einem die Konflikte im Ost- und Südchinesischen Meer ein. Japan als Gastgeber des G7-Gipfels ist direkt Beteiligter an ersterem Konflikt. Wie positioniert sich hier Berlin, beziehungsweise welche Rolle könnte oder sollte es spielen?
Deutschland sollte auf eine Verrechtlichung der Lösung der Territorialkonflikte hinarbeiten. Ein von allen Konfliktparteien anerkanntes Gericht könnte die territorialen Streitigkeiten nachhaltig lösen. Peking zieht aber bilaterale Verhandlungen vor. Berlin kann aber auch die Rolle eines Vermittlers im Ost- und Südchinesischen Meer einnehmen. Um als ernstzunehmender Vermittler wahrgenommen zu werden, müsste Deutschland aber zunächst eine Partei im Konflikt werden. Hierfür könnte Deutschland zunächst den Druck auf China erhöhen, indem es beispielsweise Militärgerät an Anrainerstaaten des Südchinesischen Meeres liefert. Damit wäre Berlin ein Platz am Verhandlungstisch sicher. Dieses Szenario ist vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden Lage durchaus denkbar.
Welche Chancen für eine Zusammenarbeit könnten sich aus der Tatsache ergeben, dass China dieses Jahr den G20-Vorsitz innehat und Deutschland im nächsten Jahr? Welche Initiativen sind hier vorstellbar? China strebt ja bekanntlich verstärkt mit Auslandsinvestitionen auch nach Europa, hinzu kommen die geplanten Wirtschaftskorridore ("neue Seidenstraßen") zu Land und zu See bis nach Europa. Ist Deutschland hierauf vorbereitet?
Als Bindeglied zwischen dem chinesischen und dem deutschen G-20-Vorsitz bietet sich das Thema "wirtschaftliche Konnektivität" zwischen Asien und Europa an. Als Vorsitzender der OSZE zeigt Berlin, dass es die Bedeutung der chinesischen Seidenstraßeninitiative begreift und nach Anknüpfungspunkten sucht. Das große Hindernis hierfür ist immer noch, dass die chinesische Initiative weder institutionell eingebettet, noch ausreichend konkretisiert ist, um andere Staaten von den Vorzügen der Initiative zu überzeugen. Deutschland könnte gerade hier einen großen Beitrag leisten, indem es das Thema wirtschaftliche Konnektivität aufgreift, einen institutionellen Rahmen schafft und den eigenen Interessen entsprechend gestaltet. Berlin kann insbesondere Gesichtspunkte der Nachhaltigkeit (Stichwort: "Green Silk Roads") einbringen.
Moritz Rudolf ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Berliner China-Forschungsinstitut Merics, mit dem Schwerpunkt Chinas Außenpolitik und Geostrategie.