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Athener Steueraffäre wird zum Politthriller

Jannis Papadimitriou, Athen11. Januar 2013

Wie konnten Daten von vermutlichen Steuerflüchtlingen einfach verschwinden? Diese Frage beschäftigt in Athen vielleicht bald einen Untersuchungsausschuss. Im Zentrum der Kritik steht ein Ex-Finanzminister.

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Giorgos Papakonstantinou (Foto: EPA/PANAGIOTIS MOSCHANDREOU)
Bild: picture alliance / dpa

In der Vertuschungsaffäre um Bankkonten möglicher Steuersünder könnte der ehemalige Finanzminister Giorgos Papakonstantinou vor einem Untersuchungsausschuss landen. Der Grund: Ausgerechnet der frühere Chef der griechischen Staatsfinanzen wird verdächtigt, die Namen von Verwandten aus einer Datei mit Bankdaten griechischer Kontoinhaber in der Schweiz gelöscht zu haben.

Bei der Datei handelt sich um die sogenannte "Lagarde-Liste" - benannt nach Christine Lagarde, der ehemaligen französischen Finanzministerin und heutigen Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF). Ursprünglich hatte ein Mitarbeiter der Bank HSBC in Genf diese Daten entwendet. 2010 übergab Lagarde den Datenfundus ihrem damaligen Amtskollegen Papakonstantinou in der Annahme, dass er für die griechische Steuerfahndung von Interesse wäre.

Journalist deckt auf

Daraufhin war die Liste unter noch ungeklärten Umständen verschwunden, bis der Journalist Kostas Vaxevanis im Oktober eine Zweit-Version ans Licht brachte und dadurch ein politisches Erdbeben in Athen auslöste. Im Zuge der Ermittlungen bat Finanzminister Jannis Stournaras die französische Regierung um nochmalige Zusendung der Original-Datei. Erst beim Abgleich jener Liste mit der zweiten Datei fiel auf, dass die Namen von drei Verwandten des Ex-Ministers gelöscht wurden.

epa03454695 Greek journalist and publisher Kostas Vaxevanis waits outside the courtroom during a break of his trial in Athens, Greece, 01 November 2012. The publisher of the magazine Hot Doc, Vaxevanis, was arrested on 28 October in execution of a warrant issued ex officio by an Athens prosecutor on 27 October evening, for the publication of a list of 2,059 names of bank account holders alleged to be the so-called 'Lagarde list'. The 'list' published by the magazine contains the names of Greeks who have Swiss bank accounts at HSBC, which had previously been given to the Greek government by France. Vaxevanis is to appear in court to face charges related to breaking privacy laws. EPA/ORESTIS PANAGIOTOU pixel
Kostas Vaxevanis brachte die Affäre ins RollenBild: picture-alliance/dpa

Papakonstantinou bestreitet jeden Vorwurf. In einem Interview mit dem griechischen Staatsfernsehen am Montag (07.01.2013) bezeichnete er sich als Opfer einer Intrige. Ihm werde die alleinige Verantwortung zugeschoben, um das politische Gleichgewicht nicht zu stören, protestierte der ehemalige Finanzminister und fügte hinzu: "Gewiss, Regierungsstabilität ist bei uns nötiger denn je; das weiß ich auch. Aber ich möchte nicht ins Gefängnis gehen, nur damit diese Regierung im Amt bleibt."

Papakonstantinou wehrt sich

Der Vorwurf richtet sich an die einstigen Mitstreiter in der sozialistischen Partei. Papakonstantinou hat mehrmals angedeutet, dass sein Nachfolger im Finanzministerium, der heutige Parteichef Evangelos Venizelos, hinter der Dateimanipulation stecken könnte, um sich selbst aus der Schusslinie zu ziehen. Als die Vorwürfe gegen Papakonstantinou laut wurden, hatte ihn Venizelos aus der Partei ausgeschlossen; zudem signalisierte er Unterstützung für den Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Parlament, vor dem sich der Ex-Finanzminister verantworten soll.

Evangelos Venizelos (Foto: dpa)
Venizelos hat Papakonstantinou aus der Partei ausgeschlossenBild: picture-alliance/dpa

Noch gibt es keine Beweise - weder für die Schuld von Papakonstantinou, noch für eine Einmischung von Venizelos. Laut griechischen Medienberichten soll Papakonstantinou die Datei dem Leiter der Steuerfahndung Ioannis Diotis übergeben haben, der sie 2011 an den neuen Finanzminister Venizelos weiterleitete. Alle drei bestreiten, die Liste kopiert oder bearbeitet zu haben. Jedenfalls habe der Ex-Minister unüberlegt gehandelt, moniert der Athener Journalist Nikos Konstantaras im TV-Sender Skai. Das gebe es leider oft in der griechischen Politik: "Immer wieder enden wir im Chaos, weil es kaum feste Regeln gibt. Das liegt daran, dass die Institutionen nicht richtig funktionieren."

Profitiert die Linke?

Im Spekulationschaos wittert die Linksopposition eine einmalige Chance - denn: Sollten die mitregierenden und bereits angeschlagenen Sozialisten durch die Vertuschungsaffäre geschwächt werden, würden sie womöglich die Drei-Parteien-Koalition unter Konservativen-Chef Antonis Samaras mit in den Abgrund ziehen. Offenbar ahnt Venizelos diese Gefahr: Der Sozialistenchef griff Oppositionsführer Alexis Tsipras in den vergangenen Tagen immer schärfer an.

Alexis Tsipras (Foto: EPA/ALEXANDROS VLACHOS)
Alexis Tsipras und seine Linke könnte von der Krise profitierenBild: picture alliance/dpa

Tsipras reagierte mit spöttischem Humor. "Uns vorzuwerfen, wir würden ein Komplott schmieden, um die Sozialisten zugrunde zu richten - das ist nun mal wirklich ein Witz. Ein solches Komplott haben die Sozialisten nämlich gar nicht nötig; die schaffen es auch ganz allein, zugrunde zu gehen", stichelte der griechische Oppositionsführer. Die Sozialisten seien in den vergangenen Jahren ohnehin zum Anhängsel des konservativen Premiers Samaras degradiert worden, kritisierte er.

Politisches Kräftemessen

Nächste Woche entscheidet das Parlament, ob Ex-Finanzminister Papakonstantinou wegen Datenfälschung und Pflichtverletzung im Amt vor einem Untersuchungsausschuss aussagen soll - was als wahrscheinlich gilt. Eine rechtspopulistische Splitterpartei sowie die rechtsradikale "Goldene Morgenröte" gehen sogar einen Schritt weiter: Sie verlangen, dass auch die ehemaligen Regierungschefs Giorgos Papandreou und Loukas Papademos vor dem Untersuchungsausschuss erscheinen und wollen gemeinsam dafür stimmen.

Christine Lagarde (Foto: afp)
Von ihr kam die Liste mutmaßlicher Steuerhinterzieher: Christine LagardeBild: Getty Images

Auch deswegen wird die Steueraffäre zu einem Politikum, das am Kern des Problems eigentlich vorbeigeht, meint der Analyst und ehemalige Regierungssprecher Dimitris Tsiodras im griechischen Fernsehen. "Alle Parteien sind vor allem daran interessiert, politisches Kapital aus dieser Geschichte zu schlagen. Doch die Diskussion um Steuergerechtigkeit ist leider in den Hintergrund getreten."

Noch mehr Daten weg?

Unterdessen wird die Vertuschungsaffäre um die Lagarde-Liste immer mysteriöser: Seit Donnerstag (10.01.2013) wird in den griechischen Medien über einen weiteren USB-Stick mit Steuerdaten spekuliert, der ebenfalls von dieser Liste stammen soll. Außerdem seien weitere Steuerdaten im Umlauf - darunter etwa eine Liste griechischer Immobilienbesitzer in London, sowie eine Liste von über 50.000 Bankkunden, die seit Ausbruch der Schuldenkrise angeblich 22 Milliarden Euro ins Ausland deponiert haben.

Die Athener Tageszeitung Eleftherotypia bemerkt dazu sarkastisch: "Unser Land produziert leider viel mehr Listen, als es verbrauchen kann…"